Die Umbenennung von Nachtigalplatz und Lüderitzstraße im Afrikanischen Viertel am 2. Dezember war ein Fest für die afrikanische Gemeinde in ganz Berlin und für ihre Unterstützenden, die jahrelang auf dieses Ziel hingearbeitet hatten. Es hätte auch ein Tag der Versöhnung mit den Anwohnerinnen und Anwohnern sein können, die sich gegen die Umbenennung gewehrt hatten – wenn es nicht das Bezirksamt Mitte gäbe.
Es war ein aufregender Moment an diesem grauen Tag in diesem eher biederen Teil des Wedding, in dem ich wohne. Etwa hundert Menschen aller Hautfarben und Nationen versammelten sich um zwei Straßenschilder im Afrikanischen Viertel. Auf dem einen stand “Manga-Bell-Platz” auf dem anderen “Cornelius- Fredericks-Straße”. Es gab Live-Musik und die Stimmung war fröhlich und hoffnungsvoll. Alle hatten sich fein gemacht um das Besondere des Tages zu unterstreichen: Nicht nur die Botschafter von Kamerun und Namibia. Auch die afrikanischen Aktivistinnen und Aktivisten, die jahrelang für die Umbenennung gestritten haben. Sie hatten trotz des nebelkalten Tages luftige, farbenfrohe Gewänder angezogen und harrten darin tapfer die ganze, mehr als zwei Stunden dauernde Zeremonie aus. Und auch ihre einheimischen Unterstützenden trugen zur Feier der Tages ihre beste Streetwear, oft von ausgesuchten Labels. Die neuen Straßenschilder waren mit einer handgewebten Ashanti-Hülle aus Ghana verdeckt, wie mir Viktor, der Inhaber der Modeschneiderei Vianko Mode kundig verriet. Er freute sich, dass sein Geschäft jetzt in der Cornelius-Fredericks-Straße 16 liegt. “Schau mal. Der Vogel auf dem Stoff dreht seinen Kopf nach hinten. Das ist das Sankofa, ein Symbol für etwas, was man verloren hatte und wieder findet, oder sich wieder holt.” Die vielen Redner bei der feierlichen Enthüllung ließen keinen Zweifel daran, was sie verloren und wiedergefunden hatten. Es sei die Würde der afrikanischen Menschen, die nach den Verbrechen der deutschen Kolonialmacht durch die Benennung zweier Straßen in der deutschen Hauptstadt mit den Namen afrikanischer Widerstandskämpfer wieder hergestellt werde. Obwohl schon 2016 begonnen, reiht sich die Umbenennung in Berlin ein in eine Vielzahl von Aktionen, die dieses Jahr zur Anerkennung kolonialen Unrechts von offiziellen Stellen in Deutschland unternommen werden. Die Rückgabe der Benin-Bronzen zum Beispiel. Und vor wenigen Wochen hatte Katja Keul, die für Afrika zuständige grüne Staatsministerin im Auswärtigen Amt, Kamerun besucht und dort das Unrecht anerkannt, das König Rudolf Douala Manga Bell, nach dem jetzt der ehemalige Nachtigalplatz benannt wird, von der deutschen Kolonialverwaltung angetan wurde – die Umbenennung durch ihre grünen Parteifreunde in Berlin-Mitte erwähnte sie dabei allerdings nicht.
Es hätte also für alle ein Tag des Feierns, der Freude und der Vergebung werden können. Versöhnung auch mit den Anwohnenden, die sich mit Widersprüchen und Handzetteln gegen die Umbenennung gewehrt hatten. Dass die alten Gräben noch nicht zugeschüttet sind, merkte man an einigen älteren Frauen, die grimmig schauend an der Feiergemeinde vorbeihuschten und giftige Worte zischten und an den heftigen Reaktionen der Aktivisten darauf. Eine Frau riss sogar vor der Veranstaltung die Verhüllung von dem neuen Straßenschild und rief “Lüderitz ist einfach eine Stadt in Afrika”, bevor sie abgedrängt wurde. Viele sind aber auch für die Umbenennung. Auf der Feier finde ich genug Mitbewohnende, die, wie ich, froh sind, “den Lüderitz los zu sein.”
