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Auch ich in Berlin – Auflösung eines Rätsels

28. Oktober 2021
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Im Som­mer vor einem Jahr tauch­ten unge­wöhn­li­chen Stra­ßen­schil­der auf. „Auch ich in Ber­lin“ stand nun, wo sonst Gericht­stra­ße oder Wie­sen­stra­ße zu lesen war. In den sozia­len Medi­en gab es Fotos und vie­le Fra­gen, vor allem: Was soll das bedeu­ten? Spe­ku­la­tio­nen gab es auch auf den Kanä­len des Wed­ding­wei­sers, doch eine Ant­wort konn­te nie­mand geben. Jetzt wur­de das Geheim­nis gelüftet.

Broschüre "Auch ich in Berlin"
Die Bro­schü­re zur künst­le­ri­schen Inter­ven­ti­on. Foto: Hensel

Hin­ter der Akti­on steht die Künst­le­rin Ruth Baet­tig aus Basel in der Schweiz. Sie war im ver­gan­ge­nen Jahr über ein inter­na­tio­na­les Kunst­aus­tausch­pro­gramm für sechs Mona­te in Ber­lin, im Wed­ding. An dem Ver­wirr­spiel hat­te sie gro­ße Freu­de: „Mich inter­es­siert, wer es wahr­nimmt und wie man beginnt, sich dar­über Gedan­ken zu machen“. In den sozia­len Medi­en beob­ach­te­te sie die Reak­ti­on der Berliner:innen. „Das ging rasend schnell. Schon am nächs­ten Tag stand es auf Social Media, haupt­säch­lich auf Insta­gram, Twit­ter und Face­book“, sagt sie über die Reak­tio­nen auf ihre künst­le­ri­sche Inter­ven­ti­on. „Einen Gedan­ken­raum öff­nen“ nennt sie das, was sie errei­chen wollte.

Eine ech­te Gue­ril­la-Akti­on war es nicht, auch wenn es für die tem­po­rä­re Ände­rung der Beschrif­tung kei­ne Geneh­mi­gung vom Amt gab. „Die Schil­der wur­den von einem ech­ten Schil­der­ma­cher in der kor­rek­ten Schrift erstellt und ange­bracht. Ich habe dar­auf geach­tet, dass es nicht an kri­ti­schen Stel­len im Stra­ßen­ver­kehr auf­ge­hängt wur­de“, sagt Ruth Baet­tig. Die Orte, die sie für die fal­schen Stra­ßen­schil­der aus­ge­wählt hat, haben alle ein Ver­bin­dung zu ihr. Etwa in der Gericht­stra­ße in der Sack­gas­se vor dem Silent Green, wo Baet­tig einst an einer Som­mer­aka­de­mie teil­nahm. Oder in der Wie­sen­stra­ße, wo sie im Ate­lier­haus in der Num­mer 29 Ber­li­ne­rin auf Zeit war.

Broschüre "Auch ich in Berlin"
Die umge­stal­te­ten Stra­ßen­schil­der, ver­sam­melt in der Bro­schü­re. Foto: Hensel

Wer die Inter­ven­ti­on voll­ends ver­ste­hen will, muss den Blick jedoch über den Wed­ding hin­aus schwei­fen las­sen. Ins­ge­samt zehn Stra­ßen­schil­der gab es stadt­weit. „Auch ich in Ber­lin“ hing – außer im Wed­ding – in der Karl-Marx-Allee, am Cali­ga­ri­platz, Am Flut­gra­ben, in der Oker­stra­ße, in der Rheins­ber­ger Stra­ße, in der Hir­ten­stra­ße und am Pots­da­mer Platz. Alle fal­schen Schil­der sind inzwi­schen wie­der aus der Stadt ver­schwun­den – bis auf eins. Das ver­blie­be­ne befin­det sich im halb­öf­fent­li­chen Raum, auf dem ehe­ma­li­gen Kindl-Gelän­de in Neukölln.

