Mit einem kling-kling-kling beginnt kurz nach acht Uhr der Tag in der Uferstraße und mit einem kling-kling-kling endet gegen 15 Uhr 30 der Arbeitstag für Marco Allrich. Dann packt der Steinsetzer seinen Hammer ein – bis zum nächsten Tag. Marco Allrich pflastert die Uferstraße entlang der Panke. Eine Dauerbaustelle seit über zwei Jahren. Auf 600 Metern wurden die dicken Abwasserrohre ausgewechselt sechshundert Meter lang ist die Straße und nun ist das Ende absehbar: Noch 80 Meter, noch ein paar Tausend Steine, dann, im Juni dieses Jahres, wird das letzte kling-kling-kling ertönen.
Am Anfang hatten die Bewohner der Uferstraße den Mann mit dem Pferdezöpfchen kaum wahrgenommen. Aber mit jedem Tag, an dem man ihm bei der Arbeit zusehen konnte, wuchs bei den Anwohnern erst die Ver- und dann die Bewunderung, wie ein einzelner Mensch eine solche Herkulesaufgabe meistern sollte. Der Berg an Pflastersteinen, der sich vor ihm türmte, und der am Abend kaum kleiner geworden war, schien unendlich.
„Drei Schläge und der Stein muss sitzen“, sagt Marco Allrich, als er nach der Mittagspause wieder den Hammer nimmt. Jeder Schlag hat einen Namen: „Gas–Wasser–Miete“, erzählt Allrich, „so wenig haben die Pflasterer damit früher verdient". Heute sei es nicht viel besser, sagt er, „aber ich kann mir keine schönere Arbeit vorstellen.“ Tatsächlich wird die Uferstraße demnächst ein Schmuckstück unter den Berliner Straßen sein. Uralte Granitsteine bilden zumindest einen Teil der Straßendecke und selbst die ehemaligen Straßenbahnschienen wurden als erkennbare Linien in das Pflaster eingearbeitet. Auch das Pflaster steht schließlich unter Denkmalschutz. „Diese Straße wird es noch geben, da bin ich längst unter der Erde.“
Es gibt nicht mehr viele Steinsetzer wie ihn. Der Nachwuchs ist rar, die Arbeit vielen zu anstrengend. Darum fährt Allrich jeden Tag von seinem Wohnort im Jerichower Land in der Nähe von Magdeburg eineinhalb Stunden bis in den Wedding und am Abend wieder zurück. „Die Jungen wollen lieber am Computer arbeiten“, sagt er und erzählt von Lehrlingen, die nach wenigen Wochen die Ausbildung abbrachen. „Mach ich’s halt alleine“ sagt er und ein bisschen stolz schwingt da schon auch mit. „Diese Straße ist mein Werk.“
Früher, weiß Allrich, hätte ein ganzer Tross von Arbeitern den Steinsetzern zugearbeitet, hätte die Steine vorsortiert, den Untergrund vorbereitet. Jetzt muss Allrich selbst aus dem Steinberg diejenigen Exemplare fischen, die zentimetergenau in die Zeilen und Lücken passen. Ein Zollstock steckt zwar in seiner Hosentasche, aber Allrichs Augen sind ähnlich genau. Bischofsmützen – so genannt nach ihrer Form – bilden den Rand zu den Bordsteinen, dann folgen die eigentlichen Pflastersteine. Mit der Finne seines dreieinhalb Kilo schweren Pflasterhammers – selbstverständlich im „Berliner Format“ – schlägt Allrich den Passstein fast millimetergenau zurecht.
Am Anfang stand Allrich allein auf weiter Flur. Jetzt, wo es dem Ende zugeht, hat er von der Baufirma noch drei Helfer bekommen, die zumindest die Fugen mit Sand füllen und die grobe Vorsortierung erledigen. Unter den letzten Stein kurz vor Einmündung in die Exerzierstraße will Allrich nach alter Tradition eine Flasche vergraben mit ein paar Fotos darin und einem Zettel, auf dem sein Name steht. „So haben sie es früher gemacht und so mache ich es auch heute“, sagt er.
Am 28. Juni will Allrich den Schlussstein setzen. Dann wartet schon irgendwo die nächste Straße auf ihn.
Text und Fotos: Philipp Maußhardt
... er kann sich keine schönere Arbeit vorstellen. Na dann.
Ooooooch, kann man die Steine nicht über ein Band laufen lassen und dabei in 3-D scannen und bei einem zweiten Durchlauf von einer KI durchnummerieren, so dass es auch ohne Kniffeln und Puzzeln geht ??
Hallo Renate,
man kann alles mit Ki ,aber willst Du Marco seinen Arbeitsplatz wegrationalisieren. Er ist doch stolz auf seine Arbeit.
Viele Grüße
Jean-Luc
P.S. Eine Frage: Bist Du Renate vielleicht ein Avatar, geschaffen von einer KI 🙂
Super Arbeit und Respekt vor den Meterlangen Bergen mit Pflastersteinen! Ich sehe ohne jeden Tag und wir sprechen auch hin und wieder miteinander. Hinzufügen muss noch , dass Marco ein Super Freundlicher Kerl ! Gruß aus der Uferstraße. 😉👍
Wundervoller Artikel, Herzlichen Dank an den Autor und Chapeau bas vor Herrn Allrich. Ich freue mich schon auf die neue Uferstraße ! Noch eine Frage: Hat Herr Allrich beim Herausnehmen des alten Plasters auch die Flaschenpost seiner Vorgänger gefunden?
Werde ihn fragen . . . .
Habe gefragt: Unter dem Pflaster der Uferstraße lag keine Flaschenpost. Marco Allrich wird dennoch unter dem Schlussstein eine hinterlegen, weil er diese Tradition gerne pflegt.
Hallo
erst Verwunderung …. dann Bewunderung….. wer wohnt dort in der Uferstraße ?? Sind das alles Menschen die keie Handwerker sind ?? …. die keine körperlich harte Arbeit kennen ?? ohoh ist das seltsam
Die Jungen wollen lieber am Computer arbeiten“, sagt er ….. wenigen Wochen die Ausbildung abbrachen na da haben wir es , gefällt mir seine Antwort !! Jetzt versteh ich warum das immer Letzte Generation heißt :))))
freunliches Wochenende
Ok Boomer.
Hallo Paula
ja ich bin ein Boomer... und nun ? was weiter ? kommt da noch was ??
Gruß