Gastbeitrag von Robert Rescue
Lange habe ich nichts mehr über die dubiose Christengemeinde geschrieben, die sich samt Café im Vorderhaus der Seestraße niedergelassen hat. Das könnte bedeuten, dass aus ihnen nichts geworden ist, dass sie das Ladengeschäft aufgegeben haben, aber das Gegenteil ist der Fall, die haben sich gemacht. Zwar verschenken sie keinen Rhabarberkuchen mehr und sprechen keine Passanten an, um sie für ihren Glauben zu gewinnen, dafür haben sie sich zum nachmittäglichen Kiez-Café gewandelt, dass mit dem, wie ich zugeben muss, gelungenen Werbespruch „Coffee to pray“ wirbt. Auch der Name des Ladens, „Café Mandelzweig“, hebt sich wohltuend und fast schon poetisch von all den Internet-Buden und Spielcasinos in der Umgebung ab, die so Namen tragen wie „Rosa Café Nr. 3“, “Sunshine Café“, „Café Eiffel“ oder „Goldener Dreieck“. Tagsüber ist dort auch recht viel Publikum, bevor das Café abends schließt oder der Gottesdienst beginnt. Ob die nachmittäglichen Besucher was mit der Glaubensgemeinschaft zu tun haben, weiß ich nicht, aber es fällt auf, dass sie Stammgäste sind, die einen gepflegten und engagierten Eindruck machen. Das kann man vom nebenan gelegenen „Café Stettin“ nicht behaupten. Die Personen, die dort rumgammeln, sind vom Glauben abgefallen und frönen dem Götzendienst in Form von Eurosport und Geldspielautomaten.
Einen besonders engagierten Eindruck macht der Wirt des „Café Mandelzweig“, wenn man ihn so nennen kann. Den ganzen Tag ist er vor Ort und an Tagen, wo dort abends nichts stattfindet, sitzt er drinnen an einem Tisch oder draußen vor dem Laden, während die Jalousien halb heruntergelassen sind. Es wirkt so, als bewache er das Geschäft oder aber er hat eine so innige Beziehung zu dem Ort aufgebaut, dass er ihn als Heimat betrachtet. Auf jeden Fall wirkt er so, als habe er mit dem Job seine Erfüllung gefunden. Ungläubiges Staunen dagegen erfüllt mich und sicherlich auch andere aus dem Haus und dem Kiez, wenn die Gemeinde am Mittwochabend ihren Gottesdienst feiert. Wenn ich das Haus verlasse, bleibe ich immer am Laden stehen und schaue durch die Fenster. Der Laden ist rappelvoll, junge wie alte Leute, die lauthals von einer Leinwand Liedtexte absingen, die ein älterer Herr, der mit einem Laptop an einem der Fenster sitzend, mit einem Beamer an die Leinwand wirft. Es hat was von einer Karaoke-Party, einer fröhlichen Karaoke-Party. Sie stehen da, recken entrückt die Arme in die Luft oder umarmen sich und tanzen.
Manchmal sehe ich auch zwei, drei von ihnen, die ihre Hände über dem Kopf von einem halten, so als würden sie ihn heilen wollen. Anfangs habe ich mir die Nase am Fenster plattgedrückt und mich gefragt, ob die Drogen nehmen, bevor sie mit dem Beten anfangen. Inzwischen stehe ich da und denke mir: „Was haben die, was ich nicht habe?“ Die Antwort darauf kann ich mir geben, wenn ich meine Wohnung betrete. Eine niederdrückende Stille erwartet mich dort, keine andere Menschenseele außer meiner verlorenen haust dort, kein Gebet, kein Tanz, keine Entrückung, keine Hoffnung. Jedes Mal, wenn ich meine Wohnung betrete, ertappe ich mich bei dem Gedanken, hinuntergehen zu wollen und zu fragen, ob ich mitmachen kann. Doch ich lasse es dann immer bleiben und wenn ich das nächste Mal Mittwochabend meine Wohnung betrete, wiederholt sich der Gedanke. Es ist ein Teufelskreis. Sie wollen uns im Haus missionieren und greifen zu jedem Mittel, so glaube ich es inzwischen.
