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Richtfest in der Gotenburger Straße:
Ein Maßanzug für das Soziale im Soldiner Kiez

24. November 2022
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Für den Staats­se­kre­tär ist es ein Expe­ri­ment und ein gutes Bei­spiel für Nach­ver­dich­tung, für den Stadt­rat ein wich­ti­ger Ret­tungs­an­ker in per­sön­li­chen Kisen­zei­ten, für die dege­wo eine gute Tat für die sozia­le Infra­struk­tur in Ber­lin. Die grif­figs­te Beschrei­bung für den Neu­bau in der Goten­bur­ger Stra­ße 4 for­mu­lier­te beim Richt­fest am Frei­tag (18.11.) aber die Archi­tek­tin Anne Lam­pen: „Die­ses Haus ist ein maß­ge­schnei­der­ter Anzug für den Kiez“. 

Die Richtkrone hängt über der Gotenburger Straße. Foto: Hensel
Die Richt­kro­ne hängt über der Goten­bur­ger Stra­ße. Foto: Hensel

Mit der For­mu­lie­rung der Archi­tek­tin ist viel über das Modell­pro­jekt gesagt. Wo frü­her der belieb­te Bau­wa­gen­spiel­platz war, ent­steht gera­de ein Gebäu­de. Kei­ne Eigen­tums­wo­hun­gen wer­den hier gebaut, über­haupt kei­ne regu­lä­ren Woh­nun­gen, kein Büro­ge­bäu­de und auch kein Stu­den­ten­wohn­haus. In den jetzt fer­tig­ge­stell­ten Roh­bau zieht ein Ver­bund sozia­ler Trä­ger ein, der vor allem betreu­tes Woh­nen für ver­schie­de­ne Per­so­nen­grup­pen anbie­ten wird.

„Das Pro­jekt wur­de aus der Not her­aus gebo­ren wor­den, weil es kei­nen geschütz­ten Raum für sozia­le Trä­ger mehr gab“, erklär­te Anne Lam­pen die Aus­gangs­ba­sis 2014. Es war eine Zeit, als der Immo­bi­li­en­markt in Ber­lin immer ange­spann­ter wur­de und auch sozia­le Trä­ger ihre Räu­me ver­lo­ren oder zu ver­lie­ren droh­ten. Beson­ders sol­che, die das soge­nann­te Trä­ger­woh­nen anbo­ten, hat­ten es schwer, pas­sen­de Räu­me zu fin­den oder zu behal­ten, auch im Wed­ding. In die­ser Situa­ti­on ent­stand die Idee von dem Sozi­al­haus in der Goten­bur­ger Stra­ße im Sol­di­ner Kiez.

Es folg­ten vie­le Gesprä­che und Über­le­gun­gen, Koope­ra­tio­nen und Kon­zep­te. Am Ende fan­den sich sie­ben sozia­le Trä­ger unter einem Dach zusam­men, die Kiez­quar­tier GmbH wur­de gegrün­det. Zusam­men mit dem lan­des­ei­ge­nen Wohungs­un­ter­neh­men dege­wo wur­de eine Zusam­men­ar­beit und ein Haus kon­zi­piert, das wie ein Maß­an­zug passt. Statt Hosen­län­ge und Kra­gen­wei­te wur­de dar­auf geach­tet, dass die Trä­ger und die künf­ti­gen Bewohner:innen bes­te Bedin­gun­gen haben, drun­ter jun­ge Eltern, Men­schen mit geis­ti­ger Beein­träch­ti­gung und Men­schen mit Suchtproblemen.

Der Neubau Gotenburger Straße in Zahlen

In dem fünf- und sie­ben­ge­schos­si­gen Neu­bau ent­ste­hen der­zeit auf 3.500 Qua­drat­me­tern Wohn­flä­che 58 bar­rie­re­freie Woh­nun­gen, davon 47 Ein-Zim­mer­woh­nun­gen und elf Zwei- bis Neun­zim­mer­woh­nun­gen mit 104 Wohn­plät­zen. Das KfW-Effi­zi­enz­haus 55 bie­tet außer­dem einen Raum für Kin­der­wa­gen, einen Raum für Fahr­rä­der und einen Spiel­platz. Eine Kita mit 60 Plät­zen und eine Pro­duk­ti­ons­schu­le für schul­di­stan­zier­te Jugend­li­che ergän­zen das Pro­jekt. Der im Sep­tem­ber 2021 begon­ne­ne Bau soll im Jahr 2023 bezugs­fer­tig wer­den. Soweit die Fakten.

