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Eine besondere Werkstatt an der Seestraße:
Bis in die Puppen im Wedding

Über die Puppenwerkstatt in der Kapernaumkirche
29. Juli 2024

„Ist die Tech­nik noch so weit – Hand­ar­beit bleibt Hand­ar­beit“ ist das Mot­to der gelern­ten Maß­schnei­de­rin Ros­wi­tha Lucas. Sie hat über 30 Jah­re lang die Pup­pen­werk­statt in der Kaper­naum­kir­che an der See­stra­ße 34 geführt. Nun wird eine Nach­fol­ge gesucht, denn mit 83 Jah­ren möch­te Frau Lucas gern wei­ter­ge­ben. Sie stell­te Pup­pen kom­plett in Hand­ar­beit und aus Natur­ma­te­ria­li­en her, und das soll auch das wei­te­re Kon­zept sein.

Frau Lucas im Club­raum der Kaper­naum­kir­che – Foto: Rena­te Straetling

Ich führ­te ein Gespräch mit Frau Lucas über die Freu­de an der Arbeit für Hun­der­te Pup­pen, die im Lau­fe der Jahr­zehn­te entstanden.

Wie fing alles an? Wie kam es zur Grün­dung der Pup­pen­werk­statt im Club­raum der Kapernaumgemeinde?

Es fing schon frü­her an, aber vor 30 Jah­ren habe ich, ehren­amt­lich gemein­sam mit mei­ner Freun­din Sig­rid Fink, die haupt­amt­lich bei der Kir­che beschäf­tigt war und lei­der schon ver­stor­ben ist, die Idee für die Pup­pen­werk­statt auf­ge­grif­fen. Wir such­ten ande­re Pup­pen­werk­stät­ten auf und schau­ten uns eini­ges ab. Dabei lern­ten wir etli­che Pup­pen­ma­che­rin­nen ken­nen und wir tausch­ten uns aus.

Wie ging es dann im Club­raum los?

Frau Lucas Wir lern­ten vor allem bei einer Zehlen­dor­fer Pup­pen­ma­che­rin. Ein­mal kamen wir von dort heim in den Wed­ding, und ich hat­te vor, zunächst ein Vor­zei­ge­bei­spiel zu gestal­ten. Aber Sig­rid Fink hat­te vor Begeis­te­rung schon so viel Wer­bung gemacht, dass plötz­lich vie­le Teil­neh­mer da waren. Wir waren zudem erstaunt, dass Pup­pen nach Wal­dorf­päd­ago­gik so viel Anklang in der Umge­bung der Kaper­naum­kir­che fanden.

Was war am Anfang beson­ders, denn Sie muss­ten sel­ber ler­nen und üben?

Es gab Kur­se in ande­ren Bezir­ken, die aber nicht kos­ten­frei waren wie unse­re Werk­statt, son­dern an einem Wochen­en­de einen Work­shop anbo­ten, was aber nicht garan­tier­te, dass eine Pup­pe fer­tig wur­de. Wir rech­nen 25 Stun­den für die Anfer­ti­gung nur des Kör­pers der Pup­pe, die Anzieh­sa­chen zu machen ist ein wei­te­rer Arbeits­schritt. Am wich­tigs­ten ist die Hand­ar­beit, die man selbst für die Pup­pe auf­wen­det und das Bas­teln mit Hingabe.

Wie vie­le Teil­neh­men­de hat­ten Sie im Lau­fe der Zeit?

Es kamen vie­le Teil­neh­me­rin­nen, und in den gesam­ten Jahr­zehn­ten mach­ten zwei Her­ren enga­giert mit. Auch etli­che Leh­re­rin­nen nah­men teil. Man­che waren in der Wal­dorf­päd­ago­gik tätig und brauch­ten über die dor­ti­ge Ein­ar­bei­tung hin­aus noch­mals einen Ver­such bei mir, um Sicher­heit im Unter­richt mit ihren Schul­kin­dern zu haben, denn eine Wal­dorf­pup­pe im Lau­fe der Schul­zeit her­zu­stel­len, gehört in das Pflicht­pro­gramm für jeden Wal­dorf­schü­ler der Waldorfschulen.

Wie vie­le Pup­pen sind in die­sen Jahr­zehn­ten entstanden?

Wenn ich das wüss­te! Ich woll­te schon ein­mal die Adres­sen in mei­nem Adress­buch nach­zäh­len, dann könn­te ich die Anzahl bes­ser schät­zen. Sicher­lich sind es vie­le und es sind vor allem auch unter­schied­li­che Pup­pen ent­stan­den, also Pup­pen, Kas­per­le, Zwer­ge und Engel, und auch gro­ße, klei­ne, manch­mal auch exo­ti­sche, Hand­pup­pen und Krip­pen­fi­gu­ren. Bei den Krip­pen­fi­gu­ren wer­den die Tie­re wie Ochs und Esel gestrickt und nicht in die­sem viel­fäl­ti­gen Stil zuge­schnit­ten, genäht, bestickt.

Wer kam noch?

Man kann sagen, dass vie­le kamen, ein gemisch­tes Publi­kum nahm teil. Dabei lern­te ich bis zu vier Gene­ra­tio­nen ken­nen. Ich sel­ber bin in der Kaper­naum­kir­che getauft wor­den, und so kamen auch vie­le als jun­ge Frau­en, wenn sie gehei­ra­tet hat­ten und schwan­ger wur­den, und spä­ter bis hin zum Gestal­ten für die eige­nen Enkelkinder.

