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Namen erzählen alle eine Geschichte:
Afrikanisches Viertel, ein Kind seiner Zeit

30. Juli 2023
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Als ich das erste Mal den Namen Afrikanische Straße hörte, fand ich ihn ungewöhnlich, irgendwie untypisch für eine deutsche Straße. Es gibt ja auch keine Amerikanische, Australische oder Asiatische, nicht mal eine Europäische Straße. Wie ich heute weiß, ist das sogar noch der neutralste Name im Afrikanischen Viertel, denn vor allem die anderen Straßennamen erzählen eine Geschichte, die Geschichte des Zeitgeistes ihrer Benennungsepoche.

Ausdruck deutschen Großmachtstrebens

Angefangen hat die Benennung der Straßen in der Kaiserzeit, 1899. Die Togo- und die Kameruner Straße wurden nach den damaligen Kolonien des Deutschen Reiches benannt. Doch dass dies genau hier passierte, lag an den Plänen von Carl Hagenbeck, in der Nähe, auf dem Gelände des heutigen Volksparks Rehberge, einen Zoo zu etablieren, wie er es in Hamburg schon getan hatte. Dabei hätten neben den Tieren auch Menschen aus afrikanischen Völkern gezeigt werden sollen - aus heutiger Sicht unvorstellbar. Der erste Weltkrieg verhinderte die Ausführung dieses fragwürdigen Plans.

Weitere Straßen folgten bald: die Lüderitzstraße, die Guineastraße, die Afrikanische Straße, die Transvaalstraße. Diese Straßenbenennungen zwischen 1902 bis 1907 standen für die koloniale Position Deutschlands, mal als Vermittler in Grenzkonflikten (Guinea), mal als Sympathisant der Buren (Transvaal). 1910 erhielt der Nachtigalplatz seinen Namen - mit ihm wurde Gustav Nachtigal geehrt, ein Afrikaforscher, dessen militärischem Engagement das Reich die Kolonien Togo und Kamerun verdankte. Auf Wunsch Bismarcks wurde er dann in seinem letzten Lebensjahr noch Reichskommissar für die Kolonien. Ebenfalls 1910 wurden Straßen nach Windhuk und Swakopmund benannt, zwei Städte in der damaligen Kolonie Deutsch-Südwest, dem heutigen Namibia. An die Otawi-Minen- und Eisenbahngesellschaft, die Rohstoffe in Namibia ausbeutete, erinnert die Otawistraße. 1912 erhielten die Kongo- und die Sansibarstraße ihre Namen. Im Jahr zuvor hatte Frankreich im Ausgleich für die Anerkennung der Kolonie Marokko einen Teil Kongos an die Deutschen abgetreten. Sansibar hingegen war schon seit 1885 eine deutsche Kolonie, wurde 1890 jedoch mit den Briten gegen die Insel Helgoland getauscht.

Sogar ein Verbrecher wurde geehrt

Nachdem Deutschland 1918 alle seine Kolonien verloren hatte, endete die Benennung von Straßen im Afrikanischen Viertel jedoch nicht. 1927 ging es weniger um politisch motivierte Namen, sondern um geographische Aspekte - eher zufällig ausgewählt aus dem Diercke-Weltatlas, wie sich der damalige Stadtrat Kurt Rieck später erinnerte. So erhielten die Sambesi-, die Uganda-, die Tanga- und die Dualastraße ihre Namen. Auch die Mohasi-, die Damara- und die Usambarastraße wurden benannt, allerdings erst 1937/38.

Die letzte Vorkriegsbenennung war später besonders umstritten: Die Nationalsozialisten benannten 1939 einen Teil der Londoner Straße in Petersallee um und ehrten damit nachträglich den noch zu Lebzeiten in Verruf geratenen Reichskommissar Carl Peters, der seines Amtes in Deutsch-Ostafrika 1896 enthoben wurde, weil seine menschenunwürdigen Verbrechen selbst für das Kaiserreich nicht mehr tragbar waren.

Differenzierterer Blick auf die Namen

In der Nachkriegszeit änderte sich die Perspektive auf das Thema. Eine letzte Straßenneubenennung erfolgte 1958 mit der Ghanastraße. Doch damit ehrte man bewusst die Unabhängigkeit eines afrikanischen Landes nach Überwindung seiner Kolonialzeit - keine Benennung aus einem Großmachtdenken heraus.

Und seither? Insbesondere die drei nach Personen benannten Straßen und Plätze waren ab den 1980er-Jahren sehr umstritten. Die Petersallee war politisch absolut nicht mehr tragbar. Doch statt sie umzubenennen, wurde sie 1986 "umgewidmet", also nach einer gleichnamigen Person benannt, nach Dr. Hans Peters, einem NS-Widerstandskämpfer. Eine sehr halbherzige Lösung, die auf Dauer auch keinen Bestand haben wird.*

