Das neue Jahr hat begonnen, der Jahresrückblick der Brauseboys ist noch da. Schon zum 10. Mal lädt die Weddinger Lesebühne für mehrere Wochen in den Comedyclub Kookaburra, um an die wirklich wichtigsten Themen des vergangenen Jahres mit heiteren Texten und wahnwitzigen Liedern zu erinnern. Für den Weddingweiser fassen sie exklusiv die wichtigsten Weddinger Ereignisse zusammen, hier ist das Finale.
Winter 2015
Arbeit mit Freude (Frank Sorge)
Nach der Sanierung und dem Einzug der Arbeitsagentur in den Rathausturm am Leopoldplatz, hat der Wedding endlich die Kathedrale, die er verdient.
Der staunende Kunde betritt sonnendurchflutete Gänge, die mit Geräuschen des Waldes bespielt werden, ihm werden probiotische Erfrischungen gereicht. Arbeitsbischof Schmidtski erläutert den neuen Ansatz im Problemkiez: “Wir haben festgestellt, dass der Übergang in die vermittelte Arbeit zu schroff war. Jetzt, da die Arbeitslosenzahlen einen historischen Tiefstand erreicht haben, konnten wir uns die Zeit nehmen, auch einmal unsere Abläufe zu optimieren.”
Es wäre nicht leicht, Abschied von der Untätigkeit zu nehmen, die Jobcenter hätten dies lange unterschätzt. Viele ihrer Kunden wären auf der neuen Arbeit nicht zurechtgekommen, oft wären sie als ehemalige Arbeitslose identifiziert und mit Vorurteilen konfrontiert worden. Daher gäbe man Neuankömmlingen jetzt ohne jedes Entgeld einen frischen Haarschnitt, in Sauna und Wellnessbereichen schwitze man gemeinsam das alte Leben aus. Schon heute könne man Kunden und Priester auf den Gängen durch Geruch und Kleidung nicht mehr voneinander unterscheiden.
Ich frage nach, wo denn das Personal herkäme und wie das bezahlt würde? “Umschulung”, sagt Schmidtski knapp, “wir haben sämtliche unserer Bewerbungscoacher noch einmal umgeschult, meist sogar einfach in deren vorige Berufe zurück. Friseure, Masseure, Kleinkünstler, Änderungsschneider. Radikal, ja, aber der Erfolg gibt uns recht. Denn es ist klar geworden, dass nicht die erfolgreiche Vermittlung den Arbeitslosen ändert. Der geänderte Arbeitslose zieht die Arbeit selbst an, viel schneller als gedacht, das ist für alle ein deutlich angenehmerer Weg.
Schmidtski muss los, ungläubig durchquere ich die belebten Räume auf eigene Faust und kann es kaum fassen. Ich lasse mir die Nägel machen, schminken und stärke mich mit Bio-Tapas der offenen Kantine. Dort treffe ich Ralph, einen lustigen Mittfünfziger mit dichtem, schwarzem Haar und gesundem Teint.
“Ick komm jeden Tach her”, verrät er mir, “schon alleene wegen Yoga. Ick war ja mal Lackierer, denne allet mögliche, aber meistens nüscht, wa? Hab mir trotzdem amüsiert. Is zwar nich schön, keene Arbeit, aber auch keen Beenbruch. Aber dann war ick hier und augenblicklich jeheilt. Nüschttun is anjenehm, aber dit hier is besser. So glücklich wie jetzte war ick jedenfalls noch nie in meen Leben.”
Ob er denn nicht Angst hätte, das dies alles hier endet, wenn er eine Arbeit hätte und keine Zeit mehr für Schaumbäder?
“Arbeitslos? Icke? Ick komm hier nach Feierabend hin. Na, und vorher ooch. Besseret Workout findeste nirgends. Außerdem, mal im Ernst. Ick gloob hier jibs überhaupt keenen Arbeitslosen mehr, dit hältste nich lange durch, ohne wat sinnvollet für die Jesellschaft zu tun.”
Auch in mein Herz zieht unvermittelt Freude über den nächsten Arbeitstag ein, um von meinen Erlebnissen hier mitten im Wedding zu berichten. Staunend lasse ich mich ins Schaumbad sinken und mir einen Virgin Martini reichen.
(Ein sehr wahrscheinliches) Interview mit Sabine Smentek von der SPD, Stadträtin für Jugend, Schule, Sport und Facility Management im Bezirk Mitte von Berlin – Teil 2 (Heiko Werning)
Brauseboys: Wie sind Ihre weiteren Pläne für den Wedding?
Smentek: Was wäre denn der Wedding ohne seine berühmten perspektivlosen Jugendbanden? Ohne die interessanten Polizeiberichte, in denen es wenigstens noch ein bisschen Action gibt? Ohne seine ganzen Alkoholiker, Drogendealer, Spielcasino-Geldwäscher und Spinner – die ganzen schönen Originale also? Da ginge doch die Identität eines ganzen Stadtteils verloren! Wedding schafft sich ab! In der Seestraße hat jetzt sogar ein veganes Restaurant aufgemacht, wo soll das denn alles noch hinführen? Höchste Zeit, beherzt gegenzusteuern.
