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In der Genter Straße:
Aus der Geschichte einer Weddinger Druckerei

Anmerkungen zu einem Kapitel aus der ungeschriebenen Geschichte der „Homophilenzeitschrift“ Der Weg
29. Januar 2023
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In der Gen­ter Stra­ße 8 steht ein eher unschein­ba­res Wohn­haus. Die Knei­pe im Erd­ge­schoss ist seit gerau­mer Zeit geschlos­sen. Schil­der über und neben der Tor­ein­fahrt ver­ra­ten, dass sich in einem der Höfe eine Dru­cke­rei befin­det. Was heu­te kaum jemand weiß, vor allem wohl auch in der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft nicht: In einem Vor­gän­ger­be­trieb die­ser Dru­cke­rei wur­de einst die Monats­schrift Der Weg, das lang­le­bigs­te Pro­dukt der deut­schen „Homo­phi­len­be­we­gung“ hergestellt. 

Die Lite­ra­tur über den Weg hält sich nach wie vor in Gren­zen. Weder über das Pro­fil oder die Pro­duk­ti­ons­be­din­gun­gen, die Auf­la­gen­zahl und die Ver­brei­tung noch über die Mitarbeiter*innen oder die eigent­li­chen Macher*innen der Zeit­schrift ist viel bekannt. Mög­li­cher­wei­se hängt das damit zusam­men, dass Der Weg anders als ver­gleich­ba­re Publi­ka­tio­nen der frü­hen Nach­kriegs­zeit nie in den Fokus der Bun­des­prüf­stel­le für jugend­ge­fähr­den­de Schrif­ten geriet und indi­ziert wur­de – obwohl die Zeit­schrift „ein­schlä­gig“ bebil­dert war. Der Weg exis­tier­te von Ende 1951 bis Anfang 1970, und offen­bar hat­te er die­se „unge­stör­te“ Exis­tenz über fast zwei Jahr­zehn­te hin­weg einem inte­gra­ti­ven Kurs zu ver­dan­ken, den die Zeit­schrift verfolgte.

Der Weg erschien mit ins­ge­samt 228 Aus­ga­ben – zunächst als Die Insel, ab Herbst 1952 dann als Der Weg (zu Freund­schaft und Tole­ranz), um mög­li­che Rechts­strei­tig­kei­ten mit dem Insel Ver­lag zu umge­hen. Man ver­stand sich als Sprach­rohr für „Men­schen, die sich in nichts von allen ande­ren unter­schei­den als der Art ihrer Lie­bes­be­zie­hung“, die gleich­wohl vor dem Gesetz als „Ver­bre­cher“ betrach­tet wür­den. Der Weg woll­te sei­nen wohl über­wie­gend männ­li­chen Lesern durch „gepfleg­te Unter­hal­tung“ zur „Samm­lung und Besin­nung“ die­nen, ihnen aber auch „mit Rat und Tat“ zur Sei­te ste­hen. Pro­gram­ma­tisch for­der­te man die „Abschaf­fung, zumin­dest aber Neu­fas­sung des so berüch­tig­ten § 175“ und gab sich über­zeugt: „Homo­erot kann man nicht wer­den, son­dern ist es aus Ver­an­la­gung, also von Geburt an“.

Ers­ter Ver­le­ger des Weg war Rolf Put­zi­ger (1926–1977), der sich spä­ter als Ver­le­ger von Body­buil­der-Maga­zi­nen und als Ent­de­cker und För­de­rer Arnold Schwar­zen­eg­gers einen gewis­sen Namen machen soll­te. Im Früh­jahr 1959 ver­kauf­te Put­zi­ger den Weg, und neu­er Ver­le­ger der Zeit­schrift wur­de Wolf­gang Prien (ali­as Wolf H. F. Prien, 1915–1972). Über den Lebens­weg und die Iden­ti­tät Priens ist heu­te aber kaum etwas bekannt. Wolf­gang Prien war seit 1944 mit der Sekre­tä­rin Ger­trud Scheelcke ver­hei­ra­tet und leb­te um 1960 in Ham­burg. 1962 zog das Ehe­paar nach Buch­holz in der Nord­hei­de und ver­leg­te von dort aus die Zeit­schrift wei­ter. Als Wolf­gang Prien 1963 einen Schlag­an­fall erlitt und meh­re­re Wochen in einem Kran­ken­haus ver­brin­gen muss­te, über­nahm sei­ne Frau die redak­tio­nel­le und buch­hal­te­ri­sche Arbeit, so dass Der Weg wie gewohnt wei­ter erschei­nen konnte.

