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Kaum bekannter Namensgeber einer Brücke:
Ein Stolperstein für Friedrich Wilhelm Böse

28. Juni 2023

Am Sams­tag (24.6.) wur­de an der Grün­ta­ler Stra­ße 32 nahe der Böse­brü­cke ein Stol­per­stein für den im Jah­re 1944 hin­ge­rich­te­ten Wider­stands­kämp­fer Wil­helm Böse ver­legt. Nach ihm ist die dort ange­sie­del­te Brü­cke, die Pan­kow und Mit­te ver­bin­det, benannt. Eine Brü­cke, die welt­be­rühmt wur­de, da dort einer der Grenz­über­gän­ge zwi­schen Ost­ber­lin und West­ber­lin exis­tier­te und der Schlag­baum an der Ber­li­ner Mau­er am 9. Novem­ber 1989 nachts als ers­ter auf­ging. Der Sol­di­ner Kiez e.V. hat die­sen Stol­per­stein initi­iert; mitt­ler­wei­le gibt es fast 70 Stol­per­stei­ne im Wedding.

Frisch ver­leg­ter Stol­per­stein für Fried­rich Wil­helm Böse. Foto: Rena­te Straetling

Soldiner Kiez e.V. initiierte das Gedenken

Der Sol­di­ner Kiez e.V. aus dem Stadt­teil Gesund­brun­nen im Wed­ding hat Gun­ther Dem­nig beauf­tragt, den Stol­per­stein für den Wider­stands­kämp­fer Fried­rich Wil­helm Böse zu ver­le­gen, geför­dert vom Quar­tiers­ma­nage­ment Bad­stra­ße. In Koope­ra­ti­on mit der Begeg­nungs­stät­te Grün­ta­ler Treff konn­te ein Fest­akt ange­bo­ten wer­den. Etwa 50 Per­so­nen besuch­ten die­ses Event, ein paar Häu­ser von dem Gedenk­ort des Stol­per­steins ent­fernt. Es gab einen Licht­bild­vor­trag von Dia­na Schaal und einen his­to­ri­schen Über­blick zur Böse­brü­cke durch Tho­mas Kili­an. Mit poli­ti­schen Lie­dern vom Wed­din­ger Lie­der­ma­cher Lari wur­de dies beglei­tet. Lari sang unter ande­rem sein Lied über “Otto und Eli­se” (Ham­pel), Bezug neh­mend auf Hans Fallada‘s Buch “Jeder stirbt für sich allein”.

Lari von “Lari und die Pau­sen­mu­sik” sang bei der Stol­per­stein-Ver­le­gung poli­ti­sche Lie­der. Foto: Rena­te Straetling

Fried­rich Wil­helm Böse, gebo­ren 1883, war als Erwach­se­ner Wider­stands­kämp­fer in der NS-Zeit. Er wuchs im Ber­li­ner Nor­den auf, in den Miets­ka­ser­nen sei­ner Zeit. Als sein Vater früh ver­starb, muss­te er bereits als Zehn­jäh­ri­ger zum Lebens­un­ter­halt durch Boten­gän­ge bei­tra­gen. Er erlern­te den Beruf des Elek­tri­kers und war ab 1905 gewerk­schaft­lich und in Arbei­ter­ver­ei­nen orga­ni­siert. Nach dem 1. Welt­krieg kehr­te er aus rus­si­scher Gefan­gen­schaft zurück und enga­gier­te sich in der KPD. Nach 1933 war er poli­tisch im Unter­grund für die KPD aktiv und wirk­te am Ver­trieb der Roten Fah­ne und der Sturm­fah­ne mit. Trotz und nach der Ver­haf­tung im Jahr 1934 und zwei­jäh­ri­ger Haft ver­folg­te er sei­ne poli­ti­schen Zie­le wei­ter. „Er erhielt die Auf­ga­be, als Kurier für die Ver­bin­dung von Robert Uhrig und John Sieg zu den Wider­stands­grup­pen bei den Deut­schen Waf­fen- und Muni­ti­ons­fa­bri­ken und ande­ren Betriebs­grup­pen der KPD zu sor­gen.“ (wikipedia.de) Im Jahr 1942 wur­de er ver­haf­tet und erneut für zwei Jah­re in ein Kon­zen­tra­ti­ons­la­ger gesteckt, im Gerichts­ge­fäng­nis Pots­dam wur­de er im Juni 1944 zum Tode ver­ur­teilt. Das Urteil wur­de im August 1944 im Zucht­haus Bran­den­burg-Gör­den durch Fall­beil vollstreckt.

