Die Buchhandlung „Bücher fürs Leben“ hat bereits früh meine Neugier geweckt. Immer wenn ich für den Einkauf zum benachbarten Real-Supermarkt schlendere, passiere ich den schönen Laden in der Müllerstraße 47a und stöbere gern in den Angeboten vor der Tür. Schließlich nehme ich mir nun Zeit, das Antiquariat, das bereits seit mehr als 100 Jahren besteht, genauer zu untersuchen.
Als ich den Laden betrete, ruft mir jemand ein freundliches „Guten Tag“ zu. „Hallo“ entgegne ich und schaue mich erstmal um. Eigentlich sehe ich weit und breit nur Bücher: Romane, Lexika, Kunstbände, klassische Literatur, Fachliteratur zu allen erdenklichen Themen… füllen die zahlreichen Regale. Ich schnappe mir „Chicago on foot. An architectual walking tour“, dann lenkt mich ein Kakteenratgeber ab und schließlich halte ich ein einzigartiges kleines Buch in den Händen: “Ovids Liebeskunst”. Das schöne Buchcover mit goldenem Schriftzug fasziniert mich sofort.
Die Auswahl bei “Bücher fürs Leben” ist wirklich beeindruckend. Schnell sehe ich, dass es hier noch mehr gibt: Drucke, Grafiken, Grußkarten, kleine Möbelstücke, Schallplatten, DVDs – es wirkt fast wie in einem großen historischen Sammellager. Irgendwie vergesse ich auch ganz die Zeit beim Gespräch mit dem herzlichen Ladenbesitzer Klaus Kreitling. Kreitling ist seit langem in Berlin, das merke ich. Dieser Laden sei mittlerweile sein dritter. Stolz erzählt er mir von goldenen Zeiten in Schöneberg und Kreuzberg. Zum Geschäft in der Müllerstraße ist er zufällig gekommen. Jetzt darf ich mir aber die ganze Geschichte anhören und Klaus, wie ich ihn schnell nennen darf, obwohl der Altersunterschied doch beträchtlich ist, bittet mich, Platz zu nehmen in so einer Art VIP-Bereich des Buchladens. Schnell finde ich mich dann auf einem gemütlichen Sofa im hinteren Bereich des Ladens wieder und bekomme eine Tasse Tee gereicht. Das gefällt mir schon.
Unter neuer Leitung
Nun erzählt mir Klaus, dass er irgendwann den früheren Besitzer des Antiquariats Frank Körber-Hein kennenlernte und sie sich gut verstanden. Klaus bot Körber-Hein an, einen Teil seiner großen Büchersammlung vor seinem Buchladen zu vertreiben, um zu testen, ob die Kunden auf das neue Angebot reagieren. Neu war die Auswahl insofern, da Körber-Hein sich auf christliche Literatur konzentrierte. Die Idee fruchtete und so einigten sich die beiden Geschäftsleute, dass Klaus schließlich den Laden ganz übernehmen würde. Das ist jetzt bereits zwei Jahre her. Bücher haben den 68-jährigen schon immer fasziniert. Besonders die Suche nach Außergewöhnlichen, das sich gut verkaufen würde. Das sei so ein bisschen wie eine Schatzsuche. So hat sich im Laufe der Zeit ein großes Angebot aus vielen Themengebieten angesammelt.