Wolf­gang Prien

Der Weg war eine Abon­ne­ments­zeit­schrift, und ab 1959 trug sie den expli­zi­ten Auf­druck, sie dür­fe Jugend­li­chen nicht zugäng­lich gemacht wer­den. Ab 1964 mach­te man dar­auf auf­merk­sam, die Zeit­schrift dür­fe an Kios­ken und in Loka­len nicht ver­kauft wer­den. Schon vier Jah­re zuvor, im Okto­ber 1960, war man dazu über­ge­gan­gen, den Umschlag der Zeit­schrift „neu­tral“ zu gestal­ten und auf dem Cover kein Foto mehr zu ver­wen­den. Die genau­en Hin­ter­grün­de für die­sen Schritt sind nach wie vor unbe­kannt. Der Ver­lag selbst hielt sich mit Anga­ben über Inter­na stets bedeckt – wie auch über die Zah­len zum Ver­kauf. Im Juli 1954 ver­kün­de­te man zwar stolz, Der Weg sei „die größ­te deut­sche Freund­schafts­zeit­schrift und zugleich die ein­zi­ge, die seit Jah­ren trotz gro­ßer Schwie­rig­kei­ten regel­mä­ßig und ohne Unter­bre­chung erschei­nen konn­te“. Etwas vage ließ man hier aber nur ver­lau­ten, die Zahl der „Abon­nen­ten“ sei stän­dig gewach­sen. Man ver­schi­cke das Heft in etwa drei­ßig Län­der der gan­zen Welt. 1963 hieß es, Der Weg sei immer ein Ein­mann-Betrieb gewe­sen. Ange­stell­te konn­te man sich nicht leis­ten. Wolf­gang Prien war als Ver­le­ger „Mäd­chen für alles“: „Er war Redak­teur, Buch­hal­ter, er brach­te die Post zum nächs­ten Post­amt, er kleb­te die Mar­ken dar­auf, er muß­te die Hef­te in die Umschlä­ge fül­len, kurz, er muß­te jede Arbeit tun, die es eben in einem Ver­lag gibt. Anders war es auch nie möglich“. 

Der Weg wur­de zunächst in Ham­burg bzw. Har­burg gedruckt, doch trenn­te sich Rolf Put­zi­ger 1955, im fünf­ten Jahr­gang sei­ner Zeit­schrift, von der Dru­cke­rei und ver­leg­te die Pro­duk­ti­on nach Ber­lin. Ers­ter Ber­li­ner Dru­cker des Weg war die Fir­ma Wil­helm Möl­ler in Waid­manns­lust, die auch die Monats­schrift Der Nord-Ber­li­ner her­aus­gab. Aber nach etwa zwei Jah­ren been­de­te man die Zusam­men­ar­beit. Zwi­schen­zei­tig wur­den auch zwei Aus­ga­ben von dem Buch­händ­ler und Ver­le­ger Wer­ner Gerst­may­er in Ber­lin-Wann­see hergestellt. 

