Was war 2013 los im Kiez? Ist der Wedding schon gekommen? Ist er geblieben? Verändert hat sich jedenfalls einiges: Aus Polizisten wurden Rapper, aus Peer Steinbrück ein Weddinger und aus C&A wurde am Ende Bolu. Wir blicken zurück.
Berlin verliert
Berlin hat 2013 etwa 180.000 Einwohner verloren, was nicht etwa an einer Abspaltung Spandaus lag, sondern an den während einer Volks- und Erbsenzählung entdeckten Karteileichen. Wir können von Glück reden, dass Berlin sich noch Großstadt nennen darf. Dass trotzdem ein paar Leute in die Stadt gezogen sein mussten, merkte man auch 2013 wieder an einem ziemlich unentspannten Wohnungsmarkt. Selbst im Wedding, der für potentielle Zuzügler bis vor wenigen Jahren in etwa so attraktiv war wie eine zugige Bahnhofstoilette in Pjöngjang, ist es inzwischen nicht mehr ganz so einfach, etwas so Exotisches wie eine bezahlbare Wohnung zu finden. Und für alle, die so verrückte Ansprüche wie Licht oder zweistellige Quadratmeterzahlen haben, ist es beinahe unmöglich.
Der Platz der Herzen und die Betonplatte
Das verwundert aber nicht, denn 2013 hat vieles dazu beigetragen, den Wedding aufzuwerten. Da wäre zum Beispiel das Herz des Weddings, der Platz der Herzen: der Leopoldplatz. Ein Typ vom Schlage eines Bob des Baumeisters muss wie folgt gesprochen haben: „So Leute, hier wurde jetzt lange genug rumgebastelt. 2013 wird der Leo fertig! Können wir das schaffen?“ Und die beteiligten Firmen müssen „Ja, wir schaffen das!“ ausgerufen, die Hemdsärmel hochgeschlagen und den Platz zu Ende gebaut haben. So ist die riesige öffentliche Fläche rund um die beiden Nazarethkirchen in kleine Zonen eingeteilt worden, bei denen jede Problem- oder Randgruppe ein Stück vom Platz abbekommen hat. Spielplätze laden zum Klettern und Herumtollen ein, Betonbänke zum Ausruhen und Vollsprühen.
Dem Hanne-Sobek-Platz fliegen die Herzen dagegen nicht so leicht zu, denn im Grunde ist er nur eine schnöde Betonplatte, die den Bahnhof Gesundbrunnen abdeckt und verhindert, dass man beim Verlassen eines Einkaufscenters nicht wie ein Lemming auf die Gleise stürzt. Jetzt bekommt der Platz zwar eine Empfangs- und Wartehalle, doch da Bob am Leo beschäftigt und die Baupläne noch nicht fertig waren, stellte man Anfang des Jahres erst mal einen Bauzaun auf, hinter dem wochenlang nichts geschah. Später wurde gebaut und man darf verhalten optimistisch sein, dass die Halle etwa zeitgleich mit dem Stadtschloss oder der ersten bemannten Marsmission eröffnet werden wird, denn hier trägt ein Unternehmen die Verantwortung, das vor allem in Berlin für störungsfreie Abläufe bekannt ist: die Deutsche Bahn.
