Er sieht sich als erster Diener des Bezirks. “Ich kann sagen, dass ich das Beste für den Bezirk will und wollte”, so Stephan von Dassel. Doch der Bezirksbürgermeister Stephan von Dassel steht vor der Abwahl. Gestern (25.8.) kam die Bezirksverordnetenversammlung zur ersten Lesung zusammen. Keine Fraktion wollte Stephan von Dassels Art und Weise der Dienerschaft unterstützen. Auch die eigene Partei, die Grünen, zeigten sich “enttäuscht”. Einig waren sie sich die Parteien, dass Stephan von Dassel an zu vielen Stoppschildern vorbeigegangen ist.
Nachdem eine belastende SMS an die Presse weitergereicht wurde, findet Stephan von Dassel keine Erklärung, die die Verordneten der Bezirksverordnetenversammlung (BVV) überzeugt. Er ist beim kreativen Umgang mit den nicht selten hinderlichen Verwaltungsvorschriften zu weit gegangen. Der Bezirksbürgermeister bestätigt in einer Sondersitzung der BVV am 25. August, dass er nach einer “privatrechtlichen” Lösung gesucht habe. Hat er Geld geboten, damit ein unterlegener Bewerber für eine wichtige Stelle im Bezirksamt seine Klage zurückzieht?
Bastian Roet von der FDP fasst die Vorwürfe der Bezirkspolitik zusammen: “Auch wir von der FDP wünschen uns manches anders, direkter. Aber es gibt Spielregeln, die manchmal stören, aber ihre Gründe haben.” Stephan von Dassel hatte sich zuvor verteidigt mit dem Argument, er habe bei der Stellenbesetzung eine “jahrelange Hängepartie” vermeiden wollen.
Verteidigungslücken bei Stephan von Dassel
Konkret drehte sich die Debatte in der Sondersitzung um die Frage, ob Stephan von Dassel tatsächlich Geld geboten habe. Er selbst wählt die Formulierung: “Es ist niemals Geld geflossen”. Zu einer belastenden SMS, die der unterlegene Bewerber an die Presse weiterleitete, sagt er: “Was ich gemeint haben könnte, ist mir selber nach wie vor nicht klar.” Dennoch ist ihm wichtig, dass er nie habe Geld bieten wollen. Allerdings könne er nicht darlegen, um was es bei einer “privatrechtlichen” Einigung habe gehen sollen. Er spricht von Verzweiflung, die dazu geführt habe, dass er mit dem unterlegenen Bewerber Kontakt aufgenommen habe. Er wollte mit ihm Kontakt bleiben, so Stephan von Dassel bei der Sitzung der BVV. Der Zuhörer durfte verstehen: Stephan von Dassel ist ein Macher, der zum Wohle des Bezirks auch unkonventionell handelt, sich durch die selbst gestrickten Fallseile der Verwaltung windet. Motto: Alles, bloß keine Blockaden, bloß kein Verwaltungsstillstand.
Die Angelegenheit dreht sich um die Besetzung des Steuerungsamtes. Für diese maßgebliche Position hat es im letzten Jahr mehrere Bewerber gegeben. Das Verfahren hatte zunächst ein enger Vertrauter des Bezirksbürgermeisters gewonnen. Daraufhin hat ein unterlegener Bewerber gegen das Bewerbungsverfahren geklagt. Stephan von Dassel wollte außerhalb des Dienstweges erreichen, dass der leer ausgegangene Bewerber diese Klage vor Gericht zurückzieht. (Ob der Inhalt der an die Presse weitergereichten SMS als Nachweis ausreicht, dass der Bewerber als bestechlich anzusehen ist, das war an diesem Abend nicht Thema der BVV.)
Eigene Zählgemeinschaft wendet sich ab
Brisant ist, dass auch die Fraktion der Grünen in ihren eigenen Bürgermeister kein Vertrauen mehr fassen wollten. Lediglich Dankesworte für die getane Arbeit fielen. Doch in der Hauptsache baten die Grünen ihren Bürgermeister, zurückzutreten. Lela Sissauri sagte, sie bedaure, die Abwahl fordern zu müssen. “Ich bin enttäuscht, dass Stephan nicht mit der Fraktion offen und ehrlich kommuniziert hat”. Shirin Kreße sagte: “Wir haben dich, Stephan, zum Rücktritt aufgefordert.” Sie sei enttäuscht, dass grüne Werte gebrochen worden seien. Gute Intentionen reichten nicht aus, so die Politikerin.