Bald wird es sich hier erneut verändern. Ich habe den Eindruck, Klaus ist sich noch nicht sicher, wie er das findet. Er hat für sich beschlossen, den Ruhestand anzutreten und möchte den Laden an eine gute Freundin, Birgit Wollschlaeger, übergeben. “Sie hat noch die gleiche Energie und Tatkraft, die ich damals versprühte. Ich weiß, bei ihr ist das Antiquariat in guten Händen.“, so Klaus. Birgit ist Mitbegründerin der Künstlergruppe „müller47“, ein Zusammenschluss von Berliner Kulturschaffenden, die den Laden nutzen möchten. „Es ist unser Ziel, einen kleinen kulturellen Lichtpunkt umgeben von Dönerläden, Internetcafés, Mobilfunkanbietern und Nagelstudios zu schaffen.“, verrät mir Birgit. Dafür soll die Antiquariatsbuchhandlung in der jetzigen Form bestehen bleiben. Inhaltlich gibt es jedoch eine Erweiterung in der Form von künstlerischen und kulturellen Projekten, Ausstellungen und Veranstaltungen. So soll es beispielsweise ein Theaterprojekt für Kindergarten- und Schulkinder geben. Ein genaues Datum der Übergabe des Antiquariats an die Künstlergruppe steht jedoch noch nicht fest, denn im Moment wird noch nach einem passenden Partner gesucht, der sich vorstellen kann, das Projekt zu unterstützen. „Ideal wären gleichgesinnte Kulturschaffende, die die Umgebung unterstützen möchten“, so Birgit.
Nicht nur Bücher sind der Renner
Während wir erzählen, bedient Klaus den einen oder anderen Stammkunden, der in den Laden findet. Dabei wirkt er kompetent und hilfsbereit. Obwohl Klaus erst seit zwei Jahren hier ist, habe ich das Gefühl, man kennt ihn sehr gut im Kiez. Nachbarn kommen gern herein, um zu plauschen. Gerade als er sich wieder mir widmen möchte, kommt erneut ein Kunde: „Wie teuer sind denn die Krücken vor der Tür?“, fragt er aufgeregt. “Für zehn Euro sind das Ihre”, entgegnet der Ladenbesitzer. Ich wundere mich erst später über den skurrilen Verkauf von Krücken in einem Buchladen, doch jetzt ergibt es irgendwie Sinn. „Trödel verkaufe ich unglaublich gut“ , erfahre ich von Klaus. “Du glaubst gar nicht, was die Leute hier alles kaufen.” Ich frage lieber nicht, woher diese Krücken stammen. Klaus scheint jedenfalls keine Gehbeschwerden zu haben.
Es gibt aber auch die Buch-Sammler, die gezielt in das Antiquariat kommen und zu bestimmten Themengebieten recherchieren. “Alles kannst du heute auch nicht im Internet finden”, verrät mir Klaus. Trotzdem hat das Internet für den 68-Jährigen eine große Bedeutung. Hier vertreibt er zahlreiche Bücher. Ich finde es bemerkenswert und schön, dass es doch offensichtlich noch viele Menschen gibt, die ein gutes Buch schätzen. Das zeigt auch Klaus‘ Gästebuch. Hier dürfen sich Kunden aus dem Ausland mit einem Gruß eintragen. Ich blättere das dick gefüllte Buch durch und bin überrascht, dass es Leute aus Südafrika, Indonesien oder Thailand bis in den Wedding geschafft haben. Vermutlich hält der Buchhändler so Kontakt zur Welt. Gereist ist er viel. Schnell reden wir über ferne Länder. Ganze 47 habe er gesehen und erzählt mir, wie er es bis San Francisco und Mexiko geschafft hat.
Schließlich nehme ich am Ende Ovids Liebeskunst mit und Klaus sagt: „Gute Wahl. Du interessierst dich für die schönen Dinge.“ Geschmeichelt taumle ich aus dem Laden. Huch, schon 19.00 Uhr. Egal, ich bin mir sicher, beim nächsten Einkauf auf der Müllerstraße schaue ich wieder vorbei. Wenn ich nichts finde, dann sage ich einfach nur Klaus oder Birgit „Hallo“.
Autor/Fotos: Julia Hahnke
“Bücher für’s Leben” Klaus Kreitling
Müllerstraße 47a
030- 60 98 34 51
Mo- Fr 13.00 – 19.00 Uhr
Sa 11.00 – 16.00 Uhr
Kontakt zu Birgit Wollschlaeger: [email protected]