Ein Interview von Renate Straetling mit Christiane Ginkel, Sozialarbeiterin in der Johannesstift Diakonie (JSD), Koordinatorin des Projektes Lebendige Nachbarschaft (LeNa).
Wie kann man sich im Alter im Stadtteil gegenseitig helfen, so dass es beiden Seiten nützlich ist? Womit ist es möglich, auch die Wechselfälle des Lebens im Alter zu kompensieren? Wie kann man nach einer überstandenen Krankheit im Alter wieder sozial Fuß fassen? Wie kann man im Alter noch lernen und Erfahrungen weitergeben und austauschen? Das Angebot Lebendige Nachbarschaft, kurz und freundlich LeNa genannt, ist ein Teil der Lösung, denn es vermittelt Tandems aus jeweils einem Älteren und einem ehrenamtlich tätigen Menschen. Beide treffen sich zukünftig regelmäßig.
Die Treffen finden in der Regel einmal wöchentlich, für ein bis drei Stunden statt. Dabei geht es nicht nur generationenübergreifend, sondern auch multikulturell zu.
Christiane Ginkel, wie kam es zur Gründung des Projektes Lebendige Nachbarschaft?
LeNa ist im Jahr 2009 im Johannesstift Spandau ins Leben gerufen worden, als das 100-jährige Bestehen der Stiftung am Standort gefeiert wurde. Mit dem Projekt sollte der diakonische Auftrag der Altenhilfe modern nach außen praktiziert werden. Das Projekt wurde mir 2014 anvertraut zum Aufbau im Berliner Stadtteil Wedding.
Wie entstehen diese Tandems aus Älteren, die aus der Einsamkeit heraus möchten und Ehrenamtlichen, die dazu einmal wöchentlich zu Besuch kommen?
Wir machen Werbung mithilfe von Flyern und sind auch im Internet (www.jsd.de/lena) vertreten. Menschen, die sich aktiv engagieren möchten, finden uns oft über Internetrecherche oder wenden sich an Freiwilligenagenturen oder Ehrenamtsdatenbanken. Über die Flyer aber auch über unsere Netzwerke wie die Runden Tische Senioren, sind wir präsent in der Palette der Hilfestellungen für ältere und hochbetagte Menschen. Oft sind es also Netzwerkpartner in der Seniorenarbeit, die die älteren Menschen über unser LeNa-Angebot informieren und sich dann an uns wenden, um Tandempartner oder ‑partnerin zu finden. Auch werden Familienmitglieder oft aktiv, wenn es darum geht, einem Angehörigen aus der Isolation zu helfen. Im Alter den Anschluss an lebendige soziale Begegnungen zu erhalten bzw. wiederzufinden, ist das Motto von LeNa.
Was ist konkret die Aufgabe der ehrenamtlichen Besuchenden?
Es geht vor allem darum, Gesellschaft zu leisten, etwas gemeinsam zu tun, Spiele zu spielen, gemeinsam zu lachen, sich also persönlich zu begegnen. Wichtig beim Besuchsdienst ist, und diese Regel gilt für beide Seiten, dass Serviceleistungen ausgeschlossen sind und auch keine Pflege erbracht wird, denn es soll Zeit, Vertrauen und Freude geschenkt werden.
Was sind die hauptsächlichen Gründe für die Teilnahme durch die Nachbarn?
Es gibt viele gute Gründe, sich an LeNa zu wenden. Zum Beispiel gibt es Menschen, die lange Zeit verwitwet sind und in Einsamkeit verhärten. Weitere Gründe sind neben familiären oder nachbarschaftlichen Veränderungen auch körperliche Einschränkungen oder Krankheiten, die die Älteren vom Alltag teilweise ausschließen, trotz noch vorhandener Neugierde am Leben und dem Wunsch nach sozialer Teilhabe. Wichtig ist es, den Menschen da abzuholen wo er steht und ihm die Chance zu geben, in Gesprächen sein Wissen zu erweitern aber auch Klischees und Vorurteile, z.B. gegenüber Jüngeren und Menschen mit anderer Herkunft abzubauen.
