Gerüchte machen die Leute im Brunnenviertel nervös. Man erzählt sich von rückwirkend erhobenen Mietforderungen, von Hausverkäufen der landeseigenen Vermieters degewo an private Wohungsunternehmen und von Mieterhöhungen durch vorzeitigen Ausstieg aus Förderprogrammen. Das große Berliner Thema Mieten in einem kleinen Kiez.
Sozialer Wohnungsbau ist ein vor allem ein Gesetz
Das Brunnenviertel wird dominiert von Häusern, die im sogenannten Sozialen Wohnungsbau errichtet wurden. Wenn Sozialer Wohnungsbau eine Stilrichtung wäre, dann gäbe es relativ wenig Probleme. Dem einen gefallen halt große Balkons und weite Höfe, und der andere stört sich am fehlenden Stuck. Aber es handelt sich beim Sozialen Wohnungsbau nicht um eine Stilfrage, sondern um ein Gesetz: das ist das II. Wohnungsbindungsgesetz. Und dieses Gesetz wurde so gestaltet, dass die Bauherren durch die jahrzehntelange Förderung am Ende mehr Geld vom Staat erhalten als der Bau der Häuser je gekostet hat – wie der streitbare Verdrängungskritiker Andrej Holm 2010 schrieb. Auch darüber könnten großzügig denkende Menschen hinwegsehen, wenn nicht das Problem hinzutreten würde, dass die Wohnungen am Ende der Förderzeiten in den freien Wohnungsmarkt wechseln würden. Da ist es dann schon erlaubt zu seufzen: Das schöne Fördergeld. Bei den in den 80er Jahren errichteten Wohnungen des Brunnenviertels geschieht nun genau dies: Aus bislang marktverschonten Wohnungen werden Marktwohnungen.
Rückwirkende Mieterhöhungen
Eine Hintergrundinformation: Was nur Mieter von Sozialwohnungen wissen, ist, dass Sozialmietverträge versteckte Staffelmietverträge sind. Jedes Jahr steigen die Mieten „gemäß Förderung“, wie die Vermieter dazu sagen. Wer das schon wusste, kann ab hier Neues erfahren: Mieter im Brunnenviertel erhalten derzeit rückwirkende Mieterhöhungen. 12 Monate und mehr rückwirkend werden zur Nachzahlung fällig. Da wird eine im doppelten Wortsinn überraschende Summe fällig. Und doch ist Forderung wohl rechtlich einwandfrei. Der bisherige Eigentümer dieser Wohnungen, das landeseigene Wohnungsunternehmen degewo, hatte trotz der jährlichen Mieterhöhungen den nach II. Wohungbindungsgesetz möglichen Erhöhungsspielraum nicht ausgenutzt. Nach dem Verkauf durch die degewo verlangen die neuen privaten Eigentümer nun die vollen Mietsteigerungen. Diese rückwirkenden Mieterhöhungen sind nach dem Gesetz möglich, auch wenn man sich das als Laie nicht vorstellen kann. Wer nicht zahlen möchte, dem bleibt nur die außerordentliche Kündigung – mit Frist von 3 Monaten.
Tricksereien bei der degewo?
Es ist nicht leicht, die komplexen Zusammenhänge einfach zu erklären. Hier ein zweiter Versuch mit einer anderen Beobachtung im Brunnenviertel. Es wird von unfairen Mieterhöhungen durch vorzeitige Rückzahlung von Fördermitteln aus dem II. Wohnbindungsgesetz berichtet. Ziel sei es, das Mietenbündnis des Landes Berlin zu umgehen, obwohl die degewo diesem Bündnis beigetreten ist. Das Mietenbündnis hätte eine Begrenzung der Bestandsmieten (nicht Neuvermietung!) auf 5,70 Euro pro Quadratmeter verlangt. Indem die degewo die Fördermittel vorzeitig zurückzahlt, verlieren die betroffenen Wohnungen den Status Sozialwohnung. Damit handelt es sich um Wohnungen des freien Wohnungsmarktes. Sie gehören nicht mehr zum Mietenbündnis. Bemerkenswert dabei ist, dass die auf diese Weise ab dem 1. April 2015 „freien“ Wohnungen für die Bestandsmieter teurer werden als der Mietspiegel sie bewertet.
Alternativen?
Die degewo veröffentlichte eine Pressemitteilung, in der die schlüssellose Tür gefeiert wird. Ob das die Leute derzeit interessiert? Andere reden dagegen durchaus über Mieten. Zum Beispiel „Dialog extrem“ am 15. April. Der Ansatz von „Dialog Extrem“ ist gut, wird doch so das Thema Mieten thematisiert, auch wenn man Sprüche des Experten Dr. Andre Schlüter aushalten muss: „Miete ist Enteignung – Berlin braucht mehr Eigentum”. Langfristig gesehen, wird reden allein wahrscheinlich nicht reichen. Deshalb hat sich das Mieten-Volksentscheid gegründet. Ziel ist die Gründung eines Wohnraumförderfonds und die Umwandlung der landeseigenen Wohnungsunternehmen in Anstalten öffentlichen Rechts. Ob damit Probleme gelöst werden, ist ungewiss. Aber es kommt Bewegung in das Thema.
PS: Dieser Artikel beschäftigt sich mit der degewo. Der Grund ist einfach: sie ist im Brunnenviertel der mit Abstand größte Vermieter. Um einen einseitige Sicht zu vermeiden, hat der Autor vor Veröffentlichung die Presseabteilung der degewo um ihre Sicht gebeten – und keine Antwort erhalten.
Text und Fotos: Andrei Schnell
Hallo, ich wohne im Brunnenviertel im Wedding. Ich habe die Degewo angeschrieben. Sie haben zurück geschrieben, dass sie gar nix verkauft haben. Daher meine Frage, woher habt ihr eure Infos?
Hallo Laura,
ich habe mit Menschen gesprochen, die Post von neuen Eigentümern haben. Hat die degewo in der Antwort an Dich geschrieben, wie es zu den neuen Eigentümern gekommen ist?
Andrei
Danke für die Aufklärung – macht mir Angst.……
Das Brunnenviertel liegt im Ortsteil Gesundbrunnen des Bezirk Mitte und NICHT im Wedding.
Ganz formal ist das natürlich richtig. Verwaltungsreformen ändern aber am Lebensgefühl der Brunnenviertler nichts. Sie sind Weddinger, schon immer.