Oft hat­ten wir wäh­rend der Werk­statt Babys im Körb­chen in der Mit­te des gro­ßen Arbeits­ti­sches und alle freu­ten sich über schla­fen­de oder lau­schen­de Kindchen.

Haben Sie wei­te­re Din­ge gebastelt?

Ja, par­al­lel zur Pup­pen­werk­statt gab es eine Bas­tel­grup­pe, die eine Pas­to­rin gegrün­det hat­te: Dort hat man nur für den Kir­chen­ba­zar her­ge­stellt. Es gab Sei­den­ma­le­rei, Bema­lung von Stof­fen und Makra­mee­ar­bei­ten, die schön und gut für den Ver­kauf waren. Die gebas­tel­ten Pup­pen aller­dings waren immer für den pri­va­ten Gebrauch bestimmt.

Was ist das Beson­de­re an dem ver­wen­de­ten Mate­ri­al nach Waldorf-Konzept?

Es ent­stan­den anspruchs­vol­le Pup­pen, die vom Mate­ri­al her auch nicht bil­lig waren. 30 DM oder heu­te 30 € muss man dafür min­des­tens ein­pla­nen. Dabei ist der Baum­woll-Tri­kot­stoff sehr wich­tig, denn der wird vor allem für den Kopf ver­wen­det und bestickt. Aber auch Schaf­wol­le wird für das Aus­stop­fen der Kör­per vor­ge­se­hen. Die­se Mate­ria­li­en und Stof­fe wie die eher teu­ren Tri­kot- oder West­fa­len­stof­fe sind heu­te nicht ein­fach in nahe­ge­le­ge­nen Läden zu fin­den, man muss schon die ver­blie­be­nen weni­gen Fach­ge­schäf­te auf­su­chen. Auch die Rie­sen­na­deln, die man benö­tigt, um den Kopf der Pup­pen zu bear­bei­ten, gibt es nicht in den Kurzwarengeschäften.

Wel­che Erfah­run­gen mach­ten Sie mit dem Material?

Anfangs haben wir ech­te direkt gescho­re­ne Schaf­wol­le im Hof der Kir­che in Bot­ti­chen selbst gewa­schen, aber das Fett ging dabei nicht raus. Wir hat­ten so fet­ti­ge Hän­de, dass Sei­den­stof­fe, mit denen wir sonst noch arbei­te­ten, nicht fle­cken­frei blie­ben. So haben wir die Schaf­wol­le nur noch vor­be­han­delt gekauft und eingesetzt.

Gibt es Abwei­chun­gen vom Ori­gi­nal der Wal­dorf­pup­pen nach Rudolf Steiner?

Rudolf Stei­ner hat­te kei­ne Gesich­ter, kei­ne beson­de­re Mimik oder mas­ken­haf­ten Aus­druck für die Pup­pen­ge­sich­ter vor­ge­se­hen. Das spie­len­de Kind sol­le sich selbst die Stim­mung der Pup­pe wün­schen oder durch das eige­ne Spiel erleben.

Ist eine Werk­statt für Kuschel­tie­re denkbar?

Es soll hier im Club­raum der Kaper­naum­kir­che eine Pup­pen­werk­statt bleiben!

Wie sieht es mit der Nach­fol­ge für die Werk­statt aus?

Ja, es wur­de bekannt gemacht, dass eine Nach­fol­ge gesucht wird. Und es wur­de auch annon­ciert. Mei­ner Auf­fas­sung nach soll­te dies eine aus­ge­bil­de­te Schnei­de­rin machen, denn die Schnit­te zu erstel­len und die Pro­por­tio­nen der Pup­pen­tei­le zu beach­ten, erfor­dert Geschick.

Fotos: Rena­te Straetling

LINKS

http://kapernaum-berlin.de/puppenwerkstatt/

https://commons.wikimedia.org/wiki/Category:Waldorf_dolls?uselang=de

https://de.wikipedia.org/wiki/Waldorfp%C3%A4dagogik

Renate Straetling

Ich lebe seit dem Jahr 2007 in Berlin-Wedding, genauer gesagt im Brüsseler Kiez - und ich bin begeistert davon. Wir haben es freundlich, bunt ohne Überspanntheit.
Jg. 1955, aufgewachsen in Hessen. Seit dem Jahr 1973 zum Studium an der FU Berlin bin ich in dieser damals noch grauen und zerschossenen Stadt. Mittlerweile: Sozialforschung, Projekte. Seit 2011 auch Selfpublisherin bei www.epubli.de mit fast 60 Titeln. Ich verfasse Anthologien, Haiku, Lesegeschichten, Kindersachbücher und neuerdings einen ökologisch orientierten Jugend-SciFi (für Kids 11+) "2236 - ein road trip in einer etwas entfernteren Zukunft" (Verlagshaus Schlosser, 28.11.22).-
Meine Beiträge zu meiner Kolumne Ü 60 habe ich für alle, die lieber analog lesen, in einem Sammelband zusammengefasst
Renate Straetling
Kolumne Ü 60 - Sommer 2022 – Sommer 2024
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