Das Sozi­al­haus Goten­bur­ger Stra­ße ist nicht nur irgend­ein Neu­bau in Ber­lin, das Richt­fest daher auch nicht irgend­ein Richt­fest. Das Inter­es­se an der Bau­maß­nah­me ist grö­ßer als bei ande­ren Neu­bau­ten, das konn­te jeder sehen als der Richt­kranz empor­ge­zo­gen und der Richt­spruch gespro­chen wur­de. Vie­le Besucher:innen waren dabei: dege­wo-Vor­stän­din San­dra Wehr­mann, Staats­se­kre­tär Chris­ti­an Gaeb­ler, Bezirks­stadt­rat Chris­toph Kel­ler, Ver­tre­ter der Kiez­quar­tier GmbH, Ver­tre­ter der L.I.S.T. GmbH, aber auch Verter:innen von Pro­jek­ten und Trä­gern aus der unmit­tel­ba­ren Nach­bar­schaft. Auch ein Fern­seh­team hielt das Ereig­nis fest.

Eine Idee wandert vom Wedding nach Köpenick 

Beson­de­re Bedeu­tung hat die­ses Leucht­turm­pro­jekt auch des­halb, weil es als Modell für wei­te­re Koope­ra­tio­nen und Maß­nah­men die­ser Art dient. San­dra Wehr­mann unter­stich die­sen Punkt auch in ihrer Rede beim Richt­fest. Die Vor­stän­din der dege­wo AG kün­dig­te wei­te­re Pro­jek­te die­ser Art an: „Trä­ger­woh­nen wol­len wir als Allein­stel­lungs­merk­mal ent­wi­ckeln. Es gibt bereits ein Fol­ge­pro­jekt in Köpe­nick, Bau­be­ginn ist 2023. Wir wol­len die­sen Weg für Ber­lin wei­ter­ge­hen“. Die Erfah­run­gen aus dem lan­gen Vor­be­rei­tungs­pro­zess im Wed­ding kön­nen nun anders­wo in der Stadt ande­ren sozia­len Trä­gern zugu­te kom­men und viel­leicht dafür sor­gen, dass die Zeit von der Idee bis zum Richt­fest deut­lich kür­zer als die neun Wed­din­ger Jah­re ist. 

Neubau in der Gotenburger Straße am Tag des Richtfests. Foto: Schnell
Neu­bau in der Goten­bur­ger Stra­ße am Tag des Richt­fests. Foto: Schnell

Aus den Redebeiträgen beim Richtfest

Chris­ti­an Gaeb­ler, Staats­se­kre­tär für Bau­en und Woh­nen in der Senats­ver­wal­tung für Stadt­ent­wick­lung, Bau­en und Woh­nen, Ber­lin: „Ich freue mich dar­über, dass dege­wo sich mit dem expe­ri­men­tel­len Wohn­pro­jekt in der Goten­bur­ger Stra­ße für the­ra­peu­ti­sche und betreu­te Wohn­for­men ein­setzt. Gemein­nüt­zi­ge sozia­le Trä­ger haben es auf dem ange­spann­ten Ber­li­ner Woh­nungs­markt beson­ders schwer, Woh­nun­gen anzu­mie­ten. Dass dies hier an zen­tra­ler Stel­le in Ber­lin mög­lich wird, ist ein gro­ßer Erfolg, der in der Zukunft Schu­le machen sollte.“

San­dra Wehr­mann, Vor­stand, dege­wo AG, Ber­lin: „dege­wo nimmt sei­nen sozia­len Auf­trag sehr ernst. Des­halb sind wir hier zusam­men mit Sozi­al­trä­gern und Poli­tik einen ganz neu­en Weg gegan­gen, um ver­schie­de­ne Ange­bo­te von Trä­gern unter einem Dach zu ver­ei­nen. Das sozia­le Zen­trum ist auf die spe­zi­el­len Bedürf­nis­se maß­ge­schnei­dert und zeigt, wie Quar­tie­re für alle Bewoh­ne­rin­nen und Bewoh­ner, auch die mit Betreu­ungs­be­darf, lebens­wert blei­ben. Der lang­fris­ti­ge Miet­ver­trag garan­tiert die drin­gend benö­tig­te Preis­sta­bi­li­tät und Sicher­heit. dege­wo stärkt so die sozia­le Infra­struk­tur des gesam­ten Bezirks Mit­te, in dem wir mehr als 8.000 Woh­nun­gen bewirtschaften.“