Friedrich Wilhelm Böse und die Brücke

Dia­na Schaal stell­te in ihrem Vor­trag wei­te­re neun Wed­din­ger Wider­stands­kämp­fe­rin­nen und Wider­stands­kämp­fer vor: Wal­ter Stroh­mann, Egmont Schultz, Paul Juni­us, Paul Knorr, Her­mann Korus, Käthe Simon, Ste­pha­nie Hül­len­ha­gen, Georg Ben­ja­min und Paul Kuchen­bä­cker. Tho­mas Kili­an berich­te­te von der Böse­brü­cke (eröff­net 1916) und wies dar­auf hin, dass die Brü­cke frü­her Hin­den­burg­brü­cke hieß und im Jahr 1948 nach Wil­helm Böse umbe­nannt wur­de. Jedoch sei bemer­kens­wer­ter­wei­se kei­ner­lei Inschrift, Gedenk­ta­fel oder Stein ange­bracht, wor­aus die Umbe­nen­nung der Brü­cke her­vor­ge­he. Von den Teil­neh­men­den wur­de vor­ge­schla­gen, dies nach­zu­ho­len, um wei­te­re Unkennt­nis zu ver­mei­den, denn die Bezeich­nung Born­hol­mer Brü­cke sei fälsch­li­cher­wei­se in die All­tags­spra­che ein­ge­gan­gen und der Name der Brü­cke ohne Nen­nung des Vor­na­mens missverständlich.

Ver­le­gung des Stol­per­steins in der Grün­ta­ler Stra­ße 32. Fotos: Rena­te Straetling

Han­ne­lo­re Stip­pel, Mit­ar­bei­te­rin in dem Stol­per­stein­pro­jekt von Gun­ter Dem­nig, die auch bei der Ein­wei­hung des Stol­per­steins für Wil­helm Böse und dem Fest­akt zuge­gen war, stell­te in Aus­sicht, dass bald elf Stol­per­stei­ne in der Lon­do­ner Stra­ße zum Geden­ken an eine damals gänz­lich aus­ge­lösch­te Sin­ti und Roma-Fami­lie ver­legt werden.

Das weltweit größte dezentrale Mahnmal

Gun­ter Dem­nig (gebo­ren 1947 in Ber­lin), Künst­ler und Erfin­der der Stol­per­stei­ne, die an die Ver­trei­bung, Ver­fol­gung und Hin­rich­tung von Men­schen wäh­rend der NS-Zeit zwi­schen den Jah­re 1933 und 1945 erin­nern, war wie­der selbst zuge­gen, um auch die­sen Stol­per­stein zu set­zen. In die­sen Tagen vom 23. bis 25. Juni gab es in fünf ande­ren Ber­li­ner Bezir­ken wei­te­re Stolperstein-Verlegungen.

Über 10.000 Stol­per­stei­ne sind es mitt­ler­wei­le in Ber­lin, auch etli­che im Wed­ding. Über 100.000 Stol­per­stei­ne welt­weit hat Gun­ter Dem­nig nun als sein gro­ßes Werk auf­zu­wei­sen; er allei­ne wirkt mit hands on. Im Jahr 2006 hat er die Stol­per­stei­ne patent­recht­lich auf deut­scher Ebe­ne sowie ab 2013 auf euro­päi­scher Ebe­ne schüt­zen lassen.

In Nürn­berg wur­de am 26. Mai 2023 der genau 100.000 Stol­per­stein ver­legt. Man beden­ke das hohe und lang anhal­ten­de Kom­mu­ni­ka­ti­ons­po­ten­ti­al die­ser gro­ßen Zahl an Gedenk­stei­nen in den euro­päi­schen Nachbarschaften!