Die Fraktion der SPD, die vor weniger als einem Jahr mit den Grünen eine Zählgemeinschaft (eine Art Koalition) bildete und so die Wahl Stephan von Dassels möglich machte, forderte jetzt dessen Rücktritt. Die SPD habe sich von anderen Parteien, der Presse und von Twitter nicht treiben lassen; sie habe Stephan von Dassel die Chance gegeben, sich zu rechtfertigen. “Ein Bürgermeister muss ein gutes Vorbild sein”, dürfe Privates und Amt nicht vermengen, selbst wenn beste Absichten vorlägen. Man habe in Erinnerung, dass sich Stephan von Dassel einst vorgestellt habe mit den Worten, seine Schwäche sei seine Art der Amtsführung. Doch auch, wenn der Bezirksbürgermeister keine persönlichen Vorteile gezogen habe, sei “für uns von der SPD entscheidend, wie der politische Schaden ist”, so Susanne Fischer von der SPD.
Opposition mit deutlichen Worten
Sebastian Pieper von der CDU belegte wie bei einer Gerichtsverhandlung Schritt für Schritt, wie der Fehltritt des Bürgermeisters zu beweisen ist. Dass “privatrechtliche Lösung” nur das Angebot einer Geldzahlung bedeuten könne. Und er fügte der Beweiskette hinzu, es handele sich um einen einmaligen Vorgang. “Es gab in Berlin noch nie einen Abberufungsantrag gegen einen Bezirksbürgermeister”. Wie “kritisch die Situation ist” zeige der Umstand, dass alle Fraktionen einschließlich der Zählgemeinschaft die Abberufung fordern. Problematisch sei, dass es “keine Gewähr gibt, dass Sie nicht bei anderen Gelegenheiten wieder genauso handeln”.
Sven Diedrich von den Linken findet vieles “nachvollziehbar”. Zum Beispiel den Wunsch nach einer Vertrauensperson in einer Schlüsselposition. Aber es sei “ein beispielloser Vorgang, dass ein Bezirksbürgermeister versucht, sich sein Spitzenpersonal zusammenzukaufen” (Ein Satz, dem Stephan von Dassel sofort widersprach). „Wir und die Öffentlichkeit sind empört, dass Sie als Bürgermeister dem unterlegenen Bewerber ein unseriöses Angebot gemacht haben.‟
Abwahl am 8. September
Am 8. September folgt die zweite Lesung zur Abwahl. Der Verlauf der ersten Lesung zeigte, dass die Abwahl in zwei Wochen höchstwahrscheinlich Formsache sein wird. Bis dahin kann Stephan von Dassel von sich aus zurücktreten. Dazu haben ihn die Bezirkspolitiker gestern einzeln und eindringlich aufgefordert. Mit einem Rücktritt verlöre er erhebliche Versorgungsansprüche und hohe Weiterzahlungen. Bei einer Abwahl darf er diese behalten. Stephan von Dassel lehnt den Rücktritt ab, weil er damit die Vorwürfe bestätigen würde, so der Bürgermeister.
Das wird ja immer unerträglicher mit diesem Kerl…
„ Zugleich gestand er erstmals, dass auch das Finanzielle dabei von Bedeutung sei. „Natürlich spielt es eine Rolle, dass ich bei einem Rücktritt sämtliche Ansprüche verlöre.“
…Nach den vielen Jahren im Bezirksamt, den Beleidigungen und Bedrohungen, die er habe aushalten müssen, habe er etwas anderes verdient. „
Er hat wohl viele „hinter die Fichte geführt“ und jetzt kommt sein wahres Gesicht heraus!
Gut, dass er weg ist…
Politiker-Bashing erweist sich in einer derartigen Situation möglicherweise als wohlfeil. Dies trifft auch auf die Forderung nach einer Abschaffung der Versorgung nach einer Abwahl zu. Hier bin ich absolut anderer Meinung. Gerade die Kommunalpolitik ist mit derartig vielen Fallstricken durchzogen, dass ich es für absolut richtig halte, im Zweifelsfall auch an eigener Selbstgerechtigkeit gescheiterten Politikern eine Absicherung zuzugestehen.
Herrn von Dassel kenne ich noch aus der gemeinsamen Zeit in der BVV, also vor seiner Wahl zum Stadtrat und später zum Bürgermeister. Er ist mir auch durch seine schnelle Auffassungsgabe, insbesondere aber durch seine ausgeprägte Bereitschaft, BA-Mitgliedern anderer Parteien ein Bein zu stellen, aufgefallen. Nun trifft es ihn selbst. Die Mitglieder seiner Partei, die jetzt als in internen Machtkämpfen unterlegene Personen gerne mal Nachtreten, bekleckern sich damit nicht zwingend mit Ruhm. Positiv ist mir beim Lesen des Berichts aufgefallen, dass offenbar manche Bezirksverordnete anderer Parteien sich um einen differenzierten Blick auf die Situation bemühen.
Viele Grüße und Herr v. Dassel alles Gute.
Thomas Christel, geb. Koch
Danke, dass Sie etwas beigetragen haben. Für mich spannend zu lesen.