Vor kurzem traf ich Tarik, der vor den Christen dort gut indisch gekocht hatte, im Hausflur wieder. Eines Tages hatte er den Laden zugemacht und war unter merkwürdigen Umständen in den Prenzlauer Berg verschwunden. Nun aber verkündete er mir, dass er künftig von Donnerstag bis Samstag dort wieder kochen werde. Das erfüllte mich mit Freude, aber ein gewisses Misstrauen blieb. Machten die Christen mit Tarik jetzt gemeinsame Sache? Um seine Kochkünste genießen zu können, musste man den Christenladen betreten. Würde man dann überhaupt wieder rauskommen? Reichte es auch, das Essen telefonisch zu bestellen und dann eilig abzuholen oder konnte man mit ihm, der alten Zeiten wegen, vereinbaren, dass er einem das Essen hochbrachte? Auf jeden Fall vermutete ich da eine List der Christengemeinde. Tarik war früher ein wesentlicher Teil unserer Lebensqualität gewesen und seit er weg ist, ernähren wir uns von Pizza-Max oder von Currywurst von der Mittelpromenade und diese Speisen schlagen irgendwann aufs Gemüt.
Vor ein paar Tagen habe ich mal wieder Internetrecherche betrieben. Die Website des christlich gemeinnützigen Vereins „Neues Leben in Christus“ hatte ich schon vor zwei Jahren gespeichert, aber dort hatte sich, vermeintlich, lange nichts getan. Eine weiße Seite mit einem „Herzlichen willkommen auf der Website“, darunter drei bunte Grafiken, ein Bibelzitat und dann die Adressdaten. Erst jetzt habe ich gemerkt, dass der Satz „Wir freuen uns auf ihren Besuch!“ verlinkt ist und dann zur eigentlichen Startseite führt. Besonders benutzerfreundlich ist das nicht und vermutlich steckt dahinter auch eine Absicht. Nur wer eine reine Seele hat und Gott in sein Herz einlässt, kommt dahinter oder jemand wie ich, der wahllos auf einer Website rumklickt.
Im Menü „Events“ lese ich im dort verlinkten Google-Kalender, dass sie dienstags um 15:30 Uhr ihrem missionarischen Eifer in Form des „LEO-Outreach“ nachgehen. Die Beschreibung des Events liest sich so: „Streetwork am Leopoldplatz. Ein Team von 2–6 Leuten geht für ca. 2 Stunden mit Kaffee & Kuchen zur Drogenszene am Leo und bringt ein Stück Wärme, Liebe und die gute Nachricht in Tat und Wort zu den Drogenabhängigen.“ Aha. Die Christengemeinde weiß hoffentlich, dass sie sich da ein hartes Pflaster ausgesucht hat. Ja, wissen sie, denn eine Stunde vorher treffen sie sich zum vorbereitenden Gebet im Laden. Der Termin steht für die nächsten Monate im Kalender und lässt sich zurückverfolgen bis zum Mai 2010. Karl der Große brauchte etwa 32 Jahre, um die heidnischen Sachsen zu missionieren und es ist gut möglich, dass die Christengemeinde ebenso lange brauchen wird, bis sie den Leopoldplatz genommen hat. Dass sie ihre missionarische Arbeit nur mit viel Kraft überstehen können, beweist auch der Event „Glaubenstankstelle“, der jeden 4. Samstag von 11- 18 Uhr stattfindet. Dort wird, unterbrochen von zwei Kaffeepausen und einem Mittagessen, gebetet, was das Zeug hält und das bei uns im Haus. Aber ich sollte das nicht kritisieren, denn schließlich stören sie niemanden damit.
Demnächst will ich mal bei Tarik vorbeischauen. Die letzten Wochen habe ich immer mal geschaut, habe aber keinen von den Christen sehen können. Wahrscheinlich beteiligt er sich an den Mietkosten und will dafür keinen von denen da haben, wenn er kocht. Vielleicht gehe ich auch mal mittwochs runter und reihe mich ein in den Reigen der Betenden. Das Leben im Wedding ist hart und ein wenig Entrückung könnte mir gut tun.
Unser Gastautor Robert Rescue ist Mitglied der Weddinger Lesebühne Die Brauseboys. Seine neueste Geschichtensammlung mit dem Titel „Eimerduschen – Ein Opfer packt aus“ ist im Jahr 2012 erschienen. Infos: http://www.periplaneta.com
Toller Beitrag! Danke. Selten, dass Berichte über Christen und Kirchen es schaffen, diese Menschen nicht vom ersten Wort an in Schubladen zu stecken. DAS ist mein Wedding, in dem die kulturelle Vielfalt tatsächlich nicht nur ein geflügeltes Wort zu sein scheint, sondern Realität! 🙂