Rolf Put­zi­ger ließ den Weg ab August 1958 dann in der Dru­cke­rei Rudolf Mei­er dru­cken, und mit die­ser Fir­ma soll­te Wolf­gang Prien noch im Febru­ar 1965 zusam­men­ar­bei­ten, bevor man wie­der einen Betrieb in Ham­burg mit der Pro­duk­ti­on des Weg beauf­trag­te. Heu­te deu­tet nichts dar­auf hin, dass Rudolf Mei­er (1908–2004) homo­se­xu­ell gewe­sen sein könn­te. Den­noch soll sein Lebens­weg hier kurz vor­ge­stellt wer­den, um zu zei­gen, von wel­cher Sei­te die „Homo­phi­len“ der 1950er und 1960er Jah­re Unter­stüt­zung erfah­ren durf­ten und mit wem sie ins Geschäft kamen, und sei es auch nur, um ein mehr oder weni­ger kom­mer­zi­el­les Pro­dukt wie eine Zeit­schrift „an den Mann“ zu bringen.

Rudolf Mei­er, ein Leben als Drucker

Rudolf Mei­er wur­de am 24. August 1908 als Sohn des Schrift­set­zers Paul Mei­er (1885–1943) und des­sen Ehe­frau Maria geb. Maty­schik (1885–1927) in Ber­lin-Trep­tow gebo­ren. Der Vater stamm­te gebür­tig aus Ober­haß­lau bei Zwi­ckau (König­reich Sach­sen), die Mut­ter aus dem ober­schle­si­schen Kreuz­burg (heu­te Klucz­bork, Polen). Wäh­rend Paul Mei­er sei­nem gelern­ten Beruf als Schrift­set­zer nach­ging, war sei­ne Frau als „Bäcker­mam­sell“ in einer klei­nen Bäcker­fi­lia­le tätig, um den Unter­halt der Fami­lie zusätz­lich zu sichern. In Neu­kölln, wohin die Fami­lie bald gezo­gen war, gehör­te Paul Mei­er bis 1914 der SPD an, trat dann, empört von der Bewil­li­gung der Kriegs­kre­di­te, der Unab­hän­gi­gen Sozi­al­de­mo­kra­ti­schen Par­tei Deutsch­lands (USPD) bei und wech­sel­te schließ­lich zur Kom­mu­nis­ti­schen Par­tei Deutsch­land (KPD). Er arbei­te­te zumin­dest zeit­wei­se eng mit dem KPD-Ver­le­ger Wil­li Mün­zen­berg (1889–1940) zusam­men und unter­hielt Kon­tak­te zu dem Vor­sit­zen­den der KPD-Frak­ti­on im Reichs­tag Ernst Torg­ler (1893–1963). Mei­er absol­vier­te 1925, mit vier­zig Jah­ren, sei­ne Meis­ter­prü­fung als Buch­druck­meis­ter und mach­te sich anschlie­ßend selb­stän­dig, indem er von der Wit­we des Wed­din­ger Dru­cke­rei­be­sit­zers Wil­ly Schrei­ber den klei­nen Betrieb in der Gen­ter Stra­ße (damals noch Haus­num­mer 40) über­nahm. Sei­ne Frau Maria erkrank­te im Lauf der 1920er Jah­re an Krebs und nahm sich 1927 infol­ge stän­di­ger star­ker Schmer­zen das Leben.

Der Sohn Rudolf Mei­er war wie sein Vater Mit­glied der KPD. Er mach­te zunächst eine Kauf­manns­leh­re in einer Tuch­groß­hand­lung und leg­te hier auch die Kauf­manns­ge­hil­fen­prü­fung ab. Als sein Chef starb und die Fir­ma plei­te­ging, stand er vor der Arbeits­lo­sig­keit. In der Fol­ge wur­de er „flie­gen­der Händ­ler“ für Koh­le­pa­pier und Schreib­ma­schi­nen­bän­der, anschlie­ßend ging er als Zeit­schrif­ten­wer­ber von Tür zu Tür. Da er sich von die­ser Tätig­keit kaum ernäh­ren konn­te, arbei­te­te er sich schließ­lich in den Betrieb sei­nes Vaters ein, unter­hielt aber neben­her auch eine klei­ne Fir­ma für Büro­be­darf weiter.

