Hässlich, schmuddelig oder einfach nur funktional – die U‑Bahnhöfe im Wedding machen auf den ersten Blick nicht viel her. Ein bisschen Hintergrundwissen kann da nicht schaden.
Schon seit 90 Jahren rumpeln die gelben Züge unter dem Wedding hindurch. Mit einer Hochbahnstrecke wie in Kreuzberg kann unser Ortsteil zwar nicht dienen, dafür sind aber im Laufe der Jahrzehnte immer wieder neue Strecken und Bahnhöfe dazugekommen. Und immer sind die Bahnhöfe auch Ausdruck des Zeitgeistes gewesen, wie unsere erste Übersicht beweist:
U 6 – 1923 bzw. 1956 eröffnet
Reinickendorfer Straße – Hauptsache billig!
Mit seinen weiß verputzten Wänden und mit den nackten Stahlstützen (heute grün gestrichen) erinnert er daran, dass diese in der Inflationszeit gebaute Linie nur eine Spar-Version war. Positiv ausgedrückt: der älteste und am besten in seiner Ursprungsgestalt erhaltene Weddinger Bahnhof der 1923 eröffneten Nordsüd-U-Bahn-Linie beeindruckt durch seine Einfachheit. Der Haltepunkt war von 1961 – 1990 der letzte Bahnhof im Westsektor, bevor die U‑Bahnen (mit Ausnahme eines Zwischenstopps an der Friedrichstraße) ohne Halt unter dem Ostsektor bis zur Kochstraße in Kreuzberg durchfuhren.
Wedding – in orange
Auch dieser Bahnhof stammt aus dem Jahr 1923. Die ehemals weiß verputzten Wände erhielten bei der Bahnsteigverlängerung die noch heute vorhandenen charakteristischen orangefarbenen Fliesen – dass das 1972 erfolgte, kann man sich bei der Farbwahl fast schon denken. Der ziemlich allgemein klingende Name des U‑Bahnhofs bezieht sich übrigens auf den gleichnamigen S‑Bahnhof, der schon 1872 auf der Ringbahn eröffnet wurde, als im Wedding nur ein paar Häuser standen. Von 1980 bis 2002 ruhte dort übrigens der S‑Bahn-Betrieb. Beim Wiederaufbau der Station arbeitete man mit viel Sichtbeton, wobei die verklinkerten Viaduktbögen aus dem 19. Jahrhundert teilweise erhalten geblieben sind.
Leopoldplatz oberer Bahnsteig
Dieser Bahnhof soll ebenfalls von 1923 sein? Stimmt nur zum Teil, denn von 1959 bis 1961 wurde die Station unter der Müllerstraße komplett umgebaut, um einen Kreuzungsbahnhof mit der im rechten Winkel darunter gebauten Linie G (heute U 9) zu erhalten. Früher gab es einen einfachen Mittelbahnsteig wie z.B. an der Reinickendorfer Straße – heute hat jede Fahrtrichtung der U 6 ihren eigenen Seitenbahnsteig. Die Wände wurden in einem zarten Gelb gefliest.
Seestraße – verwirrende Station
Schon auf der Straße muss man wissen, in welche Richtung man fahren will. Davon hängt ab, welchen Treppenabgang man benutzen muss. Auch sonst ist der dottergelb gekachelte Bahnhof ein ziemlich verbautes Kuriosum. Ab 1923 hieß es hier erst mal “Endstation” – und als solche war der Haltepunkt viergleisig angelegt. Nach einigem Hin und Her besitzt er heute zwei Bahnsteige mit insgesamt drei Gleisen, von denen meistens nur die äußeren benutzt werden. Erst seit 1956 fahren die U‑Bahnen weiter in Richtung Reinickendorf. Übrigens halten oben an der frischen Luft die Straßenbahnen der für lange Zeit einzigen Tramstrecke im Westteil Berlins, die heutigen Linien M 13 und 50.