Wedding, U6y Thing
Apropos Bahn: Massiv aufgewertet wurde der Wedding auch dadurch, dass Stadtteile wie Kreuzberg und Tempelhof nun wieder mit der U6 erreichbar sind. 17 Monate lang ging das nur unter Inkaufnahme eines Zwangsbummels entlang der Friedrichstraße, um den Pendelzug zu erreichen. Oder dürfen am Ende Kreuzberger und Tempelhofer jubeln, weil der Wedding für sie wieder besser zu erreichen ist? Immerhin wurden 2013 wieder etliche neue Bars, Kneipen und Restaurants eröffnet: Der Castle Pub, das Oh! Calcutta, das Resotto – Bier und Suppe, die Flop-Bar und andere mehr. Und der Wedding hat außer der Ess- und Trink- auch noch andere Kultur zu bieten. Seien es die Tanz- und Kulturveranstaltungen an der Uferstraße oder das Stattbad in der Gerichtstraße – als Kulturstandort sitzen unsere beiden Ortsteile fest im Sattel. Nicht nur, dass sich der Abschnitt 36 seit diesem Jahr als wohl einzige Polizeiwache Deutschlands im Sprechgesang übt, auch das Kulturfestival WeddingMoabit hat mit Dutzenden Veranstaltern und Programmpunkten gezeigt, dass die Durststrecke durch die einstige Kulturwüste Wedding, in der schon die beim Frisör liegende Bingo-BZ ein kulturelles Highlight war, längst vorbei ist.
Grüner Wedding, roter Wedding
An eine Wüste erinnert auch auf einer ehemaligen Brachfläche in der Ruheplatzstraße nichts mehr. Die Fläche wurde im Sommer von dem Gemeinschaftsgartenprojekt “Himmelbeet”, das ursprünglich das verödete Parkdeck des Schillerparkcenters erobern wollte, in eine grüne Hölle verwandelt. Nach Wüste oder Steppe sieht es da eher noch auf dem neuen Abschnitt des Mauerparks aus, der seit diesem Jahr auch einen Eingang auf der Gesundbrunnen-Seite hat. Zur Begrünung des Stadt haben dieses Jahr auch die vielen Wahlplakate der Grünen beigetragen. Trotz seines beherzten Wahlkampfes gelang es deren Direktkandidaten Özcan Mutlu nicht, die SPD vom Sockel zu stoßen. Wahlforscher dürfen orakeln, ob es damit zu tun hatte, dass Peer Steinbrück neuerdings im Wedding wohnt, und warum die stärkste Partei im Wedding die Nichtwähler-Partei geworden wäre, wenn es diese NWP denn wirklich gäbe.
Man steigt nie in die gleiche U6
Sowas wie Nichtwählen passiert manchmal ja auch einfach wegen einer gewissen Bildungs- und Bücherferne. Da ist es eine gute Nachricht, dass neben dem in diesem Jahr völlig seiner Funktionen beraubten Hochhausturm des Rathauses Wedding die Bauarbeiten für eine neue Bibliothek begonnen haben. Zumindest auf den Computergrafiken der Architekten wird hier ein golden schimmerndes Juwel vor die Brandwand eines Altbaus gestellt. Aber Vorsicht, die neue, eben erst fertiggestellte Müllerhalle hat gezeigt, wie das reale Gebäude im Unterschied zu den zuvor gezeigten Entwürfen deutlich höher, dunkler und mit weniger Fenstern versehen sein kann. Es kann am Ende sogar so anders aussehen, dass sich Unmut bei den Anwohnern regt. War sonst noch was? Ach ja, die BOLU-Filiale zog in der Müllerstraße dorthin, wo früher einmal der C&A war. Schon die alten Griechen wussten, man steigt nie ein zweites Mal in die gleiche U6. Es bleibt eben nichts, wie es war. Schon gar nicht im Wedding, der sich ständig verändert. Auch 2013 war er vielleicht nicht der schönste, klügste und reichste Stadtteil Berlins, dafür aber der spannendste. Das Jahr geht, der Wedding bleibt. Hoş Geldiniz 2014!
Autoren: Ingo Scharmann, Joachim Faust
Unsere Bilder des Jahres
Apropos Wahlplakate der Grünen: In vielen Straßen (Sprengelstraße, Samoastraße, Torfstraße, Lynarstraße, Kiautschoustraße usw.) hängen die immer noch rum – drei Monate nach der Wahl! Für eine Partei, die sich eine “saubere Umwelt” ins Wahlprogramm schreibt, ist das eine ziemlich schwache Nummer.