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Kein Konsumzwang, offen für alle:
Eine Stunde im Café Leo

Nach dem Ein­kauf auf dem Wochen­markt schien mir der rich­ti­ge Zeit­punkt gekom­men, end­lich ein­mal dem neu­en Café Leo einen Besuch abzu­stat­ten. Die offe­nen Türen auf bei­den Sei­ten des Holz­pa­vil­lons wir­ken jeden­falls ein­la­dend, fast alle Stüh­le vor dem Holz­bau sind besetzt. Im Café selbst hat das drei­köp­fi­ge Team alle Hän­de voll zu tun, Tee und Fil­ter­kaf­fee wer­den im Minu­ten­takt aus­ge­schenkt. Und das, obwohl es in die­sem Café kei­nen Kon­sum­zwang gibt. 

In einer Ecke des Pavil­lons steht ein Com­pu­ter, davor sitzt Gül­nihal Sener. Die Mit­ar­bei­te­rin des Trä­gers Wen­de­punkt gGmbH unter­stützt mon­tags bis frei­tags ab 9 Uhr Men­schen, die Hil­fe bei Behör­den­for­mu­la­ren brau­chen. „Dro­gen­ab­hän­gi­ge und Trin­ker vom Leo­pold­platz haben auch schon unser Ange­bot ent­deckt“, erzählt mir die Bera­te­rin. Sie ver­sucht auch Unter­künf­te für Obdach­lo­se aus­fin­dig zu machen und beglei­tet Antrag­stel­ler bei Behör­den­gän­gen. Natür­lich ist das Café nur eine ers­te Anlauf­stel­le, im Wen­de­punkt-Büro in der Gott­sched­stra­ße ist mehr Raum und Zeit für rich­ti­ge Beratungen. 

o.l.: Gül­nihal Sener, r.: Jacob Jurk

In der Zwi­schen­zeit kommt Nel­li ins Café und ver­teilt erst ein­mal an alle Leu­te eine Waf­fel. „Ich habe mei­ner Mut­ter am Ster­be­bett ver­spro­chen, dass ich jeden Frei­tag etwas ver­schen­ke“, sagt die Bul­ga­rin, die sich mit Gül­nihal Sener auf tür­kisch unter­hält. Dabei braucht sie selbst immer wie­der Hil­fe, zum Bei­spiel wenn ihr Brief­kas­ten abge­ris­sen wur­de und sie dann kei­ne Post vom Job­cen­ter erhält. „Seit zwei Jah­ren hel­fe ich Nel­li“, sagt die Wen­de­punkt-Mit­ar­bei­te­rin, „Sozi­al­leis­tun­gen wer­den schnell ver­sagt, wenn man Ter­mi­ne nicht wahr­nimmt, weil man die Brie­fe nicht bekom­men hat.“

Nun hat Café­lei­ter Jacob Jurk einen Moment Zeit und setzt sich zu mir an den Tisch. Er hat erst nach sei­ner Bewer­bung auf die Stel­le von der Vor­ge­schich­te des Cafés erfah­ren. „Ich kann den Unmut im Wed­ding ver­ste­hen, wie das hier gelau­fen ist. Wir kön­nen Herrn Ünlü, den alten Betrei­ber, nicht erset­zen. Wir kön­nen aber eine neue Ver­si­on des alten Cafés sein“, sagt der 28-Jäh­ri­ge. Das neue Café muss kei­nen Gewinn erwirt­schaf­ten, und die Prei­se sind in Abstim­mung mit dem Bezirk bewusst nied­rig gehal­ten. Das geht aber nicht auf Kos­ten der Qua­li­tät: „Uns ist wich­tig, dass der Kaf­fee fair gehan­delt ist“, sagt Jacob, der hier gemein­sam mit sei­ner Part­ne­rin Hil­de bedient. Man hat eine güns­ti­ge dunk­le Rös­tung auf dem Markt gefun­den, die gut schmeckt und trotz­dem aus dem fai­ren Han­del kommt. Es gibt neben Fil­ter­kaf­fee für 1,20 Euro, tür­ki­schem Tee und teu­re­ren Kaf­fee­spe­zia­li­tä­ten auch Soft­drinks von Lemo­na­id und Fritz-Kola. An Back­werk ver­kauft das Team Crois­sants, Kuchen und Coo­kies; dazu kom­men beleg­te Toa­sties und Geflü­gel­würst­chen mit Toast. In der kal­ten Jah­res­zeit wird ein wech­seln­des Sup­pen­an­ge­bot zube­rei­tet. “Wir tes­ten, was gut ankommt und ver­än­dern unser Essen stän­dig”, sagt Jacob. 

Das viel­leicht wich­tigs­te Pro­dukt ist aber der „auf­ge­scho­be­ne Kaf­fee“. Hier kann man Bedürf­ti­gen einen Kaf­fee spen­die­ren, indem man dafür eine frei gewähl­te Sum­me hin­ter­legt. „Das hat sich her­um­ge­spro­chen, und wir kön­nen hier damit etwas Gutes tun“, erzählt Jacob. Auch die kiez­be­kann­te Obdach­lo­se vom Leo, Mari­an­ne, bekommt dadurch regel­mä­ßig ein Heiß­ge­tränk im Café. „Uns ist wich­tig, dass das Aus­se­hen des Cafés für nie­man­den abschre­ckend wirkt“, sagt Jacob. Das Café soll ein Treff­punkt sein, ob alt, jung, für Men­schen mit wenig Geld und auch für sol­che mit gro­ßen Sor­gen. „Wer mal jeman­den zum Spre­chen braucht, ist will­kom­men“, sagt die 26-jäh­ri­ge Hil­de, deren Mut­ter­spra­che nor­we­gisch ist. 

Viel­spra­chig­keit ist sowie­so ein wich­ti­ges The­ma hier. Das zieht sich durch alle Ange­bo­te, ange­fan­gen von der Antrags­be­ra­tung auf tür­kisch, eng­lisch oder deutsch bis hin zum Näh­kurs zwei Mal in der Woche. Gül­nihal Sener möch­te auch Senio­ren aus dem Pfle­ge­heim ihrer Mut­ter an der Kolo­nie­stra­ße ein­la­den, ein­mal aus der gewohn­ten Umge­bung her­aus­zu­kom­men. Ukrai­ni­sche, afgha­ni­sche und ara­bisch­spra­chi­ge Vor­schul­kin­der aus einer Geflüch­te­ten­un­ter­kunft sind bereits ein­mal in der Woche im Café zu Gast.

Mein Ein­druck ist: Das Team ist sich bewusst, dass der Stand­ort schwie­rig ist und das neue Café viel­leicht erst ein­mal als Fremd­kör­per wahr­ge­nom­men wird, zumal das abge­ris­se­ne Café Leo eine wich­ti­ge Funk­ti­on auf dem Platz hat­te. Die buch­stäb­lich immer offe­nen Türen und die vie­len Gesprä­che des Teams mit den Men­schen, die her­ein­kom­men, las­sen aber hof­fen: Dies ist ein neu­es Ange­bot, das sei­ne Zeit brau­chen wird, bis es von allen ange­nom­men wird. Zumal die Her­aus­for­de­run­gen auf dem Leo in letz­ter Zeit nun wahr­lich grö­ßer gewor­den sind – das Team kann ein Lied davon sin­gen. Aber eine Chan­ce hat das neue Café Leo verdient.

Café Leo, Leo­pold­platz (Müller‑, Naza­reth­kirch­str.), Insta­g­ram­pro­fil

Mo-Fr: 8–17:30, Sa: 8- 16:30, So: 10- 17:30 Uhr

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Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

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