Obdachlosigkeit gehört auch im Wedding dazu, die Obdachlosen vom Leopoldplatz erinnern jeden Tag daran. Doch gesprochen wird über dieses Thema selten. Nach langer Planung findet am 2. November ab 19 Uhr die Eröffnung der Ausstellung “Querbrüche – Obdachlos” im Café Motte statt. Die Organisation der Ausstellung war nicht einfach, umso mehr freuen sich die beiden Künstlerinnen über die Hilfe vom Bezirk Mitte.
Obdachlos mit einer Ausstellung
Die Künstlerinnen Gabriele D.R. Guenther und Susanne Haun begannen schon vor einem Jahr, sich Gedanken über die Ausstellung zu machen. Beide Künstlerinnen wohnen und arbeiten im Wedding und die hohe Anzahl an Obdachlosen besonders um den Leopoldplatz ist ein altbekanntes Thema im Kiez.
Die eigentliche Idee der beiden war, einen der vielen leerstehenden Läden für eine Woche zu mieten und aus ganz Deutschland Künstler einzuladen, um mit ihnen zu diesem Thema zu arbeiten. Daraus wurde nichts. Die beiden fragten von Anfang des Jahres bis in den August hinein bei Vermietern und Immobilienmaklern an, keiner war bereit, Räumlichkeiten für die Ausstellung zur Verfügung zu stellen. So waren die beiden Künstlerinnen mit ihrer Ausstellung selbst sozusagen obdachlos.
Der Wedding hilft
Schon letztes Jahr bewarben sich die beiden Künstlerinnen um eine Förderung durch den Gebietsfond 2018. „Mit dem Gebietsfonds können für das Aktive Zentrum Müllerstraße kleine und große Ideen, Projekte, Aktionen unterstützt werden, die positive Effekte für das “Aktive Zentrum” Gebiet Müllerstraße haben. Bürgerinnen und Bürger, aktive Interessierte, Engagierte und Neugierige können ihre Ideen einreichen und so spannende Projekte sowie die Entwicklung vor der eigenen Haustür mitgestalten. Nach dem Aufruf entscheidet eine Jury über die Projekte, die im darauffolgenden Jahr aus Fördermitteln des Aktiven Zentrums mit 50 Prozent der Kosten unterstützt werden.“ heißt es auf der Internetpräsentation der Müllerstraße zum Gebietsfonts, auf der auch die anderen geförderten Projekte des Jahres 2018 bekanntgegeben wurden.
Nicht nur die finanzielle, sondern auch die mentale Unterstützung und nicht zuletzt auch Hilfe bei der Suche nach einem Raum für die Ausstellung waren ein Glück für Gabriele D.R. Guenther und Susanne Haun. Durch Vermittlung von Winfried Pichierri von der Planergemeinschaft wurde die Ausstellung durch Verschiebung anderer Ausstellungen in der Schiller-Bibliothek aufgenommen. Da in der Schiller-Bibliothek in der Regel keine Vernissagen veranstaltet werden, sprang das Café Motte ein und beherbergt die Arbeiten der beiden Künstlerinnen für etwas über eine Woche. Özlem Özmen-Eren, Besitzerin des Cafés Simit Evi, wird während der Ausstellung am Mittwoch, den 7. November ab 14 Uhr eine Suppenküche für Obdachlose einrichten.
Hier sieht die Leserin, der Leser wieder: Der Wedding funktioniert! Gemeinsam wurde eine Lösung gefunden, dass die Ausstellung zwar in abgespeckter Form und ohne weitere Künstler aus Deutschland, aber immerhin stattfinden kann.
Über die Organisatorinnen
Obdachlosigkeit ist für Susanne Haun kein abstrakter Begriff, sie ist der Auffassung, dass jeder betroffen sein kann. Die Ausprägung der Obdachlosigkeit reicht vom „Danach“ einer Räumungsklage bis zur alleinerziehenden Mutter, die mit ihren Kindern wie eine Nomadin von Mann zu Mann zieht, um nicht auf der Straße leben zu müssen.
Die Künstlerin setzt sich seriell in ihren reduzierten, linearen Zeichnungen mit dem Thema Obdachlosigkeit auseinander. In Interviews mit Betroffenen stellt sie Fragen nach der Wichtigkeit des Lebens, das Auskommen mit dem wenigen Besitz, der Kampf um den Schlafplatz und die tägliche Mahlzeit sowie nach dem Leben an sich, dem Glück oder Unglück der Einzelnen beziehungsweise des Einzelnen.
In ihrer Lyrik und Kunst befasst sich Gabriele D.R. Guenther mit Themen wie Obdachlosigkeit, sozialem Umbruch und Tod und untersucht dabei aus verschiedenen Blickwinkeln Entwicklungen und Übergänge. Politische wie auch emotionale Aspekte kommen dabei zum Tragen. Mit kühnem Auge werden zwischenmenschliche Interaktionen beobachtet und beleuchtet. Zusammenbruch und Verlust werden mit erstaunlicher und subtiler Achtsamkeit seziert.“ (K.C. Herceg, Lyrikerin, USA) Schon als Kind in Japan wurde sie mit dem Phänomen Obdachlosigkeit konfrontiert und war davon fasziniert. (Siehe „Outcast“, in „This Could Be You Composing Me). Bereits damals merkte sie, dass das Abrutschen in die Obdachlosigkeit erschreckend schnell geschehen kann.
Ausstellungsorte
Das Café Motte der Familie Kottmann gibt es seit Mai und es ist gleichzeitig Café, Bar und Galerie. Hier im Weddingweiser erfahrt ihr mehr über dieses ungewöhnliche Konzept des Cafés. Die Ausstellung im Café Motte ist vom 2. bis 11. November zu besichtigen. Öffnungszeiten sind von 12 bis 0 Uhr. Gleichzeitig werden Werke zu diesem brisanten Thema in der Schiller-Bibliothek, Müllerstraße 149 in der Galerie im 1. Obergeschoss vom 5. November bis 28. Dezember gezeigt. Angeschaut werden können die Arbeiten Montag bis Freitag 10–19.30 und Samstag 10–14 Uhr.
Programm
Freitag, den 2. November, 19 Uhr: Eröffnung im Café Motte, Nazarethkirchstraße 40, Einführung in die Ausstellung durch Meike Lander, Kunsthistorikerin
Mittwoch, den 7. November, 14 Uhr: Suppenküche bei Simit Evi, Café und Simit House, Müllerstraße 147, 19 Uhr Diskussion mit Betroffenen im Café Motte, Nazarethkirchstraße 40
Freitag, den 9. November, 17 Uhr: Führung durch die Ausstellung, Treffpunkt: Schiller-Bibliothek zum Café Motte
Café Motte, Nazarethkirchstr. 40 Ecke Malplaquetstraße
Susanne Haun fragt sich, ob wir Scham empfinden, wenn wir das Elend der Obdachlosigkeit auf der Straße näher betrachten? Schauen wir einfach weg? Trauen wir uns nur die leeren Schlafplätze und den Besitz der Obdachlosen näher zu betrachten? Das sind Fragen, denen sie künstlerisch nachgeht. Susanne Haun schreibt regelmäßig zu Themen nicht nur zur eigenen Kunst, sondern zur Kunst, die im lebendigen Wedding in Galerien und Ateliers zu finden ist.
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