Meinung Was gibt’s im Wedding schon großartig zu sehen? Die Reiseführer werden den Touristen meist um diesen Ortsteil herum leiten, allenfalls bei einer Fahrt mit der U‑Bahn verschlägt es den einen oder anderen auch schon mal unter’s Weddinger Straßenpflaster.
Auch durch Negativ-Schlagzeilen über Kriminalität, Gewalt oder Armut ist unser Wohnort auch überregional ein Begriff. Doch zu glauben, dass nur die Top-Attraktionen für Tourismus sorgen, wäre viel zu eindimensional gedacht. Denn wer sagt, dass es einen Fernsehturm, einen Dom und einen Zoologischen Garten braucht, um neugierige Besucher aus anderen Teilen der Welt zu interessieren? Ist nicht die Tatsache, dass hunderttausende Berliner eben nicht in den „angesagten“ und touristisch erschlossenen Stadtteilen wohnen, allein schon ein Grund, vom ausgetretenen Pfad abzuweichen? Wer sich für das echte Berlin, das Berlin der Kieze interessiert, muss in der Innenstadt schon ein wenig suchen. Im Wedding wird der Besucher noch am ehesten die für diese Stadt so typische bunte Mischung finden.
Typische Mischung – nun ja, vielleicht gab es die noch bis vor wenigen Jahren tatsächlich in den meisten Teilen Berlins. Heute kann fast nirgendwo mehr davon die Rede sein. In der Innenstadt wirkt nur der Wedding in seiner Einfachheit mancherorts wie ein Relikt aus einer anderen Zeit. Doch auch hier beginnen sich die Dinge zu verändern, die hohen Mieten haben unseren Stadtteil längst erreicht.
Ob in Hostels, in Gästehäusern, in Ferienwohnungen oder in Hotels – Touristen steuern in zunehmenden Maße eine Weddinger Adresse als Unterkunft an. Dafür sorgt allein schon die zentrale Lage und die gute Erreichbarkeit mit öffentlichen Verkehrsmitteln. Vielleicht interessiert sich der eine oder andere Besucher auch für das Umfeld, in dem sich seine Unterkunft befindet. Jedes Viertel hat seine Charakteristika, seine baulichen „Highlights“, seine gewachsene Struktur, die man nicht einfach erklären kann, wenn man sie nicht selbst erlebt.
Eine Reise in den Wedding kann einen Berlin-Aufenthalt in jedem Fall bereichern, denn der Ortsteil mit all seinen Schönheiten, aber auch „Problemecken“ gehört zum Gesamtbild, das sich ein Fremder von dieser Stadt machen sollte. Wer alle Sehenswürdigkeiten aus dem Reiseführer abgeklappert hat, wird nur ein Abziehbild der deutschen Hauptstadt gesehen haben. Wer aber auch den Wedding aus eigener Anschauung kennt, hat Berlin wirklich erlebt. Und der gewöhnliche Tourist wird sich erstaunt die Augen reiben, wenn er die obere Müllerstraße entlanggeht: Vor dem Centre Francais steht doch tatsächlich ein Eiffelturm! Na bitte, geht doch…
Joachim Faust mag es, bei Städtereisen auch in die Viertel zu gehen, in denen viele Stadtbewohner leben, arbeiten und ausgehen.