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Zwischen Willkommenskultur und Ärger im Bauch

8. November 2016
Auf dem Platz vor der Stephanuskirche im Soldiner Kiez halten sich regelmäßig Roma-Familien auf. Das gefällt nicht allen. Foto: Hensel
Auf dem Platz vor der Ste­pha­nus­kir­che im Sol­di­ner Kiez hal­ten sich regel­mä­ßig Roma-Fami­li­en auf. Das gefällt nicht allen. Foto: Hensel

Flücht­lin­ge gibt es nicht erst seit vor­letz­tem Som­mer. Schon seit neun Jah­ren leben zum Bei­spiel im Umfeld der Ste­pha­nus­kir­che im Sol­di­ner Kiez meh­re­re Roma-Fami­li­en aus Rumä­ni­en. Sie sind Armuts­flücht­lin­ge aus Buka­rest, Sofia, Paris oder Maze­do­ni­en. Sie leben in den Autos an der Sol­di­ner Stra­ße und hal­ten sich oft auf dem Platz vor der Kir­che auf. Wäh­rend man­che Anwoh­ner ihnen mit Ver­ständ­nis begeg­nen, ärgern sich ande­re über die Pro­ble­me, die auch aus ihrer Anwe­sen­heit entstehen.

Unterstützung aus der Nachbarschaft

Zu den Anwoh­nern, die die neu­en Nach­barn in ihrer schwie­ri­gen Situa­ti­on unter­stüt­zen, gehört Lena Reich. Sie enga­giert sich seit Jah­ren für die Roma-Fami­li­en vor ihrer Tür und plä­dier­te schon von drei Jah­ren im Gemein­de­brief der Evan­ge­li­schen Kir­chen­ge­mein­de an der Pan­ke dafür, „den Armuts­flücht­lin­gen vor der Ste­pha­nus-Kir­che mit dem klei­nen Ein­mal­eins der Gast­freund­schaft (zu) begeg­nen: Mit einem Lächeln und mit Ver­trau­en.“ Lena Reich wird nicht müde, um Tole­ranz zu wer­ben – auch im Quar­tiers­rat, einem Bewoh­ner­gre­mi­um beim Quartiersmanagement.

“Anti­zi­ga­nis­mus ist ein euro­päi­sches Pro­blem. Die wirt­schaft­li­che Aus­beu­tung der gern als Wan­der­ar­bei­ter beti­tel­ten Armuts­flücht­lin­ge ist in Deutsch­land und Ber­lin beson­ders stark, wäh­rend die Behör­den mit den hier leben­den Fami­li­en total über­for­dert sind und Pro­ble­me lie­ber in der ‘Wil­den Kul­tur’ als in Armut und Unmün­dig­keit sehen”, sagt sie. So nimmt sie sich dem per­sön­li­chen Schick­sal der Geflo­he­nen an, sorgt sich vor allem um die Kin­der. Immer wie­der hat sie mit den Roma-Fami­li­en gekocht. „Gera­de an nass­kal­ten Win­ter­ta­gen, an denen man das Sofa im Wohn­zim­mer ganz selbst­ver­ständ­lich der Park­bank vor­zieht, soll­te man an die den­ken, die die­se Wahl nicht haben“, schrieb sie in ihrem Bei­trag für den Gemeindebrief.

Ärger in der Nachbarschaft

Die Straßenlaterne in der Soldiner Straße fehlt komplett. Foto: Elfert
Die Stra­ßen­la­ter­ne in der Sol­di­ner Stra­ße fehlt kom­plett. Foto: Elfert

Eber­hard Elfert, eben­falls Anwoh­ner, sieht das anders. Die Lis­te des­sen, wor­un­ter die Men­schen im Kiez lei­den sei lang, sagt er. Sie reich­te von Ein­bruch, Laden­dieb­stahl, Müll, Lärm sowie Ver­rich­ten der Not­durft und dem Auto­han­del im öffent­li­chen Straßenland.

Für ihn sei­en, die Men­schen, die sich vor Ort über­wie­gend auf der Stra­ße auf­hal­ten, über­haupt nicht das Pro­blem. Ihm sei auch völ­lig egal vom wem die Stö­run­gen aus­ge­hen. “Die Pro­blem­ver­ur­sa­cher sind ein­deu­tig das Ord­nungs­amt, das Quar­tiers­ma­nage­ment und die Evan­ge­li­sche Kir­chen­ge­mein­de an der Pan­ke. Sie haben über Jah­re ihren Job nicht gemacht”, schrieb er dem Wed­ding­wei­ser. “So ent­stand eine Situa­ti­on, die als Ver­wahr­lo­sung ange­se­hen wer­den kann”. Elfert fragt: Wie will soll man einem EU Bür­ger erklä­ren, dass es sich an Regeln hal­ten soll, wenn das Ord­nungs­amt, die Kir­che und das Quar­tiers­ma­nage­ment dies seit Jah­ren sel­ber nicht tun?

Ihm ist die ers­te und ein­zi­ge Ver­an­stal­tung des Quar­tiers­ma­nage­ment (QM) zu den Pro­ble­men, noch gut in Erin­ne­rung. Damals ver­lie­ßen Bewoh­ner des Kiezes die Ver­an­stal­tung unter Pro­test, da sie sich – so die Ein­schät­zung von Elfert – vom QM als Ras­sis­ten beschimpft fühlten.