Die Dru­cke­rei von Paul Mei­er hat­te fünf Beschäf­tig­te. Hier wur­den poli­ti­sche Bro­schü­ren, Flug­blät­ter und Ver­wal­tungs­druck­sa­chen her­ge­stellt. So ent­stan­den zeit­wei­se die ille­ga­len Aus­ga­ben einer Zei­tung des Rot­front­kämp­fer­bun­des (RFB) sowie noch 1933 die Mit­glieds­bü­cher der Roten Hil­fe in der Gen­ter Stra­ße. Hier wur­de aber auch Die Oster­glo­cke, das Infor­ma­ti­ons­blatt von Fritz von Bar­gen (1896–1966), gedruckt. Von Bar­gen war Pfar­rer in der evan­ge­li­schen Oster­kir­che im Wed­ding, Ecke Samoa- und Spren­gelstra­ße, und Mit­glied der Beken­nen­den Kir­che. Durch die Macht­über­ga­be an die Natio­nal­so­zia­lis­ten 1933 geriet die Fir­ma von Paul Mei­er in eine exis­ten­zi­el­le Kri­se. Alle poli­ti­schen Kund*innen der Dru­cke­rei ver­schwan­den, und Rudolf Mei­er muss­te zeit­wei­se als Ver­tre­ter und Haus­die­ner tätig wer­den. Mit dem Fahr­rad oder der U‑Bahn lie­fer­te er neben­bei aus, was der väter­li­che Betrieb pro­du­zier­te, jetzt vor­nehm­lich For­mu­la­re, Kar­tei­kar­ten und Bestandslisten.

Im Som­mer 1935 hei­ra­te­te Rudolf Mei­er, doch wur­de die Ehe bereits Anfang 1937 wie­der geschie­den. In sei­ner Frei­zeit spiel­te Mei­er Ten­nis, und wirt­schaft­lich kon­so­li­dier­te er sich nun so weit, dass er sich 1938 ein ers­tes Auto leis­ten konn­te. Die Füh­rer­schein­prü­fung leg­te er am 10. Novem­ber 1938 ab, und aus dem Auto her­aus konn­te er über­all in Ber­lin die zer­trüm­mer­ten Schau­fens­ter jüdi­scher Geschäf­te und die auf der Stra­ße her­um­lie­gen­den Waren und Ein­rich­tungs­ge­gen­stän­de sehen. Es war laut Mei­er ein „böses, böses Bild!“. Als der Zwei­te Welt­krieg „aus­brach“, war Rudolf Mei­er im wehr­pflich­ti­gen Alter. Um der dro­hen­den Ein­zie­hung in die Wehr­macht zu ent­ge­hen, mel­de­te er sich 1942 auf ein Stel­len­an­ge­bot der Ber­li­ner Kri­mi­nal­po­li­zei im Völ­ki­schen Beob­ach­ter. Gesucht wur­den hier neue „jun­ge und intel­li­gen­te Mit­ar­bei­ter“, nach­dem vie­le erfah­re­ne Beam­te zum soge­nann­ten „Ver­wal­tungs­auf­bau“ in das besetz­te Polen abkom­man­diert wor­den waren. Die neu­en Kräf­te wur­den in einem Schnell­kurs aus­ge­bil­det und dann als Kri­mi­nal­an­ge­stell­te auf die Revie­re ver­teilt. Ihre Haupt­auf­ga­ben bestan­den dar­in, Lau­ben­ein­brü­che sowie Fäl­le von Selbst­mord und ver­meint­li­chem Lebens­mit­tel­kar­ten­dieb­stahl zu doku­men­tie­ren sowie Opfer von Luft­an­grif­fen zu iden­ti­fi­zie­ren oder bei der Ber­gung von Ver­schüt­te­ten zu hel­fen. Aus­ge­rüs­tet wur­den sie mit Kri­po­mar­ken und Revol­vern, und nach eige­nen Anga­ben gelang es Rudolf Mei­er, eini­ge Waf­fen für den „End­kampf“ bei­sei­te­zu­schaf­fen. Den nun­mehr kriegs­be­dingt geschrumpf­ten väter­li­chen Betrieb führ­te er neben­her weiter.

