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Demo-Vorbereitungen:
Erster Mai und Rührei

30. April 2022

Blau­er Him­mel, Son­nen­schein. Die Welt ist da, um sie zu umar­men. Ich sit­ze vor mei­nem Natür­lich-Bio-Laden in der Kame­ru­ner Stra­ße, mit einem Kaf­fee, der hier aus­drück­lich Espres­so mit Milch heißt und nicht Lat­te Mac­chia­to, weil man ja der Gen­tri­fi­zie­rung kei­nen Vor­schub leis­ten will. Dabei  lese ich die taz, die und ver­sin­ke in Nost­al­gie: 35 Jah­re Mai-Kra­wal­le in Kreuzberg. 

Nicht, dass ich jemals dabei gewe­sen wäre. Maxi­mal zum MyFest in Kreuz­berg habe ich es mit mei­ner Toch­ter mal geschafft. Aber das war vor Coro­na. Soll ich mor­gen, an die­sem herr­li­chen Mai­sonn­tag wirk­lich wie­der auf die Stra­ße? Genug Grün­de dafür gäbe es ja, aber…. Trä­ge schaue mir die Demo-Rou­ten fürs Wochen­en­de an. Die tra­di­tio­nel­le revo­lu­tio­nä­rer Ers­ter Mai-Demo in Kreuz­berg läuft dies­mal unter der Paro­le: “Yal­lah Klas­sen­kampf!“ Das ist mir zu weit weg. Aber auch im Wed­ding gibt es was. Von der Bad­stra­ße geht eine Fahr­rad­de­mo ab mit dem schrä­gen Ziel „Die Grunewalder:innen abho­len – Die Umver­tei­lung auf die Ket­te krie­gen”. Was hab ich aus dem Wed­ding mit Gru­ne­wald zu tun, fra­ge ich mal ganz ehr­lich. Und zur Frau­en­de­mo „Take Back the night – FLINT*only” bin ich aus­drück­lich nicht ein­ge­la­den. Also  ent­schei­de mich bequem für die 1. Mai-Demo des DGB am Bran­den­bur­ger Tor, weil das nahe dran ist am Wed­ding und ich da mit mei­nen Kol­le­gin­nen und Kol­le­gen Fran­zis­ka Gif­fey aus­bu­hen kann. Wie schön, wenn sich der Kampf gegen die Lan­ge­wei­le und der Kampf für das Gute in der Welt so wun­der­bar ver­bin­den las­sen. Aber erst­mal muss ich mei­nen Hin­tern hoch­krie­gen und mei­ne Wochen­end­ein­käu­fe nach Hau­se brin­gen. Mei­ne Fahr­rad­ta­sche ist voll­ge­stopft mit bes­ten Bio-Sachen aus dem Laden und sogar zur ange­sag­ten Han­si-Bäcke­rei in der Tegler Stra­ße habe ich es geschafft und einen Laib des begehr­ten Han­si-Brots ergattert. 

Also genug Frisch­luft, zurück nach Hau­se. In rou­ti­nier­ter Vir­tuo­si­tät balan­cie­re ich mein Fahr­rad mit der sei­ten­las­ti­gen Pack­ta­sche durch die schwe­re Grün­der­zeit-Holz­tür und blei­be ernüch­tert ste­hen: Quer vor mir steht ein lee­rer Super­markt- Ein­kaufs­wa­gen von Kauf­land. Nor­ma­ler­wei­se ste­hen die immer drau­ßen auf dem Geh­weg, gefüllt mit irgend­wel­chem Unsäg­li­chen, gam­meln sie da ein paar Wochen vor sich hin, bevor sie dann so plötz­lich ver­schwin­den wie sie auf­ge­taucht sind. Ich weiß nicht, wer sie her­schiebt, ich weiß nicht, wer sie abholt. Ich hab wech­sel­wei­se die Alkis von der Trin­ker-Bude, die Tür­ken- Jungs aus der Shi­sha-Bar oder die Kif­fer vom Kin­der­spiel­platz im Ver­dacht. Ist mir aber eigent­lich auch immer egal gewe­sen, solan­ge der Mist drau­ßen vor sich hin gam­mel­te. Aber jetzt füh­le ich, dass es Zeit ist, die Sache in die Hand zu neh­men. Zum ers­ten Mai muss die Welt nicht nur im gro­ßen, son­dern auch im klei­nen zu einer bes­se­ren Welt gemacht wer­den! Bür­ger­sinn regt sich in mir. Das Ding muss raus, bevor die hal­be Haus­ge­mein­schaft ihren Sperr­müll da rein wirft. Drau­ßen auf der Stra­ße ist das mit dem Müll ja ok, das schreckt die Schnö­sel ab, die die Mie­ten hier hoch­trei­ben wol­len. Aber hier, in mei­nem Haus­flur – da ist die Gren­ze klar überschritten.

Ich wuch­te mein Rad auf den wack­li­gen Stän­der, schnap­pe mir das rap­peln­de Elends­ge­stell, und ste­he schon halb damit in der Tür, als zwei erschreck­te jun­ge Frau­en, na eher noch Mäd­chen, die Trep­pe run­ter kom­men. „Ent­schul­di­gung, Ent­schul­di­gung, wir hat­ten den Wagen nur mit­ge­nom­men, weil es uns zu schwer war, die Sachen vom Super­markt heim zu tra­gen.“, jam­mern sie. Und ich weiß nicht, was mich mehr ärgert: Dass ich jetzt als Block­wart die Erst­se­mes­ter-Mäd­chen zurecht­wei­se, die, gera­de dem behü­te­ten Eltern­haus ent­flo­hen, gleich beim ers­ten Mal erwischt wer­den, an dem sie ver­such­ten, ein biss­chen den Ber­li­ner Lebens­stil anzu­neh­men. Oder ärge­re ich mich, dass mei­ne Feind­bil­der durch­ein­an­der gera­ten? Bevor ich mir dar­über klar wer­den kann, gibt’s ein dump­fes, klir­ren­des Geräusch Mein Fahr­rad liegt auf der Sei­te wie ein ster­ben­des Pferd. „Der Apfel­saft!“, den­ke ich, der öko­lo­gisch kor­rekt in einer glä­ser­nen Pfand­fla­sche gekauf­te Apfel­saft – und viel­leicht auch noch die Eier. An die Toma­ten will ich gar nicht erst den­ken. Die Mäd­chen schaf­fen den Ein­kaufs­wa­gen vor die Tür, und ich stel­le mir die Mat­sche vor, die sich jetzt in mei­ner Tasche breit macht. Zum Glück ist sie was­ser­dicht – auch von innen.

Oben ange­kom­men schüt­te ich mei­ne Ein­käu­fe in die Dusche, ret­te was zu ret­ten ist und ände­re mei­ne Plä­ne für’s Abend­essen: Es gibt Rühr­ei. Dann habe ich mor­gen auch genug Kraft, um „Brü­der zur Son­ne zur Frei­heit“. zu singen.

Rolf Fischer

Ich lebe gerne im Wedding und schreibe über das, was mir gefällt. Manchmal gehe ich auch durch die Türen, die in diesem Teil der Stadt meistens offen stehen.

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