Kleine Lösungen – der Ärger bleibt

Aus den ver­schie­de­nen Pro­ble­men in der Sol­di­ner Stra­ße und im Umfeld der Kir­che ist bei Anwoh­nern ein all­ge­mei­ner Unmut ent­stan­den. Die Reak­tio­nen der Behör­den haben bis­her wenig dazu geführt, dass die­ses Bauch­ge­fühl ver­schwin­det. Eber­hard Elfert schreibt: „Nun sind Pol­ler auf dem Geh­weg in der Sol­di­ner Stra­ße auf­ge­stellt wor­den, sie ver­hin­dern, dass der Bür­ger­stei­ge als Renn­stre­cke die­nen kann, wenn ein­mal wie­der ein Müll­fahr­zeug die Stra­ße blo­ckiert“. Auch, dass die Ber­li­ner Stadt­rei­ni­gung ihm einen neu­en oran­ge­nen Müll­ei­mer spen­dier­te – der vor­he­ri­ge war defekt und der Müll sta­pel­te sich folg­lich auf dem Bür­ger­steig vor sei­nem Haus – ist für ihn nur ein Trop­fen auf den hei­ßen Stein. „Das Hal­te­ver­bots­schild, das auf eine Bau­stel­le ver­weist, die seit einem Jahr nicht mehr exis­tiert, hängt immer noch an der Stra­ßen­la­ter­ne“, schreibt Elfert ärger­lich, trotz meh­re­rer Beschwerden.

Ein Vermittlungsversuch

Jonny Herzberg ist Musiker und Kulturvermittler. Foto: QM Soldiner Straße
Jon­ny Herz­berg ist Musi­ker und Kul­tur­ver­mitt­ler. Foto: QM Sol­di­ner Straße

Der Quar­tiers­rat im Quar­tiers­ma­nage­ment­ge­biet Sol­di­ner Stra­ße hat in die­sem Zusam­men­hang vor eini­ger Zeit eine Pro­jekt­idee aus­ge­wählt, das Pro­jekt ist kürz­lich gestar­tet. Zunächst klingt der Pro­jekt­ti­tel nicht so, als hät­te er etwas mit dem The­ma zu tun: „Ent­wick­lung von Ange­bo­ten für Kin­der und Jugend­li­che im öffent­li­chen Raum“. Doch das Pro­jekt dreht sich um die Roma-Fami­li­en vor der Kir­che. Im Rah­men des Pro­jek­tes macht Musi­ker und Kul­tur­ver­mitt­ler Jon­ny Herz­berg, der selbst pol­ni­scher Rom ist, Ange­bo­te an die Armuts­flücht­lin­ge. Dabei geht es um die Ein­glie­de­rung der Roma-Grup­pe in die Nachbarschaft.

„Wir bemü­hen uns um ein nach­bar­schaft­li­ches Mit­ein­an­der, das in den letz­ten Jah­res ver­nach­läs­sigt wur­de. Drei Mit­ar­bei­ter und ein Prak­ti­kant sind drei­mal in der Woche im Gemein­de­gar­ten der Ste­pha­nus-Kir­che. Wir stel­len Tische und Bän­ke auf und ver­su­chen, auf spie­le­ri­sche Wei­se mit der Roma-Grup­pe, aber auch mit Nach­barn ins Gespräch zu kom­men. Mit den Kin­dern grün­den wir eine Musik- und Tanz­grup­pe. Für die Kleins­ten machen wir spe­zi­el­le Ange­bo­te, sodass sie ler­nen, zusam­men zu spie­len“, sagt Jon­ny Herz­berg in einem Inter­view im Kiez­ma­ga­zin Sol­di­ner. Bei Kon­flik­ten mit Nach­barn wol­le er ver­mit­teln hel­fen und er ent­wi­ckelt auch Ideen zu wei­te­ren Lösun­gen: „Es wäre groß­ar­tig, wenn man im Kiez einen fes­ten Raum fin­det, in dem die Grup­pe sich tref­fen könn­te, für den sie dann auch ver­ant­wort­lich ist“.

Die Reaktion

Das Pro­jekt für die Kin­der und Jugend­li­chen fin­det Eber­hard Elfert “klas­se”. “Aller­dings ist die Umset­zung schlicht abstrus und muss des­halb auch ver­hin­dert wer­den”, schreibt er. Wenn das Pro­jekt in der Kir­che statt­fin­det, dann wer­den die Pro­ble­me an dem Ort  ‑an dem sie ent­stan­den sind – gefes­tigt und ver­stärkt. Das die Kir­che, die in sei­nen Augen Pro­blem­ver­ur­sa­cher ist, indi­rekt von För­der­gel­dern pro­fi­tiert, gefällt ihm nicht.

Dass sich der Inte­gra­ti­ons­be­auf­trag­te unter Aus­schluss der Öffent­lich­keit mit ein­ge­la­de­nen Gäs­ten der Sache anneh­men soll, ver­steht Elfert eben­falls über­haupt nicht. “Denn es geht nicht um Inte­gra­ti­on son­dern nur um die Ein­hal­tung der in unse­rer Gesell­schaft gel­ten­den Regeln”, so Elfert. Was man sei­ner Mei­nung nach brau­che, sei ein Run­der Tisch, der Prä­ven­ti­ons­rat sei die rich­ti­ge Per­son. “Die Ver­wal­tung soll den Men­schen ein­fach nur auf glei­cher Augen­hö­he begeg­nen und dazu öffent­lich ein­la­den. Aber dazu ist man, war­um auch immer, nicht bereit”, meint er.

Text: Domi­ni­que Hensel

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