Chris­toph Kel­ler, Bezirks­stadt­rat für Jugend, Fami­lie und Gesund­heit im Bezirk Ber­lin-Mit­te: „Vie­le Men­schen kom­men im Lau­fe ihres Lebens an einen Punkt, an dem sie auf Unter­stüt­zung und Betreu­ung ange­wie­sen sind – sei es aus sozia­len oder gesund­heit­li­chen Grün­den. Die­ses beson­de­re Wohn­pro­jekt bie­tet jenen eine Hei­mat, die vor Her­aus­for­de­run­gen ste­hen, die sie noch nicht eigen­stän­dig bewäl­ti­gen kön­nen. Es freut mich, dass das so drin­gend benö­tig­te Wohn­an­ge­bot für sozia­le Trä­ger im Bezirk Mit­te damit nach­hal­tig erwei­tert wird.“

Blick aus dem Rohbau auf die Gotenburger Straße und die Prinzenallee. Foto: Hensel
Blick aus dem Roh­bau auf die Goten­bur­ger Stra­ße und die Prin­zen­al­lee. Foto: Hensel

Der Trägerverbund

Um die Zusam­men­ar­beit mit dem lan­des­ei­ge­nen Woh­nungs­un­ter­neh­men dege­wo zu ver­ein­fa­chen, schlos­sen sich sie­ben sozia­le Trä­ger zus KIEZ­quar­tier GmbH zusam­men. Die betei­lig­ten Trä­ger sind die ADV gGmbH, ber­li­ner START­hil­fe e. V., Casa­blan­ca gGmbH, der Lebens­wel­ten e.V., die PROWO Ber­lin gGmbH und die ZIK gGmbH sowie die Zukunfts­bau GmbH. Die L.I.S.T. GmbH hat den Anstoß zur Ent­wick­lung des Bau­vor­ha­bens gege­ben und die Pro­jekt­ent­wick­lung von Anfang an beglei­tet. Mehr über den Ver­bund gibt es online unter www.kiezquartier.de.

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  1. Und noch was. Wer mir jetzt Nim­by Ver­hal­ten vor­wer­fen will, kann dies ger­ne tun, liegt damit aber falsch. Dass die Trä­ger froh sind über­haupt irgend­wo einen Stand­ort zu bekom­men ist ver­ständ­lich. Aber das Letz­te was Sucht­kran­ke oder Men­schen mit allen mög­li­chen Pro­ble­me, sowie sehr jun­ge Eltern brau­chen kön­nen, ist einen Umge­bung mit Spiel­hal­len, Dreck und schwie­ri­gen Schu­len! Wer so etwas als „maß­ge­schnei­dert“ bezeich­net, hat sich, sor­ry, ver­äp­peln lassen.
    Ich lie­be den Sol­di­ner Kiez. Es ist toll hier. Auch wegen der sozia­len Ader die­ses Kiezes und der in jedem IHEK Plan viel gelob­ten „Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit“ und Zusam­men­halt des Kiezes. Trotz all der Pro­ble­me. Aber den Leu­ten soll­te schon mal klar wer­den, dass bestimm­te Gebie­te in der Stadt fein säu­ber­lich frei gehal­ten wer­den von „sozia­len Pro­ble­men“, die aber gesamt­ge­sell­schaft­lich geschaf­fen werden.

