Eine durchaus denkwürdige Veranstaltung fand am 30. Januar im City Kino Wedding statt. Der große Saal umfasst über zweihundert Plätze und war brechend voll. Organisiert von der Initiative „Genug ist genug!“ (GiG) versammelte sich eine beeindruckende Menge von Aktiven aus den Weddinger Stadtteil-Initiativen gegen hohe Preise und den Mietenwahnsinn sowie für höhere Löhne, bessere Arbeitsbedingungen und Solidarität mit den Armutsbetroffenen. Denkwürdig vor allem deswegen, weil nicht das Trennende, nicht die Unterschiede zum Beispiel in den langfristigen Zielen der Gruppen in den Vordergrund geschoben wurden, sondern die Gemeinsamkeiten und die gegenseitige Hilfe.
Das kam auch gleich zu Anfang zum Ausdruck, als der Redner der Kiezkommune Wedding nicht nur für eine antikapitalistische Perspektive und grundlegende Reformen eintrat, sondern auch für Nachbarschaftshilfe, unter anderem für Rentner*innen. „Wir, die Kiezkommune Wedding, sind eine Nachbarschaftsinitiative, die seit zwei Jahren im Wedding und anderen Bezirken aktiv ist. Derzeit sammeln wir Forderungen und Geschichten von Menschen, die ganz besonders durch das Corona-Virus und seine sozialen wie persönlichen Folgen betroffen sind. Auch versuchen wir Menschen, die zur sogenannten Risikogruppe (Rentner*innen, Menschen mit Vorerkrankungen oder Ähnliches) zählen, beim Einkaufen oder anderen Botengängen zu unterstützen“.
Ein Mitbegründer der Initiative „Wir sind Armutsbetroffene“ trat für ein Programm der sozialen Reformen für die einkommensarme Bevölkerung ein und forderte statt des 49-Euro-Tickets ein Recht auf Mobilität für alle.
Nachdem die „Tafeln Deutschland“ sich schon bei den Sozialämtern und Jobcentern beschwert haben, dass sie Menschen zu den Tafeln schicken, die bereits mehr als überlastet sind, wundert es nicht, dass die Armutsbetroffenen das als sicheres Zeichen dafür werten, dass gravierende Mängel auch beim neuen Bürgergeld zu erwarten sind, denn es geht ja kaum darüber hinaus.
Die Beschäftigten der Krankenhausbewegung, der Berliner Stadtreinigung (BSR) und der Post, die sich aktuell in Tarifauseinandersetzungen befinden, erhielten den meisten Beifall: Einleuchtend, dass eine gute Gesundheitsversorgung nur mit guten Arbeitsbedingungen, ausreichend Zeit und Personal möglich ist. Die Corona-Krise hat die Probleme des Personalmangels in den Krankenhäusern sichtbarer gemacht als je zuvor. Die ver.di-Gewerkschafterin: Darum wurden Tarifverträge zur Entlastung bei der Charité und bei Vivantes mit verbindlichen Vorgaben zur Personalbesetzung und einem Belastungsausgleich bei Unterbesetzung zur Bedingung gemacht. Bei den Vivantes-Tochtergesellschaften war nach 50 Streiktagen erreicht worden, dass auch für sie künftig Tarifverträge gelten und die Entgelte steigen. Betont wurde, dass der Tarifvertrag im öffentlichen Dienst (TVöD) und die Personalforderungen für alle Tochtergesellschaften gültig sein müssten, nicht nur bei Vivantes.
Die Warnstreiks der Postzusteller*innen waren erst der Anfang, erklärte eine Kollegin in einer kämpferischen Ansprache. Eine Lohnerhöhung von 15 Prozent soll durchgesetzt werden, weil die Post in der Zeit der Pandemie massive Profite gemacht habe. Sie rief alle Anwesenden zur Solidarität auf. Vorbereitete Plakate, die zur Solidarität mit den Postzusteller*innen aufriefen, wurden hochgehalten, damit Handyfotos gemacht werden konnten.
Auch die BSR-Beschäftigten sind in Kampfstimmung. Die Tarifverhandlungen könnten ungemütlich werden, wie der Kollege berichtete. Die Gewerkschaften fordern satte 10,5 Prozent mehr Geld und bei der Berliner Stadtreinigung finden das viele Beschäftige mehr als angemessen. Es bleibt noch viel zu tun.
Der Kampf gegen hohe Mieten wurde beim Kieztreffen von einem Mieter der vom Abriss bedrohten Häuserzeile Habersaathstraße 40–48 in einer engagierten Rede angesprochen. Er verwies auch darauf, dass die einst kommunalen Gebäude erst 2006 privatisiert wurden. Damals regierte in Berlin eine Koalition aus SPD und Linke.
Daran wurde die Landesvorsitzende der Berliner Linken, Katina Schubert, nach ihrer kurzen Rede erinnert. Die Partei gehörte zu den Mitorganisator*innen der Konferenz. Schubert setzte sich für die schnelle Umsetzung des Volksbegehrens für die Enteignung von Deutsche Wohnen ein. Sie betonte, dass die Berliner Linke sich als lernfähig erwiesen habe. Darüber hinaus ließe sich nicht abstreiten, dass das Berliner Entlastungspaket mit dem Netzwerk der Wärme und dem „Härtefallfonds Energieschulden“, das Berliner Sozialticket für 9 Euro, die sichere Finanzierung von „Housing First“ für wohnungslose Menschen oder die Eckpunkte für die Ausbildungsplatzumlage ohne die Linke nicht zustande gekommen wären.
Die Außerparlamentarische Linke wie die Stadtteilinitiative „Hände weg vom Wedding“ unterstützt bereits seit Jahren auch gewerkschaftliche Kämpfe; Clemens berichtete über den „Solidaritätstreff Soziale Arbeit im Kapitalismus“, der sich vor drei Jahren gründete. Jeden dritten Mittwoch im Monat treffen sich im Kiezhaus Agnes Reinhold Sozialarbeiter*innen aus ganz Berlin.
Text: Rainer Scholz