Als Ange­stell­ter der Kri­mi­nal­po­li­zei war Rudolf Mei­er UK-gestellt, und 1942 lern­te er sei­ne spä­te­re, zwei­te Ehe­frau Eva-Maria ken­nen, die zu die­sem Zeit­punkt 17 Jah­re alt war. Das Paar hei­ra­te­te im April 1943 und bekam zwei Töch­ter, die im August 1943 und im Febru­ar 1945 gebo­ren wur­den. Rudolf Mei­er gehör­te in die­ser Zeit einer klei­nen ille­ga­len Grup­pe an, die sich „Wider­stands­grup­pe V“ nann­te. Das V stand für „Ver­gel­tung“. Die Grup­pe bestand unter ande­rem aus älte­ren Druckereimitarbeiter*innen, die vor 1933 eben­falls der KPD ange­hört hat­ten, und wur­de vor­nehm­lich in den letz­ten Kriegs­mo­na­ten aktiv. So fer­tig­te sie ein Flug­blatt an, des­sen Text besag­te: „Dr. Goeb­bels ist der größ­te Ver­bre­cher in unse­rer Stadt, wenn er Ber­lin zur Offe­nen Stadt erklärt hät­te, wären wir nicht bom­bar­diert wor­den! Wider­stands­grup­pe V“ (zit. nach Sand­voß 2003: 176). Das Flug­blatt wur­de in zwei- bis drei­tau­send Exem­pla­ren in der Dru­cke­rei in der Gen­ter Stra­ße ange­fer­tigt, und Mei­er ver­brei­te­te es, wie die ande­ren auch, wenn er nachts als Mit­ar­bei­ter der Kri­mi­nal­po­li­zei im Bezirk Wed­ding Dienst tat.

Eva-Maria Mei­er war 1944 mit ihrer erst­ge­bo­re­nen Toch­ter aus Ber­lin eva­ku­iert und in ein Müt­ter­heim der Natio­nal­so­zia­lis­ti­schen Volks­wohl­fahrt (NSV) nach Nie­der­schle­si­en ver­schickt wor­den. Im Janu­ar 1945 gelang es Rudolf Mei­er aber, Kurz-Urlaub zu bekom­men, um sei­ne schwan­ge­re Frau und die gemein­sa­me Toch­ter aus Schle­si­en her­aus­zu­ho­len. Sie war in Angst vor der erfolg­reich vor­drin­gen­den Roten Armee und der immer näher rücken­den Front. Zurück in Ber­lin setz­te sich Mei­er im April 1945 zusam­men mit einem befreun­de­ten Kol­le­gen von der Kri­postel­le ab, und als sowje­ti­sche Sol­da­ten vom Ber­li­ner Nor­den kom­mend in den Wed­ding ein­zo­gen, ret­te­te ihm sein altes KPD-Par­tei­buch das Leben.

Nach dem Ende des Zwei­ten Welt­kriegs übte Rudolf Mei­er zeit­wei­se eine Dop­pel­funk­ti­on aus: Er führ­te nicht nur die eige­ne Dru­cke­rei wei­ter, son­dern wur­de auch im Wed­din­ger Bezirks­amt tätig, was für den Neu­an­fang nach 1945 von Vor­teil war, da das Amt Druck­sa­chen benö­tig­te. Als Mei­er sich von sei­ner Tätig­keit im Bezirks­amt zurück­zog, über­nahm er vor­über­ge­hend eine wei­te­re Dru­cke­rei von einem Kol­le­gen, der der NSDAP ange­hört hat­te und des­halb von der sowje­ti­schen Besat­zungs­macht inhaf­tiert und depor­tiert wor­den war. Bei­de Betrie­be hat­ten je 15 Mann Belegschaft.

