Gastbeitrag von Robert Rescue
Einleitung: Zwei Männer (Percy und Kalle) stehen auf einem Balkon des Vorderhauses und blicken auf einen Hinterhof herunter.
Percy: „Heute ist ein denkwürdiger Tag.“
Kalle: „Ach ja? Was ist denn passiert? Haben sie dir das Hartz IV erhöht? Hast du bei Facebook bei irgendeinem dieser komischen Spiele den Superrekord geholt?“
Percy: „Nein, nein, nichts von alledem. Heute jährt sich zum dreiundzwanzigsten Mal der Fall der Mauer.“
Kalle: „Ach ja, die Mauer, die hatte ich ganz vergessen. Wenn sie da ist, denkt man die ganze Zeit an sie und wenn sie weg ist, vergisst man sie ganz schnell.“
Percy: „Genau. Deswegen habe ich diesen Tag jedes Jahr im Kalender vermerkt. So, und jetzt einen Futschi für dich und einen für mich. Prost!“
Kalle: „Prost. Erinnerst du dich eigentlich noch an damals?“
Percy: „Selbstverständlich. Was war die doch so ein Hindernis jeden Tag. Wie im Gefängnis kam man sich vor. Vor allem erinnere ich mich daran, wie schnell die hochgezogen wurde. Als ich ins Bett gegangen bin, war die noch nicht da und am nächsten Morgen stand die schon.“
Kalle: „Ich habe ja nie verstanden, warum die gebaut wurde.“
Percy: „Schabowski hat ja immer erzählt, dass die nicht auf seinem Mist gewachsen ist. Wenn du ihn darauf ansprichst, sagt er als erstes, dass er damit nichts zu tun hat.“
Kalle: „Aber immerhin hat er dafür gesorgt, dass sie abgerissen wurde.“
Percy: „Das erzählt er dann gleich danach. „Ohne mich würde die immer noch stehen“ und das wiederholt er seit 23 Jahren.“
Kalle: „Die jungen Leute wissen ja gar nichts von der Mauer. Die ist für die doch Schnee von gestern. Die wissen nicht, was uns die Mauer für Schwierigkeiten aufgehalst hat. Die waren doch noch gar nicht geboren, als die abgerissen wurde.“
Percy: „Ich glaube, die wissen das. Schabowski wird immer ganz melancholisch, wenn er morgens besoffen aus der Flitter Bar kommt. Der hat im Laufe der Zeit jedem von den jungen von der Mauer erzählt und die Neumieter denken dann, er meint die andere Mauer, die auch vor dreiundzwanzig Jahren abgerissen wurde und weiter denken die, Schabowski wäre der andere Schabowski, also der aus der DDR, dabei hat Schabowski, also unser Schabowski meines Wissens den Wedding noch nie verlassen.“
Kalle: „Auf jeden Fall war es ein toller Moment, als wir damals endlich wieder Zugang zum Hof von der 39 hatten. Da habe ich ja Christel kennengelernt, die dann zu mir in die 40 gezogen ist. Ich erinnere mich noch genau. Es war kalt und sie wollte ihr Fahrrad reparieren. Ich habe ihr dabei geholfen und mich in sie verliebt.“
Percy: „Und ich hatte endlich wieder Zugang zu meinem Kohlenkeller. Vier Jahre habe ich die hier in der Wohnung gelagert, weil unten in der 40 kein Keller für mich frei war. Ich bin doch vier Wochen vor der Mauer von der 39 in die 40 gezogen und hatte idiotischerweise den Haustürschlüssel abgegeben. Ich hätte mich besser mit den Nachbarn stellen sollen, weil keiner von denen hat mir aufgemacht, als ich geklingelt und erklärt habe, ich wolle noch meine Kohlen aus dem Keller holen. Als Schabowski dann eines Morgens besoffen im Hof stand und mit der schweren Bauaxt die Mauer eingerissen hat, bin ich kurz darauf in den Keller von der 39 gegangen, aber da hing ein neues Schloss und meine Kohlen waren weg. Schabowski meinte, der Besitzer von der 39 sei gestorben und er würde jetzt den alten Zustand wiederher …“
Kalle: „… Percy, ich habe da mal ne Frage …also…kann sein, dass ich da was nicht mitbekommen habe…scheint auch so und das ist mir auch irgendwie peinlich, aber…welche andere Mauer meinst du eigentlich?“
Unser Gastautor Robert Rescue ist Mitglied der Weddinger Lesebühne Die Brauseboys. Seine neueste Geschichtensammlung mit dem Titel „Eimerduschen – Ein Opfer packt aus“ ist im September erschienen. Infos: http://www.periplaneta.com
Es gibt ein mindestes ebenso wichtiges (wenn nicht sogar noch wichtigeres?!) Ereignis, dessen es am 09. November zu gedenken gäbe?!?!