Aber selbst die Wohlmeinenden können nur den Kopf schütteln über das Schweigen des Bezirksamts Mitte. Bis auf eine Pressemitteilung von 15. November, in dem baldige Information der Bürgerinnen und Bürger versprochen wurde, tat das Bezirksamt nicht viel, um die Anwohner über die Folgen der baldigen Umbenennung zu informieren. “Wir wussten absolut nichts, als wir vor ein paar Wochen unsere Praxis in die Lüderitzstraße verlegt haben”, schüttelt die Podologin Ilona Beer den Kopf. Weil der Mietvertrag des Gesundheitszentrums in der Barfustraße nicht verlängert wurde, hat sie in der jetzigen Cornelius-Fredericks-Straße 76 mit ihrem Kollegen Serge Millrose neue Praxisräume angemietet. “Natürlich haben wir auch alles gleich umgemeldet und neue Geschäftspapiere drucken lassen – alles natürlich auf die Lüderitzstraße. Bei den Ämtern hat uns niemand auf die bevorstehende Namensänderung hingewiesen.” Sie deutet auf Kartons mit Briefbögen, Rechnungsvordrucken und Notizzetteln, die in dem frisch renovierten Laden stehen. “Das können wir jetzt alles ins Altpapier werfen. Und die Autos müssen wir auch wieder ummelden.” Zum Glück haben die beiden Podologen sich die Freude am Neuanfang durch die Wurstigkeit der Bezirksbehörden nicht verderben lassen. “Wir haben noch aus der Barfusstraße mehr Kunden mitgebracht, als wir Termine vergeben können, sodass wir dadurch keine Umsatzeinbußen befürchten müssen”, erklärt gelassen Serge.
Das Bezirksamt ist sich nicht bewusst, dass ihm mit dieser Informationspolitik ein weiterer Schild-Bürgerstreich gelungen ist, der sich in die Reihe von ungeschicktem bis arrogantem Umgang mit den Anwohnenden bei dieser Umbenennung nahtlos einreiht. Die Pressestelle verweist darauf, dass die Bewohner des Nachtigalplatzes und der Lüderitzstraße durch Handzettel vorher informiert wurden. Das stimmt leider nur zur Hälfte. Während der Nachtigalplatz vor einer Woche mit den recht allgemein gehaltenen Flyern des Bezirksamtes regelrecht zugepflastert wurde, blieb die Lüderitzstraße die Straße der Ahnungslosen. Niemand hat hier einen Zettel gesehen. Wahrscheinlich war die Kraft der Bezirksamtsmitarbeitenden durch den Exzess am Nachtigalplatz schon verbraucht. Und vielleicht war das auch besser so. Denn die auf den Zetteln versprochene bevorzugte Terminvergabe im Dezember zur Ummeldung beim Bürgeramt Osloer Straße über die Bürgernummer 115 ist dort leider völlig unbekannt. “Ist ja schön, dass wir das auch mal erfahren”, versucht es eine freundliche Call-Center-Mitarbeiterin bei der 115 mit Berliner Galgenhumor, als ich am 2. Dezember einen Termin beantragen will. “Ich kann Ihnen einen Termin am 27. Januar 2023 in Lichtenberg anbieten.” Aber ihr Interesse ist geweckt. Sie stellt mich in die Warteschleife und will sich erkundigen. “Da geht keiner mehr ran”, entschuldigt sich die Dame nach zwei Minuten am Telefon. “Die sind Freitag nur bis 14:30 Uhr zu erreichen.” Der versprochene Rückruf erreicht mich nie. Am Abend des 2. Dezembers will ich auch meiner Bank online meine neue Adresse mitteilen. “Diese Adresse ist uns leider unbekannt”, lehnt die Eingabemaske die Cornelius-Fredericks-Straße ab. Meine Schwester, die bei der Post arbeitet, rät mir, mir selbst einen Testbrief an die neue Adresse zu schreiben, bevor ich die Päckchen mit den Weihnachtsgeschenken für meine Kinder ordere. “Wenn die Post das nicht weiß, klappt das bei den Online-Händlern auch nicht.”
Ich hoffe, dass es für die Bewohner von Manga-Bell-Platz und Cornelius-Fredericks-Straße nach dem frohen Fest am 2. Dezember auch ein Frohes Fest am 24. Dezember geben wird. Das Bezirksamt könnte dazu noch einiges beitragen.
Fotos: Rolf Fischer/Joachim Faust/Andrei Schnell
Ach watt. Jetzt sind wir also 2 Jahre in der Cornelius-Fredericks-Straße und das Leben geht ohne weiteres weiter. Als ich vor 14 Jahren hierher in die Lüderitz zog, wusste ich noch gar nichts um die Geschichte. Beim Wandern durch den Kiez bemerkte ich dann ein Übergewicht afrikanischer Straßennamen, so wie es auch ein nordrheinwestfälisches Viertel in Moabit gibt, ein süddeutsches Viertel da um den Bayerischen Platz herum, ein Skandinavisches in Prenzlauer Berg hinter der Bösen Brücke und so fort. Dort sticht die Paul-Robeson-Straße heraus, die von den Anwohnenden “Robbsenstraße” ausgesprochen wird und damit ein kleines Rätsel mit einer spannenden Auflösung bietet.