Was sind die aktuellen Herausforderungen bei LeNa?
In den letzten Monaten sind die Neuanfragen von Ehrenamtlichen, bei steigender Nachfrage älterer Nachbarn im Wedding, zurückgegangen. Vermutlich sind vor allem Jüngere, die zwei Jahre durch Corona ausgebremst waren, nun wieder so stark in Aktivitäten eingebunden, dass sie wenig Zeit haben, sich auf ein Ehrenamt zu konzentrieren. Hinzu kommt möglicherweise, dass aktuell viel gesellschaftliches Engagement benötigt wird, um geflüchtete Menschen aus der Ukraine zu unterstützen.
Christiane Ginkel, was kann die heutige Generation der Senior:innen, die noch internetfern lebten und arbeiteten, von den Tandems erwarten?
Manchmal kann der Besuchsdienst einen Teil dazu beitragen, die besuchten Nachbarn darin zu unterstützen, den Zugang zu digitalen Medien zu finden. Einem jungen Ehrenamtlichen ist es beispielsweise gelungen, seiner fast blinden Tandempartnerin beizubringen, wie sie in ihrer Situation eigenständig und viel selbstbewusster den Alltag meistern kann. Wenn man gemeinsam herausfindet, wo es denn genau hakt und was man digital können sollte, um die erwünschten Kontakte und Interessen zu pflegen, ist schon ein Teil der Lösung gefunden. Daneben gibt es auch den Digital-Kompass im Zukunftshaus Wedding mit den beiden Angeboten „Computertreff“ und „Digitalpatenschaften“.
Wie gestalten Sie die Zusammenstellung der Tandempartner?
Wichtig ist vor allem die Qualität des Zusammenseins der beiden Personen, die einen kleinen Teil ihres Lebens zusammen gehen und eine Beziehung aufbauen.
Mein Part ist es, diese Personen zusammenzuführen und in ersten gemeinsamen Gesprächen zu prüfen, ob sie sich miteinander wohlfühlen. Im Folgenden ist es wichtig, die Entwicklung des Tandems im Blick zu behalten, um gegebenenfalls mit einem Gesprächsangebot zur Seite zu stehen wenn Fragen aufkommen oder auch um zu schlichten, wenn Missverständnisse auftreten. Zurzeit hat LeNa Wedding 17 Ehrenamtliche, die 22 Menschen besuchen und gern möchte ich noch einige weitere Tandems zusammenbringen.
Was ist für Sie das Wesentliche an dieser Art der Hilfe im Alter?
Wichtig ist für mich, das Lebendige und das Authentische der älteren Menschen zu erhalten. Auch der Austausch über den Stadtteil, in dem die Jüngeren erst seit kurzem leben, während die älteren Nachbarn teilweise ihr ganzes Leben dort verbracht haben, ist für viele ein Anreiz für das Ehrenamt. Es ist oft spannend und anregend, wenn sich zwei Menschen ihren Stadtteil aus verschiedenen Perspektiven und Lebenserfahrungen zeigen und dabei ihre Lebensansichten teilen.
Die persönliche Begegnung leistet einen großen Beitrag, bestehende Altersbilder in der Gesellschaft aufzuweichen und dem individuell gelebten Leben Raum und Anerkennung zu geben. Dies ist eine der wesentlichsten Erkenntnisse für mich!
Frau Ginkel, vielen Dank für dieses Gespräch und viel Erfolg mit der Lebendigkeit
unserer alten Nachbarn durch LeNa!
Interview/Foto: Renate Straetling
FAQ zum Besuchsdienst LeNa
Kontaktdaten zu LeNa
Ort: Müllerstraße 56–58, 13349 Berlin-Wedding
Telefon: 030 – 451 98 81 17
Mobiltelefon: 0163 – 390 85 04
E‑Mail: [email protected]