Flüchtlinge gibt es nicht erst seit vorletztem Sommer. Schon seit neun Jahren leben zum Beispiel im Umfeld der Stephanuskirche im Soldiner Kiez mehrere Roma-Familien aus Rumänien. Sie sind Armutsflüchtlinge aus Bukarest, Sofia, Paris oder Mazedonien. Sie leben in den Autos an der Soldiner Straße und halten sich oft auf dem Platz vor der Kirche auf. Während manche Anwohner ihnen mit Verständnis begegnen, ärgern sich andere über die Probleme, die auch aus ihrer Anwesenheit entstehen.
Unterstützung aus der Nachbarschaft
Zu den Anwohnern, die die neuen Nachbarn in ihrer schwierigen Situation unterstützen, gehört Lena Reich. Sie engagiert sich seit Jahren für die Roma-Familien vor ihrer Tür und plädierte schon von drei Jahren im Gemeindebrief der Evangelischen Kirchengemeinde an der Panke dafür, „den Armutsflüchtlingen vor der Stephanus-Kirche mit dem kleinen Einmaleins der Gastfreundschaft (zu) begegnen: Mit einem Lächeln und mit Vertrauen.“ Lena Reich wird nicht müde, um Toleranz zu werben – auch im Quartiersrat, einem Bewohnergremium beim Quartiersmanagement.
“Antiziganismus ist ein europäisches Problem. Die wirtschaftliche Ausbeutung der gern als Wanderarbeiter betitelten Armutsflüchtlinge ist in Deutschland und Berlin besonders stark, während die Behörden mit den hier lebenden Familien total überfordert sind und Probleme lieber in der ‘Wilden Kultur’ als in Armut und Unmündigkeit sehen”, sagt sie. So nimmt sie sich dem persönlichen Schicksal der Geflohenen an, sorgt sich vor allem um die Kinder. Immer wieder hat sie mit den Roma-Familien gekocht. „Gerade an nasskalten Wintertagen, an denen man das Sofa im Wohnzimmer ganz selbstverständlich der Parkbank vorzieht, sollte man an die denken, die diese Wahl nicht haben“, schrieb sie in ihrem Beitrag für den Gemeindebrief.
Ärger in der Nachbarschaft
Eberhard Elfert, ebenfalls Anwohner, sieht das anders. Die Liste dessen, worunter die Menschen im Kiez leiden sei lang, sagt er. Sie reichte von Einbruch, Ladendiebstahl, Müll, Lärm sowie Verrichten der Notdurft und dem Autohandel im öffentlichen Straßenland.
Für ihn seien, die Menschen, die sich vor Ort überwiegend auf der Straße aufhalten, überhaupt nicht das Problem. Ihm sei auch völlig egal vom wem die Störungen ausgehen. “Die Problemverursacher sind eindeutig das Ordnungsamt, das Quartiersmanagement und die Evangelische Kirchengemeinde an der Panke. Sie haben über Jahre ihren Job nicht gemacht”, schrieb er dem Weddingweiser. “So entstand eine Situation, die als Verwahrlosung angesehen werden kann”. Elfert fragt: Wie will soll man einem EU Bürger erklären, dass es sich an Regeln halten soll, wenn das Ordnungsamt, die Kirche und das Quartiersmanagement dies seit Jahren selber nicht tun?
Ihm ist die erste und einzige Veranstaltung des Quartiersmanagement (QM) zu den Problemen, noch gut in Erinnerung. Damals verließen Bewohner des Kiezes die Veranstaltung unter Protest, da sie sich – so die Einschätzung von Elfert – vom QM als Rassisten beschimpft fühlten.
Kleine Lösungen – der Ärger bleibt
Aus den verschiedenen Problemen in der Soldiner Straße und im Umfeld der Kirche ist bei Anwohnern ein allgemeiner Unmut entstanden. Die Reaktionen der Behörden haben bisher wenig dazu geführt, dass dieses Bauchgefühl verschwindet. Eberhard Elfert schreibt: „Nun sind Poller auf dem Gehweg in der Soldiner Straße aufgestellt worden, sie verhindern, dass der Bürgersteige als Rennstrecke dienen kann, wenn einmal wieder ein Müllfahrzeug die Straße blockiert“. Auch, dass die Berliner Stadtreinigung ihm einen neuen orangenen Mülleimer spendierte – der vorherige war defekt und der Müll stapelte sich folglich auf dem Bürgersteig vor seinem Haus – ist für ihn nur ein Tropfen auf den heißen Stein. „Das Halteverbotsschild, das auf eine Baustelle verweist, die seit einem Jahr nicht mehr existiert, hängt immer noch an der Straßenlaterne“, schreibt Elfert ärgerlich, trotz mehrerer Beschwerden.
Ein Vermittlungsversuch
Der Quartiersrat im Quartiersmanagementgebiet Soldiner Straße hat in diesem Zusammenhang vor einiger Zeit eine Projektidee ausgewählt, das Projekt ist kürzlich gestartet. Zunächst klingt der Projekttitel nicht so, als hätte er etwas mit dem Thema zu tun: „Entwicklung von Angeboten für Kinder und Jugendliche im öffentlichen Raum“. Doch das Projekt dreht sich um die Roma-Familien vor der Kirche. Im Rahmen des Projektes macht Musiker und Kulturvermittler Jonny Herzberg, der selbst polnischer Rom ist, Angebote an die Armutsflüchtlinge. Dabei geht es um die Eingliederung der Roma-Gruppe in die Nachbarschaft.
„Wir bemühen uns um ein nachbarschaftliches Miteinander, das in den letzten Jahres vernachlässigt wurde. Drei Mitarbeiter und ein Praktikant sind dreimal in der Woche im Gemeindegarten der Stephanus-Kirche. Wir stellen Tische und Bänke auf und versuchen, auf spielerische Weise mit der Roma-Gruppe, aber auch mit Nachbarn ins Gespräch zu kommen. Mit den Kindern gründen wir eine Musik- und Tanzgruppe. Für die Kleinsten machen wir spezielle Angebote, sodass sie lernen, zusammen zu spielen“, sagt Jonny Herzberg in einem Interview im Kiezmagazin Soldiner. Bei Konflikten mit Nachbarn wolle er vermitteln helfen und er entwickelt auch Ideen zu weiteren Lösungen: „Es wäre großartig, wenn man im Kiez einen festen Raum findet, in dem die Gruppe sich treffen könnte, für den sie dann auch verantwortlich ist“.
Die Reaktion
Das Projekt für die Kinder und Jugendlichen findet Eberhard Elfert “klasse”. “Allerdings ist die Umsetzung schlicht abstrus und muss deshalb auch verhindert werden”, schreibt er. Wenn das Projekt in der Kirche stattfindet, dann werden die Probleme an dem Ort ‑an dem sie entstanden sind – gefestigt und verstärkt. Das die Kirche, die in seinen Augen Problemverursacher ist, indirekt von Fördergeldern profitiert, gefällt ihm nicht.
Dass sich der Integrationsbeauftragte unter Ausschluss der Öffentlichkeit mit eingeladenen Gästen der Sache annehmen soll, versteht Elfert ebenfalls überhaupt nicht. “Denn es geht nicht um Integration sondern nur um die Einhaltung der in unserer Gesellschaft geltenden Regeln”, so Elfert. Was man seiner Meinung nach brauche, sei ein Runder Tisch, der Präventionsrat sei die richtige Person. “Die Verwaltung soll den Menschen einfach nur auf gleicher Augenhöhe begegnen und dazu öffentlich einladen. Aber dazu ist man, warum auch immer, nicht bereit”, meint er.
Text: Dominique Hensel