Hier wunderte mich, wie Lüderitz in das übrige Schema hinein passt. Tja und dann stieß ich auf diese Geschichte. Das fand ich spannend und irgendwie als lebendiges Denkmal wieder mal für unschöne Aspekte unserer Vergangenheit. Das ging mir durch den Kopf, als ich das erste Mal von der Straßenumbenennungsabsicht hörte und war auch zurückhaltend, eben wegen dieses Erlebnismoments, den ich ganz gut fand. Nach einem Gespräch – in Düsseldorf, ich glaube fünf Jahre später – mit einem Stipendiatskollegen, der sich für die Straßenumbenennung einsetzte, konnte ich nachvollziehen, wie stark emotional besetzt diese Namen sind, wie eng sie im kollektiven Gedächtnis mit dem erlittenen Unrecht verbunden sind. Naja, da wurd’ mir meine Erlebnisspaziergangserfahrung unwichtiger. Das ganze Trara mit “den Namen ändern, das geht doch nicht, da muss ich mich ja ummelden und alles!!”, der Aufruf zum Widerspruch und das alles, fand ich ziemlich blöd und mit viel Geschmäckle serviert. Und Popanz um den Aufwand … naja, der hielt sich echt in Grenzen, insbesondere weil immer noch auf Lüderitz adressierte Post zutreffend ausgeliefert wird. (Es macht Spaß, diese Alt-Herrensprache in umgedrehter Richtung zu verwenden.)
Ich muss dann auch mal sagen: Ich kann sehr gut mit dem Namen leben und der Effekt erhält sich ja auch. “Lauter Namen von Orten und jetzt ein Menschenname, wieso wohl?” Es ist doch auch nun wirklich auch würdevoller, einem Freiheitskämpfer zu gedenken, dessen Leichnam von unseren Vorfahren geschändet worden ist und dessen individuelles Leid stellvertretend für die Vielzahl von Menschen steht, die durch unsere Vorfahren geschändet und ausgelöscht worden sind – und betrogen. Das erste was ich damals anno 2010 lernte, über Wikipedia: “Was für ein vertragsbrüchiges Arschloch, dieses Windei.”
Lüderitz ist eben nicht “einfach nur ein Ort” sondern der Nachname eines halbseidenen Abenteurers, der mit einer windigen Betrugsnummer rechtgläubige Vertragspartnern mit militärischer Rückendeckung einen nichtigen Vertrag aufdrückte, bei dem ihnen obskure, international vollkommen unbekannte “preußische Meilen” untergeschoben worden sind, wo jede:r objektive:r Dritte von britischen oder zumindest nautischen Meilen hätte ausgehen müssen.
Von Anfang an ist diese Eskapade eine der vielen Schanden unseres Landes.
Es ist mir vollkommen recht – und es hat auch seit zwei Jahren niemandem hier geschadet – dass meinen Nachbar:innen, die besonders eng mit der Geschichte auf Seiten der Leidtragenden verbunden sind an dieser Stelle etwas Genugtuung erhalten haben. Ja, und für mich … es gibt so viele Gelegenheiten sich als Deutsche:r am laufenden Band zu schämen. Unsere Geschichte und Gegenwart hält so viel für uns bereit, was beschämend ist, dass mensch eigentlich da auch gar nicht mehr herauskommen kann. Da ist so ein neu besetzter Straßenname mal ein kleines bisschen entlastend.
Ich wohne auch in der ehemaligen Lüderitzstr., habe keine Info vorher oder jetzt eine Woche danach bekommen, wo und wie ich diese bevorzugten Termine im Bürgeramt erhalte.
Ich habe mich jetzt 15 min in die Warteschleife der 115-Bürgertelefon gehangen und dort eine sehr nette Mitarbeiterin am Telefon gehabt, die mir erklärt hat: Online gibt es die Auswahl der Termine nicht-man muss anrufen. Aber eine freudige Nachricht: es sind noch am selben Tag (oder wann man eben möchte) Termine frei und kann den Personalausweis umändern lassen. Also 15 min Warteschleife haben sich tatsächlich gelohnt.
