Der Industriemagnat Sigmund Bergmann ist heute größtenteils unbekannt. Im Wedding errichtete er seine Bergmann-Electricitäts-Werke AG, eine Fabrik in der Oudenarder Straße. Das Gelände heißt heute Osram-Höfe. Nach der Fabrikeröffnung 1904 wurden schon bald jährlich zehntausende Bergmann-Metallfadenlampen hergestellt.
In der Ära des Internets spielen Firmen mit Sitz in Deutschland eine untergeordnete Rolle. Erfolgreicher waren deutsche Unternehmer vor über 100 Jahren, als das Zeitalter der Elektrizität anbrach. Werner von Siemens (Dynamo und Straßenbahn), Emil Walther Rathenau (Gründer der AEG) oder Gottlob Bauknecht (Haushaltselektrik) sind bis heute bekannt. Auch Sigmund Bergmann war einer von diesen Unternehmern, die bei Volt und Ampere an riesige Gewinne dachten und es gleichzeitig vermochten, mit Hilfe ihres Ingenieurwissen große Unternehmen aufzubauen.
Die Entscheidung, in seiner damals neuen Fabrik an der Oudenarder und der Seestraße Glühbirnen herzustellen, traf Sigmund Bergmann nicht zufällig. Zuvor hatte er Ende des 19. Jahrhunderts in Amerika eng mit Thomas Alva Edison zusammengearbeitet. Dessen Stärke war zwar nicht das geniale Erfinden, so war er eben nicht der Vater Glühbirne. Vielmehr schaffte es Thomas Edison, technische Probleme zu lösen, sodass er als erster das elektrische Leuchtmittel alltagstauglich machte und in Massenproduktion brachte. Er machte aus einer Idee ein Produkt. Gemeinsam mit Sigmund Bergmann entwarf er zum Beispiel den Gewindesockel. Außerdem konstruierten die beiden Techniker Schalter, Stecker und Sicherungen.
In den ersten Glühbirnen, die in Amerika auf den Markt kamen, glimmten noch Kohlefäden. Doch schon bald setzte sich als Glühmaterial das Element Wolfram durch. Glühbirnen mit diesem Metalldraht dominierten fast ein Jahrhundert lang die Produktion. Den damals fortschrittlichen Wechsel vom Kohlefaden zum Metalldraht gingen die Bergmann-Electricitäts-Werke AG von Anfang an mit. Mit Produktionsstart in der Seestraße 1904 fertigten die Arbeiter Metallglühlampen. Der wirtschaftliche Erfolg war so groß, dass Sigmund Bergmann Werke in Wilhelmsruh und Moabit eröffnen konnte, wo er Dynamos, Elektromotoren und Steuereinrichtungen herstellte. Auch im jungen Automobilgeschäft engagierte er sich, in die er natürlich Elektromotoren verbaute. Abnehmer der Batterie-LKW war die Reichspost. Sigmund Bergmann war zum Elektro-Großunternehmer aufgestiegen.
Neben der Metallfadenlampe, wie die Glühbirne 1904 noch hießt, wurden auch andere elektrische Geräte in der Oudenarder Straße hergestellt. Dazu zählten Elektromotoren, Dampf- und Schiffsmotoren, Dynamos und Zähler hergestellt. Mit Ausnahme des Gebäudes Oudenarder Straße 18-20 und Groninger Straße 19-23 wurden alle Gebäude von 1904 bis 1910 fünfgeschossig auf der Straßenfluchtlinie errichtet.
Sigmund Bergmann, der zeitweise in der Oudenarder Straße in der Nähe seiner Fabrik wohnte, ist 1927 in Berlin gestorben. Die von ihm gegründete Bergmann-Electricitäts-Werke AG wechselte 1931 in den Besitz von Siemens und der AEG. Diese verkauften später in den 1930er Jahren das Werk in der Oudenarder Straße an das Unternehmen Osram. Osram war zu diesem Zeitpunkt der größte Glühlampenhersteller in Europa. In diesem Konzern wurde die Oudenarder Straße erweitert und als Werk B eingegliedert. Osram blieb dem Arbeiterbezirk bis 1988 treu. Glühbirnen made in Wedding verließen zu zehntausende das Werk. Dann verlagerte der Konzern die Produktion nach Spandau und gab die Fabrik Oudenarder Straße auf.
Der Name Sigmund Bergmann blieb in der DDR in der Bezeichnung VEB Bergmann-Borsig in Wilhelmsruh in Erinnerung.
Die Glühlampe wurde 2009 schrittweise in Europa verboten. Doch zu diesem Zeitpunkt war der große Aufbruch ins Elektrozeitalter längst zu einer Erinnerung der Urgroßeltern geworden, eine goldene Zukunft versprachen digitale Erfindungen.
Der Text entstand in Zusammenarbeit mit der Weddinger Allgemeinen Zeitung (–> E‑Paper), der gedruckten Zeitung für den Wedding. Autor ist Andrei Schnell.