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Architektur unter der Erde:
Unterirdischer Wedding: die U‑Bahn (Teil 1)

10. Juli 2013
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Häss­lich, schmud­de­lig oder ein­fach nur funk­tio­nal – die U‑Bahnhöfe im Wed­ding machen auf den ers­ten Blick nicht viel her. Ein biss­chen Hin­ter­grund­wis­sen kann da nicht schaden.

Schon seit 90 Jah­ren rum­peln die gel­ben Züge unter dem Wed­ding hin­durch. Mit einer Hoch­bahn­stre­cke wie in Kreuz­berg kann unser Orts­teil zwar nicht die­nen, dafür sind aber im Lau­fe der Jahr­zehn­te immer wie­der neue Stre­cken und Bahn­hö­fe dazu­ge­kom­men. Und immer sind die Bahn­hö­fe auch Aus­druck des Zeit­geis­tes gewe­sen, wie unse­re ers­te Über­sicht beweist:

U 6 – 1923 bzw. 1956 eröffnet

Reinickendorfer Straße – Hauptsache billig!

U Reinickendorfer Str BayerMit sei­nen weiß ver­putz­ten Wän­den und mit den nack­ten Stahl­stüt­zen (heu­te grün gestri­chen) erin­nert er dar­an, dass die­se in der Infla­ti­ons­zeit gebau­te Linie nur eine Spar-Ver­si­on war. Posi­tiv aus­ge­drückt: der ältes­te und am bes­ten in sei­ner Ursprungs­ge­stalt erhal­te­ne Wed­din­ger Bahn­hof der 1923 eröff­ne­ten Nord­süd-U-Bahn-Linie beein­druckt durch sei­ne Ein­fach­heit. Der Hal­te­punkt war von 1961 – 1990 der letz­te Bahn­hof im West­sek­tor, bevor die U‑Bahnen (mit Aus­nah­me eines Zwi­schen­stopps an der Fried­rich­stra­ße) ohne Halt unter dem Ost­sek­tor bis zur Koch­stra­ße in Kreuz­berg durchfuhren.

Wedding – in orange

Auch die­ser Bahn­hof stammt aus dem Jahr 1923. Die ehe­mals weiß ver­putz­ten Wän­de erhiel­ten bei der Bahn­steig­ver­län­ge­rung die noch heu­te vor­han­de­nen cha­rak­te­ris­ti­schen oran­ge­far­be­nen Flie­sen – dass das 1972 erfolg­te, kann man sich bei der Farb­wahl fast schon den­ken. Der ziem­lich all­ge­mein klin­gen­de Name des U‑Bahnhofs bezieht sich übri­gens auf den gleich­na­mi­gen S‑Bahnhof, der schon 1872 auf der Ring­bahn eröff­net wur­de, als im Wed­ding nur ein paar Häu­ser stan­den. Von 1980 bis 2002 ruh­te dort übri­gens der S‑Bahn-Betrieb. Beim Wie­der­auf­bau der Sta­ti­on arbei­te­te man mit viel Sicht­be­ton, wobei die ver­klin­ker­ten Via­dukt­bö­gen aus dem 19. Jahr­hun­dert teil­wei­se erhal­ten geblie­ben sind.

Leopoldplatz oberer Bahnsteig

Quelle: IngolfBLN/flickr
Quel­le: IngolfBLN/flickr

Die­ser Bahn­hof soll eben­falls von 1923 sein? Stimmt nur zum Teil, denn von 1959 bis 1961 wur­de die Sta­ti­on unter der Mül­lerstra­ße kom­plett umge­baut, um einen Kreu­zungs­bahn­hof mit der im rech­ten Win­kel dar­un­ter gebau­ten Linie G (heu­te U 9) zu erhal­ten. Frü­her gab es einen ein­fa­chen Mit­tel­bahn­steig wie z.B. an der Rei­ni­cken­dor­fer Stra­ße – heu­te hat jede Fahrt­rich­tung der U 6 ihren eige­nen Sei­ten­bahn­steig. Die Wän­de wur­den in einem zar­ten Gelb gefliest.

Seestraße – verwirrende Station

U-Bahnhof SeestraßeSchon auf der Stra­ße muss man wis­sen, in wel­che Rich­tung man fah­ren will. Davon hängt ab, wel­chen Trep­pen­ab­gang man benut­zen muss. Auch sonst ist der dot­ter­gelb geka­chel­te Bahn­hof ein ziem­lich ver­bau­tes Kurio­sum. Ab 1923 hieß es hier erst mal “End­sta­ti­on” – und als sol­che war der Hal­te­punkt vier­glei­sig ange­legt. Nach eini­gem Hin und Her besitzt er heu­te zwei Bahn­stei­ge mit ins­ge­samt drei Glei­sen, von denen meis­tens nur die äuße­ren benutzt wer­den. Erst seit 1956 fah­ren die U‑Bahnen wei­ter in Rich­tung Rei­ni­cken­dorf. Übri­gens hal­ten oben an der fri­schen Luft die Stra­ßen­bah­nen der für lan­ge Zeit ein­zi­gen Tram­stre­cke im West­teil Ber­lins, die heu­ti­gen Lini­en M 13 und 50.