Rehberge – Bambi und die Fünfziger
Fünfziger Jahre pur – diese lange geplante und erst 1956 eröffnete Station besitzt auf beiden Enden mit Mosaikfliesen dekorierte Zwischengeschosse, die auch als Fußgängerunterführung unter der Müllerstraße genutzt werden können. Typisch für die U‑Bahnhöfe dieser Zeit, die von Bruno Grimmek geplant wurden, sind die schrägen Schmetterlingsdecken. Die Wände haben türkisfarbene Fliesen, die jüngst durch größere ersetzt wurden. Auf den früheren Werbetafeln sind historische Fotografien der umliegenden Kieze zu sehen. Und, neckisch, das Abfertigerhäuschen hat heute eine farbenfrohe Gestaltung mit bunten bemalten Kacheln, auf denen – na klar – Rehe zu sehen sind.
Afrikanische Straße – Original ohne Untertitel
Fast baugleich mit dem Nachbarbahnhof Rehberge ist diese Station, die vor kurzem wieder neue, in babyblauer Farbe gehaltene Wandfliesen erhielt. Mosaiken von afrikanischen Tieren zieren die ehemaligen Werbetafeln. Ebenfalls dunkelblau sind übrigens die BVG-Uniformen, die man hier häufig sieht, denn gleich an einem der Ausgänge befindet sich der Busbetriebshof Müllerstraße. Im Gegensatz zum Nachbarbahnhof Rehberge sind auch die Mittelstützen mit Mosaikfliesen verkleidet. Nach der architekturgeschichtlich bedeutsamen Friedrich-Ebert-Siedlung, die an den Bahnhof grenzt, war die Station lange Zeit benannt – allerdings nur im Untertitel.
U 9 – 1961 bzw. 1976 eröffnet
Amrumer Straße – Strandfeeling im OP
Türkise Farbtöne, die wohl an OP-Räume im nahen Virchow-Klinikum erinnern sollen, prägen diese Station nach einer Neugestaltung der Hintergleiswände mit 80 Glasplatten. Ein Teil des Bahnsteigs hat eine niedrige Decke – genau darüber sollte nämlich einst die Westtangenten-Autobahn gebaut werden. Die dadurch etwas klaustrophobische Enge wird nur unwesentlich dadurch abgemildert, dass das Zugabfertigerhäuschen vor kurzem mit Fotos vom Amrumer Strand beklebt wurde. Die Station stammt aus der Frühzeit der heutigen Linie U 9 und wurde im August 1961 kurz nach dem Mauerbau eröffnet.
Leopoldplatz U 9
Hier hat man 1961 praktisch gedacht – die ältere Linie U6 unter der Müllerstraße wird an dieser Station einfach im rechten Winkel unterquert, eine Treppe führt auf den U6-Bahnsteig Richtung Alt-Mariendorf, die andere auf den U6-Bahnsteig Richtung Alt-Tegel. Auch wenn es im Berufsverkehr schon mal ganz schön eng zugeht, ist diese hellblau geflieste Station (der man die Entstehungszeit Anfang der Sechziger noch ansieht) eine funktionale Umsteigestation – hier kommt man vor allem schnell hin und auch wieder weg. Von 1961 – 1977 war hier die nördliche Endstation der neuen Linie.
Nauener Platz – die Trikolore stand Pate
Der Wedding lag im französischen Sektor, und daher, so geht zumindest die Legende, sind die wesentlichen Farben der 1976 eröffneten Station blau, weiß und rot – der französischen Trikolore nachempfunden. Alles an dieser Station hat Anklänge an Pop-Art – klobige, abgerundete Formen, riesige Lettern für den Stationsnamen, knallige und großflächige Farben. Auch das Zwischengeschoss mit großflächigen Streifen atmet ganz den Geist der 1970er. Kultig!
Im zweiten Teil widmen wir uns den Stationen im Ortsteil Gesundbrunnen…
[…] werden den Touristen meist um diesen Ortsteil herum leiten, allenfalls bei einer Fahrt mit der U‑Bahn verschlägt es den einen oder anderen auch schon mal unter’s Weddinger Straßenpflaster. […]
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[…] Artikelserie über die Architektur der U‑Bahn-Stationen im Wedding […]
[…] Hier noch mal ein Verweis auf den ersten Teil […]