Ich muss es ja zugeben – ich habe es als Kind genossen, wenn die Schule geschlossen war. Ich habe mir oft vorgestellt, zu Hause unterrichtet zu werden, wie in diesem Fernsehfilm, der von einer Familie in den Bergen handelte. Nun habe ich seit insgesamt 13 Jahren zwei Kinder in der Schule, was im Klartext bedeutet, dass ich seit 13 Jahren in mehreren Schulen Elternvertreterin bin, Hausaufgaben kontrolliere, Vokabeln abfrage, versuche knifflige Matheaufgaben zu erklären, Ordner erstelle und mir von den verschiedensten Lehrern an Elternsprechtagen in meine Erziehung reinreden lasse. Als nun die Anordnung kam, die Schulen zu schließen, war das natürlich bedrückend, beängstigend und erst mal ein Schock. Wer rechnet denn schon damit, von einem Virus überrumpelt zu werden? Aber nachdem man einige Tage Zeit hatte, sich mit Homeschooling abzufinden, schlich sich bei mir etwas Vorfreude ein.
Das war der Plan
Homeschooling – endlich wurde mein Kindheitstraum wahr. Meine Kids bei mir zu Hause, das eine mitten im Abitur, das andere gerade in der 7. Klasse und endlich keine Lehrer mehr, die mir erklären, dass meine Brut sich standhaft weigere, Überschriften zu unterstreichen oder Inhaltsverzeichnisse zu führen.
Und wie schön hatte ich es mir vorgestellt. Mit den Kindern habe ich einen Zeitplan besprochen, natürlich sind keine Ferien, aber um 6 Uhr müssen wir nun auch nicht mehr aufstehen. Wir einigten uns darauf, um 8 Uhr zu frühstücken und von 9 bis 12 Uhr Aufgaben zu erledigen. Danach wollten wir gemeinsam kochen, backen, spielen, fernsehen und Spaß haben.
Haushalt? Der macht sich ja quasi wie von selbst mit schon so großen Kindern und einem Ehemann im Homeoffice.
Ja, ich hatte es mir schön vorgestellt, wenn alle zu Hause sind, wir mal entspannt zusammen sitzen, mal ohne Zeitdruck lernen, und wenn auf dem Tisch duftender Tee und selbst gebackene Kekse stehen.
Und so war es dann tatsächlich
Als erstes musste ich feststellen, dass ich es selbst war, die den Zeitplan nicht einhielt. Meine innere Uhr war auf kurz vor 6 Uhr geschaltet, da wurde ich auch wach. Da ich aber nicht aufstehen musste, schlief ich nochmal ein – ganz ganz böser Fehler.
Ich wachte um 9.30 Uhr auf, mit dem Wecker in der Hand, offensichtlich habe ich ihn im Halbschlaf ausgeschaltet. Ich bin zu den Kids und stellte fest, dass beide wach und munter in ihren Zimmern saßen, jeder für sich, eins am Nintendo, eins am Computer und auf meine Frage, weshalb sie mich nicht geweckt haben, sagten sie, ich hätte so schön geschlafen – wie nett sie doch sein können, die lieben Kleinen.
Um 10:30 waren dann immerhin alle im Bad fertig und angezogen, hatten gefrühstückt und nun sollte das Lernen los gehen. Aber nein, der „zu Hause-Koller“ holte uns ein. Mein großer Sohn Ben am Schimpfen, meine Tochter Maria am Heulen, mein Mann Konrad wollte Kaffee und ich mittendrin. Da wir buchstäblich nichts Vernünftiges zum Mittagessen hatten, entschied ich kurzerhand, die Kinder für 10 Minuten zum Laden zu schicken, um etwas Paprika und Zucchini zu holen für eine vegetarische Nudelsoße.