Rehberge – Bambi und die Fünfziger

Fünf­zi­ger Jah­re pur – die­se lan­ge geplan­te und erst 1956 eröff­ne­te Sta­ti­on besitzt auf bei­den Enden mit Mosa­ik­flie­sen deko­rier­te Zwi­schen­ge­schos­se, die auch als Fuß­gän­ger­un­ter­füh­rung unter der Mül­lerstra­ße genutzt wer­den kön­nen. Typisch für die U‑Bahnhöfe die­ser Zeit, die von Bru­no Grim­mek geplant wur­den, sind die schrä­gen Schmet­ter­lings­de­cken. Die Wän­de haben tür­kis­far­be­ne Flie­sen, die jüngst durch grö­ße­re ersetzt wur­den. Auf den frü­he­ren Wer­be­ta­feln sind his­to­ri­sche Foto­gra­fien der umlie­gen­den Kieze zu sehen. Und, neckisch, das Abfer­ti­ger­häus­chen hat heu­te eine far­ben­fro­he Gestal­tung mit bun­ten bemal­ten Kacheln, auf denen – na klar – Rehe zu sehen sind.

Afrikanische Straße – Original ohne Untertitel

U-Bahnhof Afrikanische StraßeFast bau­gleich mit dem Nach­bar­bahn­hof Reh­ber­ge ist die­se Sta­ti­on, die vor kur­zem wie­der neue, in baby­blau­er Far­be gehal­te­ne Wand­flie­sen erhielt. Mosai­ken von afri­ka­ni­schen Tie­ren zie­ren die ehe­ma­li­gen Wer­be­ta­feln. Eben­falls dun­kel­blau sind übri­gens die BVG-Uni­for­men, die man hier häu­fig sieht, denn gleich an einem der Aus­gän­ge befin­det sich der Bus­be­triebs­hof Mül­lerstra­ße. Im Gegen­satz zum Nach­bar­bahn­hof Reh­ber­ge sind auch die Mit­tel­stüt­zen mit Mosa­ik­flie­sen ver­klei­det. Nach der archi­tek­tur­ge­schicht­lich bedeut­sa­men Fried­rich-Ebert-Sied­lung, die an den Bahn­hof grenzt, war die Sta­ti­on lan­ge Zeit benannt – aller­dings nur im Untertitel.

U 9 – 1961 bzw. 1976 eröffnet

Amrumer Straße – Strandfeeling im OP

Quelle. IngolfBLN/flickr
Quel­le. IngolfBLN/flickr

Tür­ki­se Farb­tö­ne, die wohl an OP-Räu­me im nahen Virch­ow-Kli­ni­kum erin­nern sol­len, prä­gen die­se Sta­ti­on nach einer Neu­ge­stal­tung der Hin­ter­gleis­wän­de mit 80 Glas­plat­ten. Ein Teil des Bahn­steigs hat eine nied­ri­ge Decke – genau dar­über soll­te näm­lich einst die West­tan­gen­ten-Auto­bahn gebaut wer­den. Die dadurch etwas klaus­tro­pho­bi­sche Enge wird nur unwe­sent­lich dadurch abge­mil­dert, dass das Zug­ab­fer­ti­ger­häus­chen vor kur­zem mit Fotos vom Amru­mer Strand beklebt wur­de. Die Sta­ti­on stammt aus der Früh­zeit der heu­ti­gen Linie U 9 und wur­de im August 1961 kurz nach dem Mau­er­bau eröffnet.

Leopoldplatz U 9

Quelle: IngolfBLN/flickr
Quel­le: IngolfBLN/flickr

Hier hat man 1961 prak­tisch gedacht – die älte­re Linie U6 unter der Mül­lerstra­ße wird an die­ser Sta­ti­on ein­fach im rech­ten Win­kel unter­quert, eine Trep­pe führt auf den U6-Bahn­steig Rich­tung Alt-Mari­en­dorf, die ande­re auf den U6-Bahn­steig Rich­tung Alt-Tegel. Auch wenn es im Berufs­ver­kehr schon mal ganz schön eng zugeht, ist die­se hell­blau geflies­te Sta­ti­on (der man die Ent­ste­hungs­zeit Anfang der Sech­zi­ger noch ansieht) eine funk­tio­na­le Umstei­ge­sta­ti­on – hier kommt man vor allem schnell hin und auch wie­der weg. Von 1961 – 1977 war hier die nörd­li­che End­sta­ti­on der neu­en Linie.

Nauener Platz – die Trikolore stand Pate

Quelle: IngolfBLN/flickr
Quel­le: IngolfBLN/flickr

Der Wed­ding lag im fran­zö­si­schen Sek­tor, und daher, so geht zumin­dest die Legen­de, sind die wesent­li­chen Far­ben der 1976 eröff­ne­ten Sta­ti­on blau, weiß und rot – der fran­zö­si­schen Tri­ko­lo­re nach­emp­fun­den. Alles an die­ser Sta­ti­on hat Anklän­ge an Pop-Art – klo­bi­ge, abge­run­de­te For­men, rie­si­ge Let­tern für den Sta­ti­ons­na­men, knal­li­ge und groß­flä­chi­ge Far­ben. Auch das Zwi­schen­ge­schoss mit groß­flä­chi­gen Strei­fen atmet ganz den Geist der 1970er. Kultig!

Im zwei­ten Teil wid­men wir uns den Sta­tio­nen im Orts­teil Gesundbrunnen…

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

4 Comments Leave a Reply

  1. […] wer­den den Tou­ris­ten meist um die­sen Orts­teil her­um lei­ten, allen­falls bei einer Fahrt mit der U‑Bahn ver­schlägt es den einen oder ande­ren auch schon mal unter’s Wed­din­ger Straßenpflaster. […]

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