Vielleicht reagiere ich besonders sensibel, wenn ich inzwischen jeden zweiten auf meiner Straße vom Gesicht her oder sogar vom Namen her kenne. Dieser Effekt tritt zwangsläufig ein, wenn man wie ich schon 14 Jahre im gleichen Kiez wohnt. Denn jeder Kiez ist ein großes Dorf, und genau das kenne ich noch aus meiner Kindheit in den rheinland-pfälzischen Weinbergen. Die kleinere Untereinheit des Kiezes ist der Wohnblock, und wenn sich da auf dem Hof die Hälfte der Bewohner:innen trifft, wird es noch kuscheliger – und wie ich finde, auch enger.
Gehe ich die Straße entlang, muss ich zwangsläufig fünf Minuten mehr einplanen, nur für den Fall, dass ich Nachbarn treffe. Nur mit einem “Hallo” ist es meist nicht getan, und ich muss dann auch noch erklären, wohin des Wegs ich gerade gehe. Ob es der Zustand der vernachlässigten Grünanlagen ist, die Frage, ob man sich wegen eines Urlaubs schon länger nicht gesehen hat oder ob man schon die neue Pizzeria an der Ecke kennt, die Themen gehen in unserem kleinen Block nie aus. Und wenn man sich seit Jahren aus dem gleichen Aufgang kennt, beginnt irgendwann auch die soziale Kontrolle: Nichts bleibt unbemerkt und oft auch nicht mehr unkommentiert.
Anonymität in der Großstadt? Ja, man lässt sich in Frieden, oft, manchmal zu oft, wird auch weggeschaut, wenn andere Hilfe brauchen. Aber in den Kiezen mit wenig Fluktuation und funktionierenden Hausgemeinschaften wissen die Bewohner:innen auch viel übereinander. Warum hat der Paketbote das Päckchen der Obermieterin heute bei mir abgegeben, die ist doch immer zu Hause? Wer stellt seinen Restmüll immer vor die Müllecke, um sich das Auf- und Zuschließen zu sparen? Und warum hat der Nachbar im Nebenaufgang einen so derartig schlechten Musikgeschmack?
Ich gebe zu, ich mag den nachbarschaftlichen Austausch, aber an manchen Tagen hätte ich auch gerne die Anonymität der Großstadt zurück. Wenn ich nicht angesprochen werden will, werde ich in Zukunft vielleicht einen entsprechenden Button tragen: Heute kein Small Talk! Und ansonsten: Lasst uns gerne quatschen.
Hallo und guten Morgen
in unserer Hausreihe achte ich auch darauf , wer gerade jetzt im Winter seltener draussen zu sehen ist und ob dann alles ok ist . Vorne an der Ecke trifft man sich beim Kiosk – trinkt seinen Kaffee und tauscht sich aus.…trifft sich in ein paar Tagen dann wieder – trotz allem ist es dann doch passiert . Ein Nachbar der am Freitag noch ok war , ist am Wochenende im November in seiner Wohnung verstorben und lag dort bis zum Donnerstag , bis ein Bekannter von mir der diesen Nachbarn besser kannte die Polizei holte, weil er eben zum 2.ten mal nicht ans Telefon ging.…
dennoch wie immer nettes WE