Mastodon

60 Jahre Anwerbeabkommen:
Merhaba Wedding!

Türkische Gastarbeiter:innen arbeiteten mit am Wirtschaftsaufschwung
13. November 2021
8

Sie­ben Pro­zent aller Men­schen im Stadt­teil haben einen tür­ki­schen Hin­ter­grund (15 Pro­zent aller Men­schen mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund). Der Grund für die star­ke Prä­senz die­ser Grup­pe liegt 60 Jah­re in der Ver­gan­gen­heit: Am 30. Okto­ber 1961 schlos­sen Deutsch­land und die Tür­kei ein Anwer­be­ab­kom­men ab. Für den Wed­ding ist das ein bis heu­te prä­gen­des Ereig­nis. Die Fabrik Oslo­er Stra­ße hat des­halb Ende Okto­ber im Rah­men eines Kiez­spa­zier­gangs an das Abkom­men und die Erfah­run­gen der Gast­ar­bei­ter und ihrer Kin­der erin­nert. Die Ver­an­stal­tung fand in Zusam­men­ar­beit mit dem Pari­tä­ti­schen Wohl­fahrts­ver­band Ber­lin statt. Der Ver­band brach­te dazu die Bro­schü­re „Mer­ha­ba Ber­lin“ mit. Das Heft stellt zahl­rei­che tür­kisch­stäm­mi­ge Berliner:innen vor.

Kiezspaziergang
Aynur Pin­ar­ba­si erzählt die Gast­ar­bei­ter­ge­schich­te ihrer Fami­lie. Foto: Hensel

Um Ali­ye Stra­cke-Gönül zu fin­den, muss man ein wenig blät­tern. Ihre Gast­ar­bei­ter-Geschich­te steht wei­ter hin­ten in der Bro­schü­re des Pari­tä­ti­schen Ber­lin. Genau­ge­nom­men ist es nur zum Teil ihre Geschich­te. Denn die heu­ti­ge Geschäfts­füh­re­rin der Fabrik Oslo­er Stra­ße ist in Hei­del­berg gebo­ren wor­den. Ihre Eltern aber waren Anfang der 1960er Jah­re als Gast­ar­bei­ter nach Deutsch­land gekom­men, leb­ten in der Kolo­nie­stra­ße und der Behm­stra­ße. Über die Bro­schü­re des Pari­tä­ti­schen und ande­re For­men der Erin­ne­rung freut sich Stra­cke-Gönül. „Mei­ne Eltern fin­den es gut, dass es eine sol­che Wert­schät­zung gibt. Für mich ist es auch die Erin­ne­rung an sehr emo­tio­na­le Stun­den, die wir als Fami­lie durch­ge­macht haben“, sagt sie. Davon und von ihrer Kin­der­heit als tür­kisch­stäm­mi­ges Mäd­chen im Wed­ding erzähl­te sie auch den Teil­neh­mern des Kiezspaziergangs.

Es sind vie­le klei­ne Anek­do­ten, die beim Kiez­spa­zier­gang durch die Prin­zen­al­lee, die Bad­stra­ße und die Stet­ti­ner Stra­ße erzählt wur­den: sie han­deln vom Ankom­men, vom Über­le­gen, ob Deutsch­land eine Hei­mat wer­den kann. Die Geschich­ten han­deln von Hür­den im All­tag, von klei­nen Freu­den, auch von Ableh­nung und von ganz viel Hoff­nung. Am Ende, so Ali­ye Stra­cke-Gönül, haben sie und ihre Geschwis­ter in Deutsch­land stu­diert, ihre Eltern sind geblie­ben und alle sind Berliner:innen gewor­den. „Schließ­lich sind wir als Fami­lie Deut­sche gewor­den, alle zusam­men“, sagt Ali­ye Stracke-Gönül.