Tja. Denk ich an Deutschland in der Nacht, dann bin ich um den Schlaf gebracht. Was haben wir nur für Politiker und was tut sich Im Öffentlich-rechtlichen Rundfunk.? Man kann direkt Angst kriegen.
Ich, aufgewachsen in der DDR, sehe es genau andersherum, bin angesichts der Nachrichten zuversichtlich statt verängstigt. Anders als im Osten gibt es heute eine Öffentlichkeit, die falsche Entwicklungen beim Namen nennt und beendigt. Grundsätzlich und mehrheitlich ist der öffentlich-rechtliche Rundfunk gut und sind auch unsere Politiker gut.
Politik just as usual
Nach meiner Beobachtung eher ein kleiner Teil von Politik. Der größte Anteil der Politiker im Bezirk sind engagiert und streiten redlich für ihre Ziele.
Leider nicht ganz korrekt, da Herrn von Dassel erwartungsgemäß eine Fraktion beisprang: Die AfD.
Ja, und der Vollständigkeit halber muss man sagen, dass gestern nach der Sitzung auch noch die Sonne untergegangen ist. 😉
Ha – da wurde der Schenkel aber geklopft 🙂
Mal im Ernst: Was will uns die Autorin mit diesem Zusatz sagen??
Mit dem “erwartungsgemäß” drückt der Kommentator Frank aus, dass das Beispringen nicht gerade der spannendste Punkt der Sitzung war.
Komplett fehlerhafte Interpretation. „Erwartungsgemäß“ sollte etwas über die Politik des Herrn von Dassels in den letzten Jahren aussagen, mit der er sich nun erwartungsgemäß der Unterstützung der AfD sicher sein kann.
Mir ist schon klar, dass Sie Herrn Dassel in eine bestimmte Ecke stellen wollen. Ich widerspreche dem Versuch lediglich. Das Wort “erwartungsgemäß” so zu interpretieren, wie Sie nun erklären, hätte voraussetzen müssen, dass ich Ihnen Bösartigkeit unterstelle. Das liegt mir fern. Und es enttäuscht mich, dass Sie so denken, wie Sie nun erklären.
Ich will damit ausdrücken, dass ich das von Herrn Bertermann genannte für ein unwesentliches Detail halte, das nichts an der Sache ändert, dass niemand, der es vorher tat, mehr zum Bezirksbürgermeister halten wollte. Zumal mir aus erster Hand berichtet wurde, dass gar nicht unmissverständlich gesagt werden kann, ob die Partei tatsächlich beigesprungen ist, es nur erwogen oder gar wieder verworfen hat. Insofern müssen wir doch bis zur Abstimmung am 8. September warten. Das werden wir wohl aushalten.
Bei Jounalismus geht es nicht darum, was ein/e Journalist*in für sich als ein „unwesentliches Detail“ betrachtet, sondern um eine umfassende Information der Leser*innen. So zumindestens mein Verständnis von Pressedarstellungen. Ich kann aus erster Hand sagen, dass die AfD-Message sehr eindeutig war: Sie unterstützen die Abwahlanträge nicht.
Ich war ja nicht dabei, was ich ja auch gesagt habe. Der anwesende Kollege hat es so berichtet, dass es unverständlich/uneindeutig war, siehe auch seinen Kommentar dazu. Es gab wohl sogar Nachfragen dazu in der Sitzung, wurde mir berichtet. Aber bei der Abstimmung wird es dann wohl für alle (also auch für mich) unmissverständlich sein wie die AFD dazu steht. Trotzdem danke für die Ergänzung. Wenn es für den einen oder die andere Leser:in erhellend ist, dann ist es gut.
Beim Journalismus geht es um Information, das stimmt. Aber ein Journalist trifft immer eine Auswahl, wie neutral er auch sein will. Sonst wäre er ein Protokollant. Zu den Aufgaben eines Journalisten gehört ganz klassisch auch das Auswählen und Bewerten/Einordnen von Informationen. Dass zum Beispiel die taz ihre Infos anders auswählt als der Tagesspiegel oder die Welt oder der Spiegel, ist ja offensichtlich. Und das ist auch ok so. Die Leser:innen wissen das und lesen den Auswahlmechanismus dann sozusagen mit.
Ich habe das Stöckchen von Herrn Dr. Bormann wohl bemerkt, konnte aber nicht darüber springen, weil ich inhaltlich nichts verstand.
„ Bei einer Abwahl darf er diese behalten. Stephan von Dassel lehnt den Rücktritt ab,…“
Nicht nur behalten … er würde sogar lt. Berichterstattung noch für 4 (vier ! )Jahre monatliche Bezüge > 7.000 € erhalten! Damit kann er als Nichtstuer entspannt den steigenden Gaspreisen entgegen sehen!
Bei einer Reform der Beamtenversorgung bin ich dabei. In der Tat schade, dass sich die größeren Parteien da nicht rantrauen.