  2. Ich bin ande­rer Mei­nung als der Arti­kel. Das Pro­jekt bie­tet dem Kiez wenig was er braucht. Die Pro­duk­ti­ons­schu­le für schul­di­stan­te Kin­der und die Kita aus­ge­nom­men. Aus­bil­dungs­plät­ze die­ser Art hät­ten ruhig noch mehr dort sein kön­nen. Oder Pro­jek­te wie die Qui­noa Schu­le. Sowas braucht der Kiez, weil die Jugend­li­chen und Kin­der hier drin­gend auf­ge­fan­gen wer­den müs­sen und das geht am bes­ten Vor Ort.
    Was die Wohn­plät­ze angeht bin ich der Mei­nung, daß die­se viel viel bes­ser in Gegen­den auf­ge­ho­ben sind, die weni­ger sozia­le Pro­ble­me haben als aus­ge­rech­net der Sol­di­ner Kiez. “Bes­se­re“ Gegen­den haben eine bes­se­re sozia­le Infra­struk­tur, von Bil­dungs­an­ge­bo­ten über Sport­ver­ei­ne, Arbeits­mög­lich­kei­ten etc. Für die Leu­te ist es bes­ser. Ich sehe das an den Kin­der­heim­plät­zen. Im Ver­gleich zu den Kin­dern, die im Sol­di­ner Kiez unter­ge­bracht sind, kön­nen Kin­der z.B in Froh­nau von einem ruhi­ge­ren sozia­len Umfeld pro­fi­tie­ren, was die­se drin­gend benö­ti­gen. Das gilt für Sucht­kran­ke und Men­schen mit Ein­schrän­kun­gen ebenso.
    War­um also hat man die Wohn­plät­ze hier im Kiez geschaf­fen? Mei­ne Ver­mu­tung ist, dass einer­seits die Bau­plät­ze an ande­rer Stel­le teu­rer sind und ande­rer­seits die Anwohner:innen in Zehlendorf/Charlottenburg//Pankow etc. mehr Wider­stand gegen ein Wohn­heim geleis­tet hät­ten um statt des­sen etwas zu bekom­men, was ihnen vor Ort mehr nutzt. Dem woll­te man aus dem Weg gehen.
    Aber so lie­be Leu­te geht sozia­le Mischung nicht! Ich kom­me mir vor, als hät­te man uns da einen Bären aufgebunden.
    Mit dem Pro­jekt wer­den weni­ge der Pro­ble­me in unse­rem Kiez gelöst, dafür unse­re Offen­heit, Inte­gra­ti­ons­fä­hig­keit und Gleich­mut ausgenutzt.

    • Ich glau­be nicht, dass da irgend­was aus­ge­nutzt wird. Trä­ger­woh­nun­gen für die ver­schie­de­nen Ziel­grup­pen gibt es in der gan­zen Stadt, in allen Bezir­ken. Ein Bei­spiel, das den Wed­ding betrifft: Der Trä­ger des Haus Phoe­nix für Sucht­mit­tel­ab­hän­gi­ge betreibt ein Haus in der Kolo­nie­stra­ße mit 32 Zim­mern – seit Jah­ren und übri­gens ohne grö­ße­re Pro­ble­me für die Nach­bar­schaft. Der glei­che Trä­ger hat noch eine ein Gebäu­de mit 28 Zim­mern in Pan­kow. Die meis­ten Trä­ger die­ser soge­nann­ten Trä­ger­woh­nun­gen haben Objek­te, die über die gan­ze Stadt ver­teilt sind. Ent­ge­gen der Ver­mu­tung gibt es die auch in Zehlen­dorf, Pan­kow und Charlottenburg.

      Der Bedarf an Trä­ger­woh­nun­gen ist in der gan­zen Stadt hoch, auch im Wed­ding gibt es zu weni­ge Plät­ze. Dabei geht es um kurz­zei­ti­ge Kri­sen­in­ter­ven­ti­on (Frau­en, Kin­der, Geflüch­te­te, Dro­gen­ab­hän­gi­ge usw.), aber auch um län­ge­re Wohn­zei­ten mit Betreu­ung. Die Woh­nun­gen sind vor allem geschütz­te Räu­me für die Betrof­fe­nen. Es geht eigent­lich nir­gend­wo dar­um, dass da irgend­wer in eine Nach­bar­schaft inte­griert wird – das meis­te ist – wie zum Bei­spiel bei Frau­en­not­woh­nun­gen – auf Zeit. Das Ziel ist, dass die Men­schen dann wie­der in eige­ne Woh­nun­gen zurück können. 

      Der Grund für die Wahl des Grund­stü­ckes im Sol­di­ner Kiez ist die Ver­füg­bar­keit. Das Grund­stück war in öffent­li­cher Hand und konn­te leicht an das städ­ti­sche Woh­nungs­un­ter­neh­men dege­wo über­tra­gen wer­den. Ich habe das Pro­jekt von fast Anfang an als Jour­na­lis­tin beglei­tet und ken­ne vie­le Betei­lig­te. Dar­an, dem Sol­di­ner Kiez irgend­was über­zu­bra­ten und etwas aus­zu­nut­zen, hat nie­mand gedacht. Es ist eher genau anders­her­um. Vie­le, die sich mit der Mate­rie und der Situa­ti­on im Kiez aus­ken­nen (also vor allem sozia­le Trä­ger aus dem Wedding/Gesundbrunnen), haben den Ein­druck, dass dem Kiez da mal etwas Gutes getan wird. 

      Es wäre gut, wenn das Model­pro­jekt anders­wo in Ber­lin auch umgestetzt wer­den könn­te. In Köpe­nick pas­siert das ja nächs­tes Jahr schon.

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