Kiezspaziergang
Ali­ye Stra­cke-Gönül (rechts) führ­te durch den Kiez, in dem sie auf­ge­wach­sen ist. Foto: Hensel

Die Geschich­ten reih­ten sich anein­an­der, die Teilnehmer:innen des Spa­zier­gangs frag­ten inter­es­siert nach. Naben Ali­ye Stra­cke-Gönül gab auch Aynur Pin­ar­ba­si Aus­kunft und Ein­blick in ihre Fami­li­en­ge­schich­te. Die Frau, die seit lan­ger Zeit im Brun­nen­vier­tel wohnt und heu­te eben­falls in der Fabrik Oslo­er Stra­ße arbei­tet, ist die ein­zi­ge in ihrer Fami­lie, die noch in Deutsch­land lebt. Alle ande­ren sind zurück­ge­gan­gen in die Türkei. 

Die Por­träts tür­kisch­stäm­mi­ger Berliner:innen aus der Bro­schü­re „Mer­ha­ba Ber­lin“ sind auch auf der Web­sei­te des Pari­tä­ti­schen Ber­lin ver­öf­fent­licht worden.

Zahlen und Fakten

Wed­ding und Kreuz­berg waren Anfang der 1960er Jah­re die Orte des Ankom­mens für vie­le Gastarbeiter:innen. Sie waren von deut­schen Fir­men gezielt ange­wor­ben wor­den, um den enor­men Bedarf an Arbeits­kräf­ten zu decken, unter ande­rem von der AEG am Gesund­brun­nen. Laut Amt für Sta­tis­tik Ber­lin-Bran­den­burg leb­ten am 31. Dezem­ber 2020 in Wed­ding und Gesund­brun­nen 180.000 Men­schen. Davon haben 106.000 Per­so­nen einen Migra­ti­ons­hin­ter­grund, das sind 59 Pro­zent. 27.000 Men­schen stam­men aus Län­dern der Euro­päi­schen Uni­on (EU). Die größ­te Grup­pe mit einer Her­kunft außer­halb der EU stammt auch heu­te noch aus der Tür­kei. Die 26.400 Men­schen im Wed­ding und im Gesund­brun­nen mit tür­ki­schen Wur­zeln ent­spre­chen 6,9 Proeznt. Die meis­ten waren Gastarbeiter:innen oder sind Nach­kom­men jener, die den wirt­schaft­li­chen Auf­schwung in Deutsch­land mit mög­lich gemacht haben.

8 Comments Leave a Reply

  1. Hal­lo na so was aber auch… da füt­tert man eine Such­ma­schi­ne mit dem Begriff : Sig­mar Gabri­el & Tür­ken haben Deutsch­land auf­ge­baut und dann zeigt die Such­ma­schie­ne an 2.ter und 3.ter Stel­le einen rechts­extre­men Blog und einen Holo­caust-leug­nen­den Sen­der an …. das darf natür­lich nicht sein !!
    Ob der Blog rechts­extrem ist kann ich nicht sagen , jeden­falls ist dort eine PK zusehen/zuhören wo Herr Gabri­el sagt :„Deutsch­land hat viel davon pro­fi­tiert, dass Men­schen aus ande­ren Tei­len der Welt, ins­be­son­de­re der Tür­kei, nach dem zwei­ten Welt­krieg zu uns gekom­men sind und das Land auf­ge­baut haben.
    Als Quel­le nutz­te der Blog die Zei­tung Die Welt…..https://www.welt.de/politik/ausland/article172225701/Sigmar-Gabriel-und-Mevluet-Cavusoglu-beenden-in-Goslar-diplomatische-Eiszeit.html
    Ob der Holo­caust-leug­nen­de Tv Sen­der solch einer ist obgleich er aus der Katho­li­schen Ecke kommt kann ich nicht sagen , aber auch hier ist ein Video ein­ge­bet­tet wo eine wei­te­re PK zusehen/zuhören ist das Herr Gabri­el sagt : die Tür­ken haben die­ses Lang mit aufgebaut .
    Als Quel­le nutz­te der Sen­der die vom Sen­der PHOENIX aus­ge­strahl­te Pres­se­kon­fe­renz. Die sel­be PK kann man auch auf YT in vol­ler län­ge sehen und hören …. https://www.youtube.com/watch?v=NSKltRX-mW4
    Wir müs­sen ihnen sagen: Wir sind euch dank­bar dafür, dass ihr unser Land mit auf­ge­baut habt.
    Quel­le: https://www.auswaertiges-amt.de/de/newsroom/170318-bm-spiegel/288588
    Damit dürf­te die Fra­ge sowie auch die­se The­ma an die­ser Stel­le beant­wor­tet sein
    In die­sem Sin­ne und einen guten Start in die neue Woche

  2. Hal­lo

    ….die den wirt­schaft­li­chen Auf­schwung in Deutsch­land mit mög­lich gemacht haben.???

