Autonome Stadtgespenster, Böller im Frühling und der Charme der Stadtromeos. Ein Abenteuerbericht von einer Laufeinheit an der Panke.
Aufgerafft zum Joggen gehen. Ich bin ganz neu im Wedding. Eingebürgert am 1. März. Da musste ich mir eine neue Laufstecke suchen. Sport-BH anziehen. Vorher bin ich auch gelaufen. Aber nicht im Wedding, sondern in Lankwitz. Lank…wo? Ja, genau. Hose anziehen. Mein neuer Mitbewohner hat mir die Strecke an der Panke empfohlen. Das Wohnhaus liegt direkt an dem kleinen Fluss. Altes T‑Shirt rauskramen. Martin-Opitz-Straße, Gesundbrunnen. Schuhe an, Musik an, los. Von der Martin-Opitz auf die Uferstraße, links, vorbei an den Uferhallen, zur Badstraße. Warten an der Ampel. Buzzcocks im Ohr: “Ever fallen in love with someone you shouldn’t have fallen in love with.” Weiter an der Panke, über unebene Steine an Werkstätten vorbei, Stein, Holz, Keramik, Büro. Vorne stehen zwei Männer in Arbeitsklamotten und trinken Kaffee. Zwei Jungs stehen an der rechten Seite. Lehnen am Geländer, schauen auf die Panke. Es riecht nach Spaßzigaretten. Vorbei an grünen Eisentüren mit weisen Zahlen, am Gras und am Kaffee zur Osloer Straße. Fahrbahn-Straßenbahn-Fahrbahn. Das hält ganz schön auf. Und es nervt. Jeder, der diese Ausgabe von “Gedanken einer untrainierten Läuferin” liest, fühle sich frei, andere Routen vorzuschlagen…
Och, Grün. Der Weg bis zu Soldiner Straße an der Panke ist mit ebenen Pflastersteinen bedeckt. Männer mit Kinderwagen, Schüler mit Rucksäcken. “Ey, du bist nicht geil”, ruft mir einer im Vorbeilaufen nach. Auch gut. Über die Soldiner Straße. Keine Pflastersteine mehr, dafür Matsch, Scherben, ein Einkaufswagen. “Not very pretty, but we sure know how to run free” (Lourde-Team). Ein Böller explodiert neben mir im Gebüsch. Ich springe vor Schreck und fasse mir ans Herz. Gucke mich um. Weit und breit niemand. Wechsel auf die andere Seite der Panke kurz vorm Franzosenbecken, nur um am Eschengraben wieder die Seite zu wechseln. Slalom im Wedding. Kiezübergreifend von Gesundbrunnen in den Soldiner Kiez. Immer am Wasser entlang. Hunde gehen mit Besitzern spazieren. Ein älteres Pärchen. Der Mann guckt mich an und sagt irgendetwas zu mir. Ich höre ihn nicht durch die Musik. Wäre er mal so laut gewesen wie der jugendliche Charmeur von vorhin… Beim Zusammenfluss von Panke, Kühnemannstraße und Nordbahnstraße, kurz vor den S‑Bahn-Gleisen und dem Bürgerpark wird umgedreht. Mehr schaffe ich nicht. Joggen dient eher dem verringerten Schuldgefühl beim Döner danach. Rückweg am anderen Ufer.
Und die ganze Erlebnisreise noch einmal. Hippe Hallen, verstopfte Straßen, ruhige Panke, Dreck unter den Füßen. Weddinghimmel über dem Kopf. Von hinten aufgerollt. Kurz vor meiner Wohnung, an der Ecke Gropiusstraße/Thurneysserstraße wird es dann erstmals echt gefährlich. Wilder Wedding. Autonome Stadtgespenster lauern auf Mauern. Ich sprinte an meinem Späti-Mann vorbei, der gerade vor dem Laden auf und ab geht. Zuhause.
Autor/Foto: Melanie Berger
“Jeder, der diese Ausgabe von “Gedanken einer untrainierten Läuferin” liest, fühle sich frei, andere Routen vorzuschlagen…”
In die andere Richtung die Panke lang, bis zur Kolberger, mich da abholen, dann in den Humboldthain.