Ab 2010 verfolgten postkoloniale Initiativen und verschiedene Parteien im Bezirk Mitte die Schaffung eines Lern- und Erinnerungsortes. Denn im Afrikanischen Viertel finden sich in dieser Größenordnung besonders viele Straßennamen, die an die koloniale Zeit Deutschlands und die Beurteilung der postkolonialen Welt aus deutscher Sicht erinnern. Vor allem die Namen Nachtigalplatz, Lüderitzstraße und Petersallee gerieten ins Blickfeld, waren ihre Namensgeber mindestens umstritten. Das Bezirksparlament entschied 2016 schließlich "pro Umbenennung". Doch mit der Namensfindung tat man sich schwer. Eine anwohnerfreie Geheimkommission erstellte eine Liste von Namen, die für einen mittleren Skandal sorgte. So stand sogar eine afrikanische Stammeskönigin auf der Liste, die ihr eigenes Volk an Sklavenhändler verkauft hatte. Das ganze, wenig bürgerfreundliche Verfahren musste neu aufgerollt werden, doch hat der Bezirk beim zweiten Versuch wieder kein glückliches Händchen bewiesen: Die betroffenen Anwohner:innen wurden in den Prozess wieder nicht involviert. Das alles entsprach zwar dem Berliner Straßengesetz, das keine Mitsprache der Betroffenen vorsieht. Doch als es dann 2022 nach Abarbeitung vieler Widersprüche und Klagen zur feierlichen Umbenennung des Nachtigalplatzes in Manga-Bell-Platz und der Lüderitzstraße in Cornelius-Fredericks-Straße kam, randalierten Unbekannte im Rathaus. Anwohner skandierten Parolen während der feierlichen Enthüllung der neuen Straßenschilder. Wirklich mitgenommen hat die Politik die Weddinger also nicht, sodass die neuen Namen bis heute auf wenig Akzeptanz stoßen.

Wie ist der Stand?

Als Bewohner des Viertels bin ich stolz auf die Besonderheit der Benennungen. Was mir aber insgesamt fehlt, ist eine historische Einordnung der Straßennamen. Über deutschen Kolonialismus habe ich in der Schule jedenfalls nichts gelernt. Warum also wurden die Straßen benannt, und nach wem eigentlich? Erklärende Zusatztafeln hat man nur den beiden neuesten Straßennamen spendiert, alle anderen Namen bleiben ohne historischen Kontext. Dabei wäre das bei diesen doch besonders lehrreich. Lediglich eine Infotafel an der Müller-/Otawistraße klärt über den Zusammenhang auf.

So bleibt für mich der Verdacht, dieses einmalige Zeugnis kolonialer und postkolonialer Positionen Deutschlands soll als Flächendenkmal unserer Kolonialgeschichte nicht erhalten bleiben. Und das wäre sehr schade, denn das Afrikanische Viertel bietet mehr als jedes andere Viertel in Berlin Anschauungsmaterial für ein bislang kaum bekanntes historisches Kapitel, das der Kolonien und auch der deutschen Großmannssucht.

Immerhin muss man den neuen Straßennamen eines zu Gute halten: Mit ihnen wird der Weg zur Aufarbeitung der Kolonialgeschichte beschritten, denn die somit Geehrten haben sich gegen die deutsche Kolonialherrschaft aufgelehnt und sind wichtige Symbolfiguren ihrer jeweiligen Völker. Doch das ist eine andere Geschichte, die ebenfalls erzählt werden muss.

* mit Material eines Artikels von Joshua Kwesi Alkins aus dem Jahr 2007

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

5 Comments Leave a Reply

  1. Klasse Beitrag! Vielen Dank!!!
    Gut rechercheirt und sehr sachlich mit dem Problem der Straßenumbenennungen umgegangen. Ich habe zwar kein Verständnis für Randalierer im Rathaus, kann aber auch den Frust vieler Weddinger verstehen. Für mich, geboren anno 1972 und aufgewachsen im Wedding, waren die Straßennamen im Afrikanischen Viertel nie ein Thema. Gut dass, wir jetzt mehr über die Hintergründe wissen, und das sollten wir an folgende Genrationen weiter geben. Kommt jedoch der Druck für die Umbenennung der Straßen von außen, von Menschen die nach Deutschland eingewandert sind, läuft hier etwas falsch. Ein freies und selbstbestimmtes Leben führen zu können, heißt für mich nicht, uns gebürtigen Weddingern zu erklären, wie wir richtig mit unserer Geschichte umgehen müssen. So eine Diskussion muss aus der Mitte der Gesellschaft heraus geführt werden und die Entscheidungen, gerade wegen der interkulturellen Brisanz, nicht über die Köpfe der Anwohner hinweg geführt werden. Wir brauchen nicht noch mehr AfD-Wähler.

  2. Habe gelebt in der Sansibar Straße, mein Freund wohnte in der Togo Straße und keiner hatte jemals einen Hintergedanken um das Afrikanischen Viertel.

  3. Noch schlimmer ist die „Marie-Elisabeth-von-Humboldt-Str.“ 🫣 im
    Neubausiedlungsgebiet von Berlin-Hohenschönhausen, entstanden in den 90ern.
    Das passt wirklich in kein Formular, was im heutigen „elektronischen Zeitalter“ eine Katastrophe ist! [Nicht einmal die Behörden wissen wie sie damit (einheitlich) umgehen sollen. Viele Variationen, von M.-E.-v.Humboldt-Str. bis Marie-E-v-Hum-St… ist vertreten.]

  4. Bisher habe ich auf Straßennamen nie besonders geachtet.
    Auch spannend das man bei einigen Straßen einfach in den Atlas geschaut hat.
    Was mich bei Straßenbennenungen in der letzen Zeit stört ist, das es keine guten Straßennamen sind. Warum kann es nicht die Frederickstr. sein? Corenlius-Fredericks-Str. lässt sich nicht leicht sagen, ist nicht leicht verständlich und passt in kaum ein Formular.

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