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Wedding, du kannst so schön hässlich sein

22. Mai 2013
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Berlin-Gesundbrunnen, wohnen, Wohnhäuser, Plattenbau
Foto: Sula­mith Sallmann

Allen, die hof­fen, man kön­ne einen zwei­ten Prenz­lau­er Berg aus dem Wed­ding machen, zei­gen wir die häss­li­chen Sei­ten von Ber­lin-Wed­ding, und war­um sie sich das gleich wie­der aus dem Kopf schla­gen können.

Wed­ding, du bist nicht der best­aus­se­hends­te Teil Ber­lins, und das ist voll in Ord­nung so. Dei­ne schö­ne Imper­fek­ti­on macht dich erst so rich­tig lie­bens­wert. Du besitzt sogar ein paar ech­te High­lights der Häss­lich­keit, bau­li­che Ent­glei­sun­gen, die ihres­glei­chen suchen, Orte, die dem Charme einer Auto­bahn­aus­fahrt in nichts nach­ste­hen, und die wir in unse­rer klei­nen Rei­he mit einer Mischung aus Fas­zi­na­ti­on uns Ent­setz­ten genau­er unter die Lupe neh­men wollen.

Betonburg Behmstraße

Berlin-Gesundbrunnen, Behmstraße, Bellermannstraße, Wohnhaus, Plattenbau
Behmstraße/Ecke Bel­ler­mann­stra­ße Foto: Sula­mith Sallmann]

Damit das momen­tan ganz Ber­lin ver­schlin­gen­de Mons­ter der Gen­tri­fi­zie­rung sich nicht vom Prenz­lau­er Berg aus her­an­pir­schen kann, steht an der Behm­stra­ße in Gesund­brun­nen, direkt an der Gren­ze zu Pregnant Hill eine Trutz­burg aus Beton, häss­lich wie die Nacht und bereit jede Desi­gner­bril­le, die sich ihr nähert, schon aus gro­ßer Distanz zer­sprin­gen zu las­sen. Noch zu Mau­er­zei­ten errich­tet und weit­hin sicht­bar soll­te die Grenz­fes­te aus Kie­sel­wasch­be­ton dem Osten wohl zei­gen, dass man ers­tens auch im Wes­ten der Plat­ten­bau­wei­se mäch­tig ist, man aber zwei­tens durch die Wohn­qua­li­tät der West­ber­li­ner Bevöl­ke­rung bei poten­zi­el­len DDR-Flücht­lin­gen kei­nen Neid schü­ren will, wes­halb noch klei­ne­re Fens­ter ver­baut wur­den als drü­ben im Osten. Die Bet­ten­fes­tung bleibt sich auch in den Details treu. Wo sie gegen­über der Lie­fe­ran­ten­zu­fahrt des Gesund­brun­nen-Cen­ters endet, gibt eine unför­mi­ge Metall­skulp­tur in Gestalt eines unschön auf­ge­platz­ten Fuss­balls den Pas­san­ten Rät­sel auf. Was ver­mut­lich an das „Plum­pe“ genann­te Sta­di­on von Her­tha erin­nern soll, das hier bis 1974 stand, asso­zi­iert man heu­te aber eher mit deren regel­mä­ßig platz­ten­den Erst­li­ga-Träu­men. R.I.P. Plum­pe, auch wenn es schwer fällt.

Finanzamt Wedding

Foto: Joachim FaustEin Klotz, bei dem es mir jedes­mal die Zehen­nä­gel hoch­rollt und ich mir nie ganz sicher bin, ob er nicht doch imstan­de ist, blei­ben­de Schä­den an mei­ner Netz­haut zurück­zu­las­sen, ist das Finanz­amt Wed­ding in der Oslo­er Stra­ße. Ist man vom Anblick nicht spon­tan erblin­det und noch in der Lage sie zu tref­fen, möch­te man trotz­dem lobend auf die Archi­tek­ten­schul­ter klop­fen, denn immer­hin stim­men hier Form und Inhalt über­ein. Hier ist es gelun­gen, büro­kra­ti­scher Nüch­tern­heit und Käl­te ein Gesicht zu geben, das jedem vor­bei schlei­chen­den Pas­san­ten das Fürch­ten lehrt und ihn im Geis­te unwei­ger­lich noch­mals die Details sei­ner letz­ten Steu­er­erklä­rung durch­ge­hen lässt. In meh­re­ren Lagen wur­den Bän­der aus Glas im Wech­sel mit grau­em Beton lust­los über­ein­an­der geschich­tet. Wer sei­nen Blick trotz­dem die Fas­sa­de hin­auf­zwingt, der lang­weilt sich spä­tes­tens nach Eta­ge drei zu Tode. Ledig­lich ein blas­ses Blau an sei­ner Flan­ke ver­sucht dem Bau etwas Leben ein­zu­hau­chen. Ver­ge­bens. An den Rand gedrängt wird es vom Grau durch­drun­gen und domi­niert. Das Leben unter­liegt, die Büro­kra­tie wird sie­gen. Fazit: Wir sind ver­lo­ren. Den armen See­len, die im Schlund der Behör­de ver­schwin­den, möch­te man noch zuru­fen: „Lasst, die ihr ein­tre­tet, alle Hoff­nung fahren!“

3 Comments Leave a Reply

  1. Och, das Finanz­amt Wed­ding sieht doch in sei­nem moder­nis­ti­schen Mief noch ganz put­zig aus, wenn man es mit dem post­mo­der­nen Kotz­bro­cken Gesund­brun­nen­cen­ter ver­gleicht. Im Übri­gen sorgt ja auch Har­ry Ger­lach mit sei­ner pene­trant quietsch­bun­ten Fas­sa­den­ge­stal­tung im Wed­ding und auch anders­wo dafür, dass garan­tiert kein ost­al­gi­sches Prenz­l­berg-Fee­ling aufkommt.

    • Das Gesund­brun­nen­cen­ter ist defi­ni­tiv das häss­lichs­te Gebäu­de im Wed­ding. Ein rie­si­ges Krebs­ge­schwür in den Ästhe­tik zwi­schen Hum­boldt­hain, Licht­burg und der Bad­stra­ße. Ich wünsch­te, man wür­de die­sen abscheu­li­chen Kon­sum­tem­pel abrei­ßen. Dafür näh­me ich auch ger­ne eine bes­se­re Sicht auf die Beton­burg Behm­stra­ße in Kauf.

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