    Ist das wirk­lich so gewesen !!??

    Als ab 1955 die ers­ten Arbeits­ab­kom­men mit Spa­ni­en , Ita­li­en und Grie­chen­land abge­schlos­sen wur­den war der wirt­schaft­li­che Auf­schwung schon abgeschlossen.
    Der Zwei­te Welt­krieg hat­te in der Bevöl­ke­rung sei­ne Spu­ren hin­ter­las­sen: Vie­le männ­li­che Arbeits­kräf­te fehl­ten und der jun­ge Jahr­gang, der folg­te, war geburtenschwach.
    Aus die­sem Grund hol­te man Arbeitskräfte !!
    Das man mit der Tür­kei ein Arbeits­ab­kom­men schloss , geschah wegen den Druck der USA , die in der Tür­kei einen ver­läss­li­chen NATO-Part­ner haben wollten .
    Die Tür­kei sel­ber hat­te wenig Arbeit und zuviel Arbeits­lo­se , man erhoff­te sich Devi­sen ins Land zuho­len . Ihnen ging es in ers­ter Linie dar­um, viel Geld zu ver­die­nen, um nach ihrer Rück­kehr in die Hei­mat die Fami­lie zu ver­sor­gen und ein bes­se­res Leben füh­ren zu können. 

    Bis 1973 wur­de der tür­ki­sche Arbeits­markt, im Lau­fe von zwölf Jah­ren, von 857 000 Erwerbs­u­chen­den ent­las­tet. Das Anwer­be­ab­kom­men war das Ven­til, das die sozi­al und poli­tisch unter Druck ste­hen­de Tür­kei ent­las­te­te. Die Gast­ar­bei­ter, schick­ten monat­lich einen Teil ihres Lohns nach Hau­se. Das war für Ana­to­li­en und jede Fami­lie ein Segen. Geschätzt leb­ten um 1970 bis zu zehn Pro­zent der drei­ßig Mil­lio­nen Men­schen in der Tür­kei teil­wei­se oder ganz von Über­wei­sun­gen aus Deutsch­land. Vom damals in Deutsch­land erspar­ten Lohn – er war im Durch­schnitt vier­mal so hoch wie in der Tür­kei – und dem Kin­der­geld konn­te eine gan­ze Fami­lie leben.

    Die ers­te Gene­ra­ti­on der Gast­ar­bei­ter ernähr­te nicht nur sich, son­dern auch ihre Groß­fa­mi­li­en in Ana­to­li­en und ret­te­te ihr Hei­mat­land vor dem Bankrott.

    Der Satz „Wir Tür­ken haben die­ses Land auf­ge­baut“, ist unvoll­stän­dig ist. Denn die Tür­ken waren nicht allein, son­dern nur ein klei­ner Teil des Mil­lio­nen­heers von mehr als fünf Mil­lio­nen Arbeits­mi­gran­ten, meist aus ande­ren euro­päi­schen Län­dern – aus Grie­chen­land, Spa­ni­en, Ita­li­en, Jugo­sla­wi­en, Por­tu­gal – die seit 1955 mit ihren deut­schen Kol­le­gen in Deutsch­land arbei­te­ten und wie schon ein­gangs erwähnt … der wirtschft­li­che Auf­schwung war zu die­sem Zeit­punkt schon Vollzogen !!!