„Die Akti­on ist auch eine Hom­mage an Ber­lin. Sie stellt auch die Fra­ge, ob die Stadt noch immer das kul­tu­rel­le Para­dies ist“, sagt sie. Für sich per­sön­lich hat sie dar­auf eine Ant­wort: „Ber­lin hat sich extrem geän­dert. Aber man kann hier immer­noch sein Netz­werk aus­wei­ten zwi­schen den ver­schie­de­nen Kunst­be­rei­chen, hier ist noch Platz für Dis­kus“, sagt sie. Die Mischung der Kunst­spar­ten ist auch das, was sie in ihrer Arbeit inter­es­siert. Die frei­schaf­fen­de Künst­le­rin beschäf­tigt sich mit Video, Foto­gra­fie, Per­for­mance und als Kul­tur­schaf­fen­de im Bereich des Bewegt­bil­des. Zusam­men mit Giu­sep­pe Di Sal­va­to­re, der sie nach Ber­lin beglei­te­te, betreibt sie die Online­platt­form Film­ex­plo­rer, die sich kri­tisch mit Fil­men auseinandersetzt.

Ein neues Schild für die Wiesenstraße: Auch ich in Berlin
Blick in die Bro­schü­re. Auf dem foto rechts oben wird gera­de die Wie­sen­stra­ße umbe­nannt. Foto: Hensel

Die Stra­ßen­schil­der sind nun etwas ganz greif­ba­res, sie erzeu­gen Irri­ta­ti­on in einem bestehen­den Sys­tem. Die Asso­zia­tio­nen der Pas­san­ten, der Betrach­ter, der Weg­su­chen­den konn­ten sich mit und wegen Ruth Baet­tigs Inter­ven­ti­on ein­mal anders und frei über den Stadt­raum ent­fal­ten. Eini­ge der Kom­men­ta­to­ren der Stra­ßen­schild-Akti­on erkann­ten sogar den Bezug zu Johann Wolf­gang von Goe­the, der sei­ner Ita­li­en­rei­se 181317 das Mot­to „Auch ich in Arka­di­en“ gege­ben hat­te. Die latei­ni­sche Phra­se „Et in Arca­dia ego“ geht zurück auf ein Gemäl­de des ita­lie­ni­schen Barock­ma­lers Gio­van­ni Fran­ces­co Bar­bie­ri. Eine Abbil­dung des Gemäl­des ist auch in der Begleit­bro­schü­re zur Kunst­ak­ti­on von Ruth Baet­tig zu fin­den. Eben­so wie ein Aus­wahl der Kom­men­ta­re aus Ber­lin und aus­führ­li­che Tex­te rund um die Inter­ven­ti­on in eng­li­scher Spra­che. Die Bro­schü­re hat die Künst­le­rin aus der Schweiz kürz­lich in der Wie­sen­stra­ße vor­ge­stellt und für neu­gie­ri­ge Besucher:innen das Rät­sel der Kunst­ak­ti­on aufgelöst.

Mehr über Ruth Baet­tig gibt es online unter www.ruthbaettig.com oder bei www.filmexplorer.ch.

Verändertes Straßenschild in der Gerichtstraße
“Auch ich in Ber­lin” – die Künst­le­rin Ruth Baet­tig benann­te die Gericht­stra­ße kurz­zei­tig um. Foto: Hensel

2 Comments Leave a Reply

  1. Vie­len herz­li­chen Dank für den Aus­führ­li­chen Bericht zur Ver­öf­fent­li­chung der Publi­ka­ti­on in Form einer Zei­tung im Ber­li­ner For­mat:-) Eine klei­ne Berich­ti­gung: Die Stras­sen wur­den nicht “umbe­nannt”, denn die Schil­der wur­den nach den Regeln der Stras­sen­na­men mon­tiert; d.h. die­se inte­grier­ten sich unter­halb des bestehen­den Stras­sen­na­men, somit war die Ori­en­tie­rung der Bür­ger zuge­si­chert. Natür­lich öff­ne­ten die­se Schil­der – wie im Bericht sehr schön gesagt wird – Gedan­ken- und Geschich­ten­räu­me. Vie­len Dank an euch alle!

    • Dan­ke für die Prä­zi­sie­rung und vie­len Dank für die schö­ne Akti­on. Über­rasch uns hier im Wed­ding ger­ne wie­der! Dominique

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