Der Dru­cke­rei­be­trieb und der Ver­lag Rudolf Mei­ers nah­men inner­halb des neu im Auf­bau befind­li­chen Ver­wal­tungs­be­zirks Wed­ding, der dem Fran­zö­si­schen Sek­tor Ber­lins ein­ge­glie­dert wor­den war, eine pro­mi­nen­te Funk­ti­on ein. So wur­de hier bei­spiels­wei­se eine „Vier-Zonen-Deutsch­land­kar­te“, die ers­te Kar­te die­ser Art im dama­li­gen Deutsch­land, pro­du­ziert. Die Geschäf­te lie­fen gut, der Betrieb konn­te ver­grö­ßert wer­den, neue Maschi­nen wur­den ange­schafft und zusätz­li­che Kund*innen akqui­riert. Zeit­wei­se galt Rudolf Mei­er als der „Wie­ge­kar­ten-Mei­er“, da sei­ne Dru­cke­rei Wie­ge­kar­ten für Fuhr­werks­waa­gen anfer­tig­te. Der Betrieb hat­te nun bis zu 42 Beschäf­tig­te, zu sei­ner Kund­schaft zähl­te er unter ande­rem die Reichs­bahn, und er druck­te bzw. ver­leg­te 17 Zeit­schrif­ten. 1955, zur Blü­te­zeit des „Wirt­schafts­wun­ders“, war Rudolf Mei­er ein „gemach­ter Mann“ und konn­te sich und sei­ner Fami­lie ein Wohn­haus in Ber­lin-Herms­dorf kaufen.

Eine Fir­men­ge­schich­te hat Rudolf Mei­er gleich­wohl nie geschrie­ben, und so lie­gen über sei­ne Geschäfts­tä­tig­keit als Dru­cker ab den 1950er Jah­ren nur iso­lier­te Anga­ben vor. Unbe­kannt ist eben­falls, wie sich Mei­er nach 1945 poli­tisch posi­tio­nier­te. Mut­maß­lich betrach­te­te er sich auch in der restau­ra­ti­ven und „blei­er­nen“ Zeit, in der Kon­rad Ade­nau­er Bun­des­kanz­ler war, als links. Doch scheint er sich poli­tisch nicht expli­zit her­vor­ge­tan zu haben. Die weni­gen bekann­ten Druck­schrif­ten aus sei­ner Fir­ma legen Zeug­nis von dem wirt­schaft­li­chen Auf­schwung West-Deutsch­lands nach dem Zwei­ten Welt­krieg ab. 1958 fer­tig­te die Dru­cke­rei Rudolf Mei­er ein 12-sei­ti­ges Pro­gramm­heft zu einem Johann-Strauss-Kon­zert an, das wäh­rend der Inter­na­tio­na­len Ber­li­ner Film­fest­spie­le statt­fand. 1960 erschien im gleich­na­mi­gen Ver­lag das 36-sei­ti­ge Pro­gramm­heft zu den bun­des­deut­schen Meis­ter­schaf­ten im Schwim­men und Sprin­gen, die im Olym­pia-Sta­di­on in Ber­lin-West­end aus­ge­rich­tet wur­den, und 1962 druck­te Mei­er das 20-sei­ti­ge Pro­gramm­heft zu einem Box­kampf von Gus­tav „Bubi“ Scholz gegen Jes­se Bow­dry in der Char­lot­ten­bur­ger Deutsch­land­hal­le. Auf­fal­lend ist sei­ne ver­stärk­te Zuwen­dung zum Sport. Noch 1976 pro­du­zier­te Mei­er, der pri­vat Vor­stands­mit­glied in einem Ten­nis­club war, das Ber­li­ner Ten­nis-Blatt, das als „amt­li­ches Organ des Ber­li­ner Ten­nis-Ver­bands“ fun­gier­te. Nach einer Anzei­ge in die­ser Zeit­schrift druck­te die Fir­ma Mit­tei­lun­gen, For­mu­la­re, Zeit­schrif­ten, Pro­gram­me, Ehren-Urkun­den, Pri­vat- und Geschäfts­druck­sa­chen und Pro­spek­te im Buch­druck und Off­set. Als Wer­be­slo­gan benutz­te man die Wor­te „Sport­ler dru­cken für Sport­ler“. Offen­bar bedien­te Mei­er als Dru­cker und Ver­le­ger ein weit­ge­hend ande­res, bür­ger­li­che­res Seg­ment, als sein Kol­le­ge Wer­ner Gerst­may­er es ab Ende der 1950er Jah­re tat.

