In Wilmersdorf, Kreuzberg oder Friedrichshain und anderswo hängen seit einigen Wochen blaue oder rote Plakate mit der Aufschrift „Wo kann mein Kind spielen“ oder “Wo gibt es Theater”. Die Auflösung findet sich gleich auf den Plakaten: ausgerechnet in der Müllerstraße!
Rückblick: Vor Jahren war im Rahmen des Förderprogrammes des „Aktiven Zentrums Müllerstraße“ eine Imagekampagne für die zentrale Einkaufsstraße des einstigen Arbeiterbezirkes vorgesehen. Als Vorbild, so hört man, wurde jene Werbung der BSR gesehen, die mit viel Wortwitz daherkommt. In dieser werden z.B. Straßenreinigungmaschinen zum „Kehrpaket“, „Fegaro“ oder „Betonwischer“.
Nach einer ersten Recherche zeigte sich, dass den Fördergebieten der Aktiven Zentren nicht ganz so viel Geld für die Öffentlichkeitsarbeit zur Verfügung steht wie dem Stadtreinigungsbetrieb der Hauptstadt. So wurde eine Agentur beauftragt, ein „Kommunikationskonzept“ zu erarbeiten, das an Stelle einer großen Kampagne viele kleine Maßnahmen vorsah. Als der von den Werbeprofis ausgearbeitete Maßnahmenkatalog vorlag, setzte eine breite Diskussion ein. Für besonders große Aufregung sorgen die sogenannten „Hartz IV- Stühle“, die von einem Künstler auf der Müllerstraße aufgestellt werden sollten.
Als eine der umsetzenden Maßnahmen sprachen sich alle, auch die Stadtteilvertretung, für die im Konzept vorgeschlagene Entwicklung eines Logos oder Signets aus. Dazu wurde ein Wettbewerb durchgeführt. Ein stilisiertes „M“, das für die Müllerstraße stehen soll und das als zwei Personen, die sich die sich Hände geben, gelesen werden kann – fand die größte Zustimmung bei den befragten Einwohnern. Verantwortlich dafür zeichnet die Agentur capadesign. Ähnliche Motive sind von anderen Grafikern für die gleichen oder verwandten Aufgabenstellungen wie dem Logo der Stadteilvertretung geschaffen worden.
Rund um die Müllerstraße, logo!
Aber was nützt ein schönes Logo, wenn es nicht bekannt ist? So wurde zur Einführung des Zeichens – wie ursprünglich gedacht – eine Kampagne gestartet. Die Plakate führen auf den ersten Blick zu Verwunderung oder machen neugierig: wer käme schon auf die Idee, sein Kind auf der Müllerstraße spielen zu lassen? Vor allem, wo doch der Leopoldplatz in der Boulevardpresse der letzten Jahre auf Grund von sozialen Problemen sowie dem Verkauf von Drogen für Schlagzeilen sorgte.
Kritisieren könnte man allerdings, dass es die Auflösung der provokanten Sätze bei den Plakaten nicht gibt – bei den Postkarten hingegen schon, wo die Ausgangsfrage auf der Rückseite mit einem Detailfoto geklärt wird. Der Betrachter oder die Betrachterin des Plakats muss sich im Nachhinein selbst die genaue Auflösung “googeln”.
Wer nun die Plakate der Kampagne auf U‑Bahnhöfen und in Kneipen sowie die dazu gehörigen Postkarten ansieht, merkt aber gleich, dass hier zwar provokante Fragen aufgeworfen, aber keine Vorurteile bedient werden sollen. Die Kampagne beinhaltet nämlich ziemlich konkrete Hinweise auf spannende Orte in und an der Müllerstraße. So verweist das Plakat mit der Aufschrift „Wo gibt es den besten Fisch“ auf die Postkarte mit einer rohen Makrele, die wohl gleich in die Pfanne wandern soll. Auf der Rückseite der Karte folgt dann der konkrete Hinweis auf einer der besten Fischläden im Wedding, der sich, wie hier jeder weiß, in der Lindower Straße befindet.
Das Spannende des Konzepts ist, dass es erweitert worden ist. Jeder der Gewerbetreibenden der Müllerstraße hat die Möglichkeit, sich daran zu beteiligen und eine Karte mit einem hübschen Motiv als Werbeträger für sein Unternehmen beizusteuern. Insofern ist die Kampagne da angelangt, wo sie ursprünglich hin wollte. Nur, dass das ganze ein Nummer kleiner, authentischer und sicher auch preisgünstiger ausgefallen ist.
Autor: Eberhard Elfert