Gut finde ich, daß das Bezirksamt nach über 75 Jahren es schaffte, sich tatkräftig mit dem Thema zu befassen. Nicht gut finde ich, daß Entkolonialisierung bedeuten soll, die Kolonialgeschichte wird fortgeschrieben, heißt: Warum wurden nicht-koloniale Straßennamen außen vor gelassen? Nicht gut finde ich auch, daß der Name des Mörders Peters immer noch auf dem Straßenschild steht. Ganz schlimm finde ich, daß kein Frauenname auf dem Straßenschild steht.
Hier die Aktualisierung der Aktualisierung: Ich hatte meinen Termin beim Bürgeramt. Dort sitzt tatsächlich ein extra Mitarbeiter nur für die Ummeldungen! Man bekommt einen Aufkleber auf den Perso und der Chip auf dem Perso wird geändert.
Aber…. Damit ist man noch nicht umgemeldet. Die Umstellung des Melderegisters auf die neuen Straßennamen durch das Landesamt für Bürger- und Ordnungsangelegenheiten (LABO), und damit die Ummeldung erfolgt erst nach der Wahl, also frühestens am 13. Februar 2023! Angeblich automatisch. Das heißt, dass ich jetzt einen Personalausweis habe, der eine Adresse ausgibt, die es im Melderegister nicht gibt. Auf die Diskussionen, die das bei meinem nächsten Kontakt mit den Ordnungsbehörden (Ihre Papiere bitte..) auslöst, freue ich mich schon.
Der freundliche Mitarbeiter riet mir auch davon ab, mein Kfz vor Ende Februar 2023 umzumelden, denn die Zulassungsbehörden hätten die neue Adresse bis dahin nicht im System.
Der Brief, den ich mir zum Test an meine neue Adresse geschickt habe, ist nach vier Tagen noch nicht angekommen. Aber vielleicht liegt das am Briefträgermangel….
Na, dann darfst du dich ja schon mal auf die Übersendung (oder auch nicht) der Wahlbenachrichtigung freuen! Vielleicht muss die Wahl ja dann noch mal wiederholt werden…
Eine Aktualisierung zu Bürgernummer 115: Man muss es mehrmals probieren, denn man bekommt bei jedem Anruf neue Auskünfte zu den bevorzugten Terminen für die Anwohnenden („Gestern gab es noch welche, heute nicht.“ Da müssen Sie früher anrufen.“ „Die kann ich gerade nicht finden.“) Nach dem vierten Versuch habe ich heute einen bekommen. Am gleichen Tag und in der Osloer Straße.
Zu der Kfz-Ummeldung: Wenn es die erste Ummeldung ist, macht es das Bürgeramt kostenlos. Wenn die Adresse auf dem Kfz-Schein schon mal geändert wurde, muss man von der Zulassungsstelle einen neuen Schein ausstellen lassen. Termin kann man gleich beim Anruf bei der 115 mit buchen. Man soll im Termin dann auf jeden Fall sagen, dass es wegen der Umbenennung ist, dann sei die Ummeldung auch dort kostenlos., so die Auskunft des Bürgertelefons.
Ich hätte mir bei einem Artikel zu diesem Thema eine bessere Darstellung der Seite Betroffener gewünscht, gerade wenn es so viel um die nervigen Bürokratie-Patzer der Berliner Verwaltung geht. Genauso wichtig ist zu betonen, wieso eine Umbenennung für Betroffene der deutschen Kolonien maßgeblich ist und wieso diese Menschen mit so einem langen Atem dafür kämpfen (müssen)…
Zumindest ist mir nicht klar, wieso ein Artikel über die Versäumnisse der Bürokratie (nix neues in Berlin) wichtiger ist, als über den Hintergrund.
Aus meiner Sicht hätte es auch eine Tafel getan, die an die Verbrechen erinnert, und die man unten Straßennamen gehängt hätte. Das politisch korrekte Glattbügeln der Vergangenheit ist etwas, was eher vom Nachdenken darüber abhält. Man kann die Vergangenheit und die zeitabhängige Wertung derselben nicht ständig in rosarotem Nebel verstecken.
Darüber kann man durchaus diskutieren.
Vor allem kann man wohl getrost davon ausgehen das auch Herr Frederiks irgendwas in seinem Leben (zumal auch noch in der Zeit) getan hat, das heutzutage inakzeptabel ist.
Da hätte man vielleicht einfach einen Namen wie „Lärchenstraße“ wählen sollen. Oder wahrheitsgemäßer „Sperrmüllabstellstraße“ oder so