Ende 2014 brannten die früheren „Schwarzmarktbuden“ an der Müllerstraße Ecke Lindower Straße, zuletzt gewerblich genutzt. Sie waren ein Relikt der unmittelbaren Nachkriegszeit. Als sie in Flammen standen, ging ein Stück Wedding unwiederbringlich verloren. Doch nach ihrem Verschwinden – manche glaubten an einen „warmen Abriss“ – begann der unaufhaltsame Wandel der einstmals – selbst für Weddinger Verhältnisse – besonders unwirtlichen Schmuddelecke.
Überhaupt, die ganze Lindower. An der Südseite der Straße zieht sich der Ringbahnhof Wedding, bis 2002 mit einer Kombination aus bunt angetünchtem Beton und den alten gemauerten Viaduktbögen wieder neu erstanden. An der Nordseite hat sich eine bunte Mischung aus alten Fabriken, flachen Gewerbebauten und einigen wenigen gründerzeitlichen Wohnhäusern erhalten. Trotz bester innerstädtischer Lage eine Art Randlage, schmuddelig und vorstädtisch. Kein stimmiges Ganzes, oft übelriechend, aber immer voller Leben.
Einzelhandel für den Kiez interessant
Spätestens nach dem Brand erwachte das ganze Areal zwischen Ringbahn, westlicher Gerichtstraße und dem Arbeitsamt an der Müllerstraße auf einmal aus seinem Dornröschenschlaf: Überall drehen sich seither Kräne, wurde das kleinteilige Gewerbegebiet (mittendrin noch immer eine Baptistenkirche aus dem 19. Jahrhundert) vollständig umgekrempelt – und zieht auf einmal mit einem zehngeschossigen Hochhaus ungewohnte Aufmerksamkeit auf sich. Das Projekt „Campus“ mit einer strengen, weißen Rasterfassade und seinen schlanken Eckkolonnaden besetzt die Ecke Müllerstraße/Lindower Straße und strahlt aus: Ab jetzt ist das hier auch Mitte!
In erster Linie dient der strahlend helle Klotz als Bürogebäude, aber auch möblierte Appartements befinden sich darin. Nichts, was etwas mit dem umgebenden Kiez zu tun haben soll. Außer vielleicht die beiden Einzelhändler.
Der EDEKA (die zweite Fromm-Filiale im Wedding) und eine der ersten Berliner Filialen des Hamburger Drogeriemarkts Budni(kowski) haben sich einen idealen Standort gesucht: Schließlich gehört sich das für den wichtigen Umsteigepunkt zwischen U- und S‑Bahn so. Der Supermarkt ist modern und spricht ein junges urbanes Publikum an. So gibt es ein ganzes Selbstbedienungsregal mit losen Nahrungsmitteln, ganz wie in einem “unverpackt-Laden”. Die Anzahl der Kassen, an denen die Kunden selbst einscannen und kassieren können, zeigt ebenfalls, dass hier ein ganz neuer Wind weht – kein Vergleich mit den schrammeligen Buden, die es früher hier gab.
Der Budni-Markt lässt jede dm-Filiale beengt und vollgestellt erscheinen, so geräumig sind die Gänge. Eine schöne, neue Shoppingwelt für den Wedding.
Vielleicht muss man sich einfach daran gewöhnen, dass der Bahnhof Wedding eigentlich mitten in Berlin liegt und nicht an der Peripherie.
Und so liegen hier jetzt Büros, Coworking-Spaces und Kaffeeröstereien wie in anderen Innenstädten auch. Nur dass drumherum lebendige Kieze liegen, in denen ganz normale Mieter wohnen.
Und das hoffentlich auch noch für lange Zeit.
Denn noch immer bleibt das Bürohaus ein Fremdkörper. Noch immer riecht es unter dem Viadukt unangenehm.