Brauseboys: Indem Sie die Schulen im Wedding weiter schlechter machen, wie in diesem Schuljahr schon so erfolgreich geschehen?
Smentek: Das ist natürlich nur eine Maßnahme unter vielen. Sie haben ja vielleicht schon davon gehört, dass ich auch den Betreibern dieser Weddinger Kinderfarm gekündigt habe. Die machen da seit 33 Jahren ihren Kinderbauernhof und den großen Abenteuerspielplatz und so, das geht so natürlich auch nicht. Seit März haben wir schon alle Zahlungen eingestellt. Ärgerlicherweise schleppen die Nachbarn noch dauernd Futter für die Viecher an, aber wir kriegen die schon klein. Zur Not muss ich halt selbst mal dem Bolzenschussgerät da vorbeigehen.
Brauseboys: Ah, ja. Und gibt es noch weitere, äh, Maßnahmen?
Smentek: Natürlich stehe ich auch in engem Kontakt mit unserem Kulturstaatssekretär Tim Renner. Sie wissen ja, da gibt es im Wedding immer noch dieses Atze-Kinder- und Jugendtheater. Wir versuchen zwar schon seit Jahren, die mit Mini-Fördergeldern auszutrocknen, aber die sind zäh. Aber seien Sie sicher: Das kriegen wir aber auch noch hin.
Brauseboys: Und sie meinen, das alles hilft gegen steigende Mieten?
Smentek: Na klar, wenn hier keiner mehr hin will, können Sie weiter schön günstig hier wohnen. Und ich bin endlich diese überzähligen Schüler los und halte unseren Kindern, also denen in den richtigen Stadtteilen, die Moslems vom Hals. Klassische Win-Win-Situation. Nicht umsonst war ich schließlich eine erfolgreiche Unternehmensberaterin, bevor ich von der SPD zur Bezirksstadträtin gewählt wurde. Gucken Sie mal auf meine Homepage, da steht das heute noch: „Realitätsnahe Planung komplexer Restrukturierungsprojekte in Öffentlichen Verwaltungen sowie ergebnisorientierte Moderation und Steuerung von Veränderungsprozessen.“
Brauseboys: Wir sind beeindruckt. Oder wie wir bei uns sagen: Respekt, Alter!
Smentek: Sehen Sie – Facility Management, das bedeutet so viel mehr als Diplom-Hausmeister! Wir werden die Kinder schon schaukeln, haha! Und jetzt muss ich mich leider empfehlen, ich habe einer Freundin versprochen, ihre Tochter noch rasch in den Prenzlauer Berg zu fahren, zum Chinesisch-Yoga-Kurs. Auf Wiedersehen!
Hipster vor Glastonne (Robert Rescue)
Ein Hipster steht vor mir an den Altglastonnen in der Antwerpener Straße. Er hält eine durchsichtige Plastikflasche in der Hand und will sie irgendwo reintun, zögert aber. Sein Arm wandert von links nach rechts, dann wieder zurück und schließlich verschwindet die Flasche in der grünen Tonne. Doppelt doof, würde ich sagen.
Trunkenheit im Straßenverkehr (Volker Surmann)
Er fuhr schon in Schlangenlinien neben mir an die Kreuzung auf der Müllerstraße und belohnte sich, nachdem er die Haltelinie nur knapp verfehlt hatte, erst mal mit einen Schluck Bier aus der Pulle. Weihnachtsfeier, mutmaßte ich, sicher kommt er von einer Weihnachtsfeier.
Dann passierte das, was schon vielen alkoholisierten Verkehrsteilnehmern nachts an roten Ampeln passiert ist. Sein Kopf sackte langsam aufs Kinn, und er schlief ein. Ich war beeindruckt, brachte mich aber trotzdem in einen sicheren Abstand. Hinter mir fiel er scheppernd und jaulend mitsamt seinem Fahrrad um.
Weihnachten im Wedding (Paul Bokowski)
Den halben Vormittag lang mit dem Patenkind youtube-Videos anschauen, damit es beim Krippenspiel ein gepflegtes “Warum liegt hier überall Stroh rum?” raushaut: Unbezahlbar!
2015 – ein Jahr zum Davonlaufen. Kann man darüber einen unterhaltsamen Rückblick machen? Die Brauseboys sind sich sicher: „Wir schaffen das!“
‘Auf Nimmerwiedersehen 2015 – Das Jahr ist voll’ ist der 10. Jahresrückblick der Brauseboys. Am 15.12. war die Premiere, aktuell geht es noch täglich weiter vom 5.–9.1.2016. Reservierung und Vorverkauf über www.comedyclub.de – Weitere Informationen auch über www.brauseboys.de