“Arm, aber sexy” – das, wofür sich Berlin seit Jahren rühmt, muss man in großen Teilen dieser Stadt lange suchen. Wer den direkten und unverblümten Charme Berlins überhaupt noch in Reinkultur erleben will, sollte sich am besten in den Wedding begeben. Für einen Crashkurs in Sachen Berliner Schnauze eignet sich das Prime Time Theater mit seiner nicht enden wollenden Theater-Sitcom „Gutes Wedding Schlechtes Wedding“. Seit nun genau zehn Jahren, am nunmehr vierten Standort, wird immer nach dem gleichen Prinzip Theater gemacht: Klischees werden gnadenlos bedient – und darüber zu lachen befreit einfach!
Bitte keine Hochkultur erwarten…
Dieses Schauspielhaus ist definitiv auch etwas für Menschen, denen die Lektüre von Klassikern in der Schule den Besuch eines Theaters nachhaltig vermiest hat. Um das Prime Time Theater müssen Deutschunterrichtgeschädigte jedenfalls keinen Bogen machen, denn hier darf man im Zuschauerraum so richtig laut gelacht werden. Und zwar über Personen, die einem im Wedding (und überhaupt in Berlin) auf Schritt und Tritt begegnen können: der Urberliner mit Vokuhila-Frisur, der das Herz auf der Zunge trägt, die blonde Kiezschlampe, der Dönerverkäufer, die sächselnde Beamtin, der Bio-Schwabe – politisch korrekt geht es ganz bestimmt nicht auf der Bühne zu.
Comedy in Serie
Die – inzwischen miteinander verheirateten – Schauspieler Constanze Behrends und Oliver Tautorat haben 2004 in einem Ladenlokal in der Freienwalder Straße im Soldiner Kiez mit der Theater-Seifenoper begonnen – zu zweit. Nach drei Umzügen, der Bildung eines festen sechsköpfigen Ensembles und 300.000 Zuschauer später ist das Aushängeschild des Theaters nun schon bei Folge 88 angekommen. Genialer Nebeneffekt der unendlichen Geschichte: die Prime-Time-Theater süchtigen Zuschauer kommen immer wieder, um den Fortgang der Handlung mitzuverfolgen. Nichtsdestotrotz kann auch der Neuling in jeder Folge mit einsteigen – allzu viel Tiefgang braucht das altersmäßig gut gemischte Publikum im meist ausverkauften Saal nicht zu erwarten.
Endlich förderwürdige Populärkultur
Direkt ins Gesicht, laut und bunt wie der Wedding sein: das ist das dem Theater zugrunde liegende Prinzip. Man merkt, die Theatermacher wohnen auch hier und schauen dem Weddinger Volk tagtäglich auf’s Maul. Die von ihnen erfundenen Figuren sind längst Teil des Weddinger Kulturguts geworden. Was in der Müllerstraße Ecke Burgsdorfstraße geboten wird, ist Volkstheater im positiven Sinne, ganz ohne Volkstümelei. Nach vielen Jahren der abgelehnten Anträge hat dies das Land Berlin endlich auch gewürdigt und fördert das 14 Personen-Unternehmen mit 10.000 Euro im Monat. Dafür stellen die Prime-Time-Leute mehr als 240 Vorstellungen im Jahr auf die Beine, darunter auch Gastspiele.
Eine bessere Visitenkarte als dieses Erfolgstheater kann man sich im Wedding nicht vorstellen. Nicht nur Touristen und Bewohner anderer Bezirke dürfen hier einmal nach Herzenslust lachen, auch den Weddingern selbst zeigen die vielen Folgen von Gutes Wedding Schlechtes Wedding, warum es den meisten von ihnen doch ganz gut in diesem Teil Berlins gefällt. Der Wedding ist eben alles andere als eitel, man wohnt mit vielen Menschen unterschiedlichster Lebensweise zusammen, Konflikte werden offener ausgetragen als woanders. Aber am Schluss gibt es dann doch ein Happy-End – meistens jedenfalls.
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Die Jubiläumsfolge ist ein Best of-Programm der Superlative. Das Ensemble steht in sage und schreibe 34 verschiedenen Rollen auf der Bühne. Unter anderem die “üblichen Verdächtigen” wie Arbeitsamtsleiterin Heidemarie Schinkel, Dönerbudenbesitzer Ahmed und Postbote Kalle, die schon seit vielen Jahren zum Stammpersonal gehören. Aber auch beliebte neue Figuren, wie der Rapper Mushido, die Punkerin Ratte oder der personifizierte Prenzlberger Schwabe Uwe Gammerdinger sind dabei.
Einlass ab 19 Uhr bei freier Platzwahl. Preise: Sonntag bis Donnerstag 15 Euro, ermäßigt 9,50 / 8 Euro, Freitag bis Samstag für 17 Euro, ermäßigt 11 Euro / 8 Euro. Vorbestellungen sind möglich auf der angegebenen Internetseite und unter der Rufnummer 030⁄49907958.
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