Er begann Anfang der 1990er Jah­re damit, dies Pro­jekt als Kunst­pro­jekt zu gestal­ten, um im öffent­li­chen Raum Erin­nern, Geden­ken und Inne­hal­ten zu ermög­li­chen. Vie­le der Stol­per­stei­ne wer­den von heu­ti­gen Ange­hö­ri­gen initi­iert, so dass der Akt der Ver­le­gung auch ein sehr per­sön­li­cher ist.

Links: Dia­na Schaal hielt einen Licht­bil­der­vor­trag und leg­te Blu­men nie­der. Rechts: Tho­mas Kili­an gab einen his­to­ri­schen Über­blick zur Böse­brü­cke. Fotos: Rena­te Straetling

Vie­le der Depor­tier­ten waren in den Kon­zen­tra­ti­ons­la­gern zu Num­mern, die sie ein­ge­ritzt auf der Haut tru­gen, degra­diert wor­den, so dass die per­sön­li­che Wid­mung eines Stol­per­steins mit der Inschrift von Namen, Lebens­da­ten und Wohn­ort den NS-Opfern in den Nach­bar­schaf­ten einen Teil der Iden­ti­tä­ten an die ehe­ma­li­gen Lebens­or­te zurückbringt.

Anfangs waren sei­ne im öffent­li­chen Raum gesetz­ten Stol­per­stei­ne noch ille­gal, man ver­klag­te ihn. Dann aber gin­gen die Ver­le­gun­gen los, zuerst im Jahr 1996 in Ber­lin-Kreuz­berg, was man spä­ter lega­li­sier­te, ab 2000 in Deutsch­land und in Euro­pa, mitt­ler­wei­le in 30 euro­päi­schen Län­dern. Aber auch im Wed­ding gibt es bereits Stol­per­stei­ne, zum Bei­spiel für Eve­ly­ne Alex­an­der.

Es han­delt sich um Beton­wür­fel der Kan­ten­län­gen von je etwa zehn Zen­ti­me­ter, die auf der Ober­sei­te eine Mes­sing­plat­te mit einer Inschrift zum Geden­ken an die­se Opfer tra­gen, und an deren letz­ter frei wähl­ba­rer Adres­sen niveau­gleich in den Geh­weg ein­ge­fügt werden.

Nun ist das Pro­jekt von Gun­ther Dem­nig seit Mit­te der 1990er Jah­re enorm gewach­sen, in 30 euro­päi­schen Län­dern wird die Plat­zie­rung prak­ti­ziert und es gilt mitt­ler­wei­le als das welt­weit größ­te dezen­tra­le Mahn­mal. Die Stol­per­stei­ne kann man bei Gun­ter Dem­nig bean­tra­gen. Ein­zel­per­so­nen, Per­so­nen­grup­pen, Haus­ge­mein­schaf­ten, Schu­len oder Initia­ti­ven kön­nen die­se Mahn­stei­ne stif­ten; die Her­stel­lung und Ver­le­gung eines Stol­per­steins kos­tet 120 Euro, ein Betrag, der alle Kos­ten deckt.

Der neu­es­te Stol­per­stein im Wed­ding erin­nert an Fried­rich Wil­helm Böse. Foto: Rena­te Straetling

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Text und Fotos: Rena­te Straetling

Renate Straetling

Ich lebe seit dem Jahr 2007 in Berlin-Wedding, genauer gesagt im Brüsseler Kiez - und ich bin begeistert davon. Wir haben es freundlich, bunt ohne Überspanntheit.
Jg. 1955, aufgewachsen in Hessen. Seit dem Jahr 1973 zum Studium an der FU Berlin bin ich in dieser damals noch grauen und zerschossenen Stadt. Mittlerweile: Sozialforschung, Projekte. Seit 2011 auch Selfpublisherin bei www.epubli.de mit fast 60 Titeln. Ich verfasse Anthologien, Haiku, Lesegeschichten, Kindersachbücher und neuerdings einen ökologisch orientierten Jugend-SciFi (für Kids 11+) "2236 - ein road trip in einer etwas entfernteren Zukunft" (Verlagshaus Schlosser, 28.11.22).-
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