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Gotteslästerung

24. Dezember 2018

Die­ses Jahr gibt es bei uns Geschich­ten zur Weih­nacht. Den Anfang macht Brau­se­boy Frank Sor­ge mit einem ver­meint­li­chen Zusam­men­stoß der Reli­gio­nen auf der Seestraße.

Hei­lig­abend, ein Uhr nachts. Ich ging die See­stra­ße hin­auf, aber an mei­ner Woh­nung vor­bei. Ich muss­te noch gucken, ob bei Hei­kos Ech­sen neben­an das Licht aus war. Wenn das Licht noch nicht aus war, wür­de ich das Licht aus­ma­chen. Nor­ma­ler­wei­se wur­de das von Zeit­schalt­uh­ren erle­digt, die hat­ten aber einen extrem hohen Kran­ken­stand, des­halb brauch­te es einen Nacht­wäch­ter. Da der eigent­li­che Nacht­wäch­ter für ein paar Tage außer­halb der Stadt war, brauch­te es einen Ersatz­nacht­wäch­ter. Ich war der Ersatznachtwächter. 

An der Ampel über die Lüde­ritz­stra­ße wink­te mir ein jun­ger Mann, ob ich eine Ziga­ret­te für ihn hät­te, er wür­de sie auch bezah­len. In sei­ner Hand­flä­che lag eine gel­be Münze.

 „Ich habe nur Drehtabak.“ 

„Is egal, kann ich auch drehen.“ 

„Schon okay, kein Pro­blem“, sag­te ich und wühl­te den Tabak aus der Tasche, „aber ich will kein Geld.“ 

Er war empört: „Ey, komm mir nicht so, wenn du mein Geld nicht nimmst, füh­le ich mich schlecht. Das geht nicht, du musst das Geld neh­men, weißt du? Ich hab hier gutes Geld und wenn ich es dir nicht gebe, Alter, dann fühl ich mich wie ein Pen­ner, weißt du?“ 

20 Cent. Na, wenn er unbe­dingt wollte. 

„Weißt du schon, mei­ne ich nicht so mit Pen­nern, aber hey: Du musst unbe­dingt das Geld neh­men, weißt du?“ 

Ich gab ihm ein Blätt­chen und eine Tabakfüllung. 

„Du bist voll freund­lich, ich dan­ke dir, Mann.“ 

„Kein Pro­blem.“

Er streck­te die Hand aus, wir schüt­tel­ten, dann kam er wie­der näher. 

„Weißt du, ich bin auch nicht so hier so ein Mus­lim oder so.“ 

„Okay.“

„Nein, weißt du, ich glau­be nicht dar­an, ist doch alles Sch­eise, guter Mus­lim, son sch­eise Allah.“ 

Er würg­te den Namen des Got­tes von ganz unten hoch, es war ein­deu­tig Gotteslästerung. 

„Nein, weißt du, glau­be ich wirklisch nicht so Sch­eise, ich bin Christ!“

Um Him­mels wil­len, dach­te ich.

„Ich glau­be an Jesus, weißt du?“ 

Sprach­lo­sig­keit auf mei­ner Sei­te. Aber jeder muss­te sei­ne eige­nen Erfah­run­gen machen, dach­te ich nur, und wer Allah aus dem Kopf geräumt hat­te, konn­te es auch mit Jesus auf­neh­men. Dann schüt­tel­te er zum drit­ten Mal mei­ne Hand. 

„Ey, pass gut auf dich auf, Mann, sind eine Men­ge komi­sche Leu­te hier, weißt du? Man­sche voll krank, aber weißt du, bin ich so froh, dass du so kor­rek­te Typ bist, ey. Kön­nen wir hier ein­fach so reden, kei­ne Pro­ble­me, ande­re sind nicht so, weißt du?“ 

„Ich weiß.“

„Frag ich nach eine Ziga­ret­te, gehen sie gleich weg so, schnell weg, nur Bei­spiel, aber du bist nicht so, ich wün­sche dir eine gute Nacht, weißt du, ist so vie­le Schei­ße, aber musst du immer Hoff­nung haben“, er poch­te auf sei­nen Ober­kör­per in Herz­ge­gend, „wir sind alle gleich, Mann! Weißt du, wie wir: Stehn so und quat­schen und alles ist okay. Ent­schul­di­ge, wenn ich so rede, aber mei­ne ich so, ver­stehst du schon. Du siehst halt so bes­ser aus und so, pass auf weißt du? Komm, ich geb dir noch mal die Hand, will dir nicht Zeit steh­len, aber du bist so voll kor­rekt. Ich dan­ke dir für dei­ne Freund­lich­keit, Habibi. “ 

Er schüt­tel­te wie­der mei­ne Hand. „Weißt du, ich bin Christ!“ 

„Ich bin Athe­ist“, sag­te ich. 

„Ist noch bes­ser“, sag­te er. 

Ich ging die See­stra­ße wei­ter, er in die ande­re Rich­tung. Er winkte.

Bei Hei­ko schau­te ich kurz in den Hof Rich­tung Schup­pen­ge­tier. Die Hei­li­ge Nacht war in vol­lem Gan­ge, für Ech­sen und Men­schen zugleich.

Autor: Frank Sorge

Erschie­nen in ‚Brun­nen­stra­ße 3, Ber­lin’. Eich­born 2011.

Alle Ehren­amt­li­chen des Wed­ding­wei­sers wün­schen den Lese­rin­nen und Lesern ein schö­nes Weihnachtsfest!

Gastautor

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