Wann genau Rudolf Mei­er sich zur Ruhe setz­te und sei­nen Betrieb ver­kauf­te, ist nicht belegt. Ver­mut­lich geschah dies noch im Lauf der 1970er Jah­re. Rudolf Mei­er starb am 29. Sep­tem­ber 2004 in Ber­lin-Span­dau. Die Zeit­schrift Der Weg gehör­te mög­li­cher­wei­se nicht zu sei­nen Her­zens­an­ge­le­gen­hei­ten als Dru­cker. Ver­mut­lich dreh­te es sich bei der Zusam­men­ar­beit für ihn wie für Wolf­gang Prien um ein Zwi­schen­spiel, und nach wie vor ist unbe­kannt, wel­che Umstän­de zur Been­di­gung der Koope­ra­ti­on zwi­schen Prien und Mei­er führ­ten. Doch beglei­te­te Rudolf Mei­er die Zeit­schrift von 1958 bis 1965 immer­hin sechs­ein­halb Jah­re lang, sicher­te ihr in die­ser Zeit das Erschei­nen und die Exis­tenz sowie etli­chen „Homo­phi­len“ in der frü­hen Bun­des­re­pu­blik Deutsch­land, die ange­sichts des § 175 StGB stets Gefahr lie­fen, als „Ver­bre­cher“ gebrand­markt und ver­ur­teilt zu wer­den, Halt und Bestän­dig­keit. In Ein­klang mit dem anfangs zitier­ten Anspruch des Ver­lags und der Redak­ti­on der Zeit­schrift Die Insel/Der Weg von 1951 gab er ihnen das Gefühl, nicht allein zu sein.

gekürz­te Ver­si­on eines Tex­tes von Rai­mund Wol­fert für die Magnus-Hirsch­feld-Gesell­schaft

Lang­ver­si­on mit Lite­ra­tur- und Quellenverzeichnis

Gastautor

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2 Comments Leave a Reply

  1. Wie inter­es­sant!

    Dan­ke für die Fleißarbeit!

    Offen­bar eine der weni­gen Dru­cke­rei­en, die ihren Bestand nicht in der Haupt­sa­che dadurch begrün­det hat, dass es in Ber­lin (West) eine Fül­le von staat­li­chen För­der­mit­teln gab.

    Inves­ti­ti­ons­zu­la­ge, Inves­ti­ti­ons­zu­schüs­se, Son­der­ab­schrei­bun­gen, Mehrwertsteuerpräferenz, .….

  2. Hal­lo
    Tol­ler Arti­kel… zu Herrn Put­zi­ger habe ich noch fol­gen­des gefunden…
    In die Anna­len der Sport­ge­schich­te ging Rolf Put­zi­ger als Men­tor von Arnold Schwar­zen­eg­ger ein: Er hol­te den 19-Jäh­ri­gen von aus sei­ner Hei­mat­stadt Graz nach Mün­chen, wo die­ser die Grund­la­ge für sei­ne inter­na­tio­na­le Kar­rie­re leg­te. Schwar­zen­eg­gers Urteil über Put­zi­ger fiel Jahr­zehn­te spä­ter wenig schmei­chel­haft aus: „Put­zi­ger war schmie­rig.“ (was sleazy)
    Zu die­ser Äus­se­rung könn­te es gekom­men sein das Herr Put­zi­ger gewis­se Diens­te von Arnie ver­lang­te als die­ser damals in sei­nem Stu­dio als Trai­ner arbei­te­te und er ihm die Fahrt nach Lon­don zum Wett­kampf bezah­len woll­te . Arnie lehn­te ab und Herr Rein­hard Smo­l­a­na („Geg­ner von­Put­zi­ger“) bezahl­te die Reise
    http://harry-gelbfarb.de/rolf-putziger.html
    Fros­ti­gen Sonn­tag noch

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