    in die­sem sinne 

    Quel­le https://www.faz.net/aktuell/feuilleton/debatten/integration/gastarbeiter-die-kunst-des-missverstehens-11502703-p2.html

    https://de.calameo.com/books/002449043e432ae406870

    • Zum Glück haben wir nicht geschrie­ben und auch nicht gemeint, dass die Tür­ken (oder ange­wor­be­ne Arbei­ter aus ande­ren Natio­nen) das Wirt­schafts­wun­der ermög­licht haben oder nach dem Zwei­ten Welt­krieg Deutsch­land wie­der auf­ge­baut haben. Sie soll­ten nur nicht unter den Tisch fal­len. Dass die Leu­te für ihre Arbeit auch Geld woll­ten, das ist jetzt nicht ver­wun­der­lich oder über­ra­schend. Und dass sie ein Teil davon an ihre Fami­li­en schick­ten, liegt in ihrer Frei­heit. Wenn ein Geschäft nicht auf Geben und Neh­men beruht, dann wäre es ja Skla­ve­rei, oder? Bei den Fei­ern zu 60 Jah­ren Anwer­be­ab­kom­men geht es (und auch uns geht es mit dem oben ste­hen­den Bei­trag) ledig­lich dar­um zu sagen, dass die tür­ki­sche Com­mu­ni­ty auch ihren Anteil am Wirt­schafts­wun­der hat­te und dass die­ser nicht ver­ges­sen wer­den sollte. 

      1955? Weil das das Jahr ist, an dem fak­tisch Voll­be­schäf­ti­gung herrsch­te? Also der Boom in Euro­pa hielt durch­aus län­ger an. Wiki­pe­dia sagt bis 1973. Das genaue Jahr lässt sich sicher nicht ermit­teln, aber 1955 ist wohl eher der Anfang der Wiederaufbaujahre.

      Ins­ge­samt klingt dein Kom­men­tar so, als hät­te die Tür­kei den bes­se­ren Schnitt gemacht. Das bezweif­le ich. Aber selbst wenn ich nur dei­ne Aus­sa­gen neh­me, dann hät­te Deutsch­land also etwas bekom­men. Näm­lich den NATO-Bei­tritt der Tür­kei. Im Kal­ten Krieg sicher ein stra­te­gisch wich­ti­ger Part­ner. Doch rein öko­no­misch und ohne poli­ti­sche Gewin­ne betrach­tet: ja, im Leben ist nichts umsonst. Bei­de Part­ner zogen Vor­tei­le. Mich irri­tiert die Erwar­tung. die Tür­kei hät­te von dem Abkom­men nichts haben sollen.

      Wer sagt: „Wir Tür­ken haben die­ses Land aufgebaut“?

      • Hal­lo

        das war sowohl Frau C.Roth und ein gewis­ser S.Gabriel … mög­li­cher­wei­se ist die Aus­sa­ge bei der erst Genann­ten falsch wie­der gege­ben wor­den … ein­fach mal die von mir genann­ten Quel­len nachlesen

        Gruß

        • Clau­dia Roth hat in der Sen­dung Münch­ner Run­de vom 5. Okto­ber 2004 gesagt: “Was ist das für ein Signal an zwei­ein­halb Mil­lio­nen Men­schen, die zu uns gekom­men sind nach Deutsch­land – auch in Bay­ern gibt es vie­le, die die­ses Land mit auf­ge­baut haben nach dem Zwei­ten Welt­krieg.” / Sig­mar Gabri­el hat im Janu­ar 2018 gesagt und gemeint, dass auch Tür­ken zum Wohl­stand in Deutsch­land bei­getra­gen haben.

          • Hal­lo

            las­sen wir Herrn Gabri­el es mit eige­nen Wor­ten sagen…[link zu rechts­extre­mem Blog entfernt]
            Hier ist auch noch ein Arti­kel der die­ses The­ma beleuch­tet mit ein paar inter­es­san­ten Äuße­run­gen sowie Quellen.…[link zu holo­caust-leug­nen­dem Sen­der entfernt]

            Schö­nes Wochenende

Schreibe einen Kommentar

Your email address will not be published.

MastodonWeddingweiser auf Mastodon
@[email protected]

Wedding, der Newsletter. 1 x pro Woche



Unterstützen

nachoben

Auch interessant?