Da ich in die Risikogruppe gehöre und besser nicht nach draußen sollte, dachte ich, es täte ihnen gut, nur mal kurz etwas einkaufen zu gehen – natürlich mit eingeschärftem Sicherheitsabstand und zu Hause deutliche eingehaltenen Hygienemaßnahmen. Zurück zu Hause klagten sie mir erst mal ihr Leid, Maria habe natürlich wieder mal nicht auf Ben gehört, Ben aber sei schon 18, überhaupt sei der jeweils andere doof, ihre Freunde wollten sie sehen, beide am Streiten, Türenknall – nichts mehr mit Heimunterricht.
Ja, bin ich denn eine so unbegabte Möchtegernlehrerin? Hab ich nach 18 Jahren Mutterschaft und zwei Kindern denn gar keine Ahnung von Erziehung? Ich muss zugeben, Selbstzweifel kamen in mir auf. Ich versuchte also beide nochmal zu motivieren, bat sie ins Wohnzimmer an den großen Tisch, beide kamen, immerhin liegen jetzt Hausaufgaben und Lernaufgaben für die nächsten Wochen geballt vor uns – und die nächste Überforderung stellte sich ein: Wie sollen wir das ganze Pensum nur schaffen?
In dem Moment rief meine Freundin an, zwei Kinder, etwas jünger als meine, „Hilfe, die Kids sind am Heulen und am Streiten und keiner macht, was er soll, der Haushalt sieht aus wie ein Schweinestall und das Mittagessen ist auch noch nicht fertig.“ Herrje – das Mittagessen habe ich ja ganz vergessen!
Mir wird klar, was Lehrer leisten
Lange Rede kurzer Sinn: Nach dem ersten Tag Homeschooling ist mir klar geworden, dass unsere Lehrer und Erzieher mehr leisten, als man sich so vorstellt. Habt Dank dafür!
Für morgen haben wir einen neuen Plan erstellt, Disziplin ist gefragt – und zwar MEINE Disziplin. Ich muss den Wecker hören und aufstehen: Ich muss die Aufgaben sortieren und damit niemand überfordert aufgibt, eins nach dem anderen auf den Tisch legen und nicht alles auf einmal. Ich muss die Nerven behalten und den Überblick, ich muss den Kindern die Angst vor der Zukunft nehmen und selbst darauf achten, meine Unsicherheit in der jetzigen weltweiten Situation zu überwinden.
Es wird auch wieder enden
Ein Trost ist, dass es nicht nur mir so geht, dass gerade alle Menschen und alle Familien vor neuen Herausforderungen stehen. Fakt ist, dass wir als Menschheit gemeinsam dieses Virus besiegen werden und diese Phase eines Tages beenden. Fakt ist auch, dass wir nicht die nächsten Jahrzehnte als Menschheit zu Hause bleiben werden. Es werden wieder Tage und Abende und Nächte in Clubs, Bars, Restaurants, Kinos, Theatern, Gottesdiensten, Spielplätzen, Kindergärten, Schulen, Museen, Schwimmbädern, Sporthallen und Geschäften verbracht werden, wir werden unsere Freunde, Kollegen, Nachbarn und Familien wieder sehen und miteinander umgehen, uns umarmen und feiern.
Bis dahin haben wir Zeit, uns neu zu sortieren. Wir werden es nicht mehr selbstverständlich finden, dass man jederzeit vor die Tür kann, wir werden vielleicht weniger mit Lehrern und Erzieherin schimpfen und in Zukunft mehr mit ihnen zusammen arbeiten, wir werden dankbarer sein für Pflegekräfte und diese hoffentlich in Zukunft besser bezahlen.
Bis dahin haben wir Zeit mit unseren Kindern, die wir am liebsten alle vor der Welt beschützen würden. Wir haben Zeit, ihnen zu zeigen, wie man in einer Krise lebt und Zeit, ihnen zu zeigen, dass man in der Krise sich vorbereitet auf die Zeit nach der Krise – denn die wird es geben.
Und damit es dann keinen Ärger mit den Lehrern gibt, versuchen wir uns morgen erneut am Homeschooling.
Autorin: Anke von Eckstaedt
Wie sind eure Erfahrungen als Eltern von Schulkindern? Wie ergeht es Lehrer:innen und Erzieher:innen? Schreibt uns! In den nächsten Tagen bleiben wir an diesem Thema dran.