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Autoanteil nur noch 10,4 Prozent:
Wer Geld hat, fährt Rad

22. Juli 2025
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Ergebnisse der Verkehrsbefragung für Mitte

Je höher das Einkommen, desto häufiger nutzt man in Mitte das Fahrrad zur Fortbewegung. Das ist eines der überraschenden Ergebnisse der Studie "Mobilität in Städten" der TU Dresden. Die hatte im Jahr 2023 zum dritten Mal nach 2013 und 2018 die Bewohnerinnen und Bewohner von mehr als 100 Städten in Deutschland zu ihrem Verkehrsverhalten befragt, davon etwa 40.000 in Berlin und 4.200 im Bezirk Mitte. Die Ergebnisse sind inzwischen veröffentlicht.

Die Forschenden interessierte dabei vor allem die Frage, welche Verkehrsmittel die Befragten benutzen und wie hoch in etwa deren Anteil an den Verkehrswegen ist. Die meisten Wege, so das Ergebnis, legt man in Mitte zu Fuß zurück, wobei sich der Anteil seit der letzten Befragung fünf Jahre zuvor von 33,6 % auf 36,2 % zwar nicht dramatisch, aber dennoch deutlich erhöht hat. Insbesondere zum Einkaufen, für die Freizeit bzw. die Inanspruchnahme von Dienstleistungen wird fast die Hälfte der Wege zu Fuß zurückgelegt, der Fußweg zu anderen Verkehrsmitteln wurde hierbei nicht mitgezählt. Mit dem Auto zum Einkaufen fahren dagegen nur noch 11 % der Mitte-Bewohner (statt 13,4 % fünf Jahre zuvor). Wir sollten uns also langsam mal überlegen, was wir mit den Parkplätzen und Parkhäusern an unseren Shoppingcentern und Supermärkten in Zukunft eigentlich anfangen wollen.

Auf dem zweiten Platz der Verkehrswege rangiert der Öffentliche Personennahverkehr (ÖPNV). Dessen Anteil von 31 % hat sich in den vergangenen fünf Jahren kaum verändert, er liegt in Mitte nach wie vor deutlich über dem Durchschnitt von Berlin (26,2 %), was angesichts des dichten ÖPNV-Netzes in der inneren Stadt keinen verwundern sollte. Im Zeitraum der Befragung stieg die Ausstattung der Bevölkerung mit Dauerfahrkarten übrigens erheblich, im zweiten Halbjahr 2023 nutzte schon fast jeder Dritte das damals neu eingeführte Deutschlandticket, gleichzeitig ging die Nutzung von Fahrkarten zum Abstempeln um etwa ein Drittel zurück.

Anders als in der Gesamtstadt Berlin folgt in Mitte in der Rangliste jetzt schon das Fahrrad. Für mehr als jeden fünften Verkehrsweg (22,4 %) wird es in unserem Bezirk genutzt, in der Gesamtstadt dagegen nur durchschnittlich zu 17,9 %. In ganz Berlin nutzt man stattdessen für 21,8 % der Wege das Auto – in Mitte dagegen nur für 10,4 %. Wie schon zuvor berichtet: Nur jeder dritte Haushalt im Hauptstadtbezirk verfügt überhaupt über einen PKW. Die Nutzung des Fahrrads hat sich im Vergleich zu 2018 jedoch nur wenig erhöht (um 0,4 %). Die meisten neuen Radstreifen und Fahrradstraßen im Bezirk sind freilich erst im Jahr 2023 oder später entstanden und können noch keinen großen Einfluss gehabt haben. Die Studie liefert dennoch gewichtige Argumente für den Ausbau des Radwegenetzes.

Erhoben wurden nämlich auch Daten zum Einkommen der Befragten, was es ermöglichte, die Ergebnisse nach ökonomischem Status zu differenzieren. Das Ergebnis dürfte einige überraschen: Denn obwohl das Fahrrad ja ein extrem kostengünstiges Fortbewegungsmittel ist, nutzt es das Fünftel der Bevölkerung mit den niedrigen Einkommen vergleichsweise wenig. Nur 15,9 % der Wege werden in dieser Gruppe im Bezirk Mitte mit dem Fahrrad zurückgelegt. Fast doppelt so hoch aber ist der Anteil beim „oberen“ Fünftel der Befragten mit dem höchsten zur Verfügung stehenden Einkommen: Hier liegt er bei 29,8 % und damit weit über dem des motorisierten Individualverkehrs. Fast jeder dritte Weg wird also vom wirtschaftlich stärksten Teil der Bevölkerung in Mitte per Rad zurückgelegt, mit dem Auto aber nur jeder zehnte. Der Einzelhandel im Bezirk wäre somit gut beraten, sich mehr um Abstellplätze für Fahrräder und Lastenräder zu kümmern anstatt um Stellplätze für PKW.

Ein schickes Lastenrad auf dem Hof verleiht im Hauptstadtbezirk offenbar inzwischen mehr soziales Prestige als eine Luxuskarosse aus Stuttgart oder München in der Tiefgarage. Das sollte den für die Verkehrspolitik Verantwortlichen im Senat zu denken geben. Denn die Wirtschaftskraft der Stadt (und damit auch ihr Steueraufkommen) hängt ja maßgeblich von der Attraktivität Berlins für junge, hoch qualifizierte Fachkräfte aus allen möglichen Weltregionen ab, wie sie das Zentrum der Stadt bevölkern. Und offensichtlich liegen diesen urbanen Eliten geschützte Radstreifen und Fahrradstraßen sehr viel mehr am Herzen als weitere Schnellstraßen und Stadtautobahnen.

Ausführliches Datenmaterial zur Studie findet sich auf der Website der Senatsverwaltung für Mobilität, Verkehr, Klimaschutz und Umwelt

Autor: Christof Schaffelder

Dieser Artikel wurde zuerst in der Zeitschrift Ecke Müllerstraße veröffentlicht.

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7 Comments Schreibe einen Kommentar

  1. Kalte Jahreszeit mit eingeschlossen, in der Radfahrer kaum zu sehen sind? Keine Erwähnung finden motorisierte Zweiradfahrer. „…Mehr Prestige als eine Luxuskarosse aus…“ Das Auto als Prestigeobjekt, eine solche Perspektive findet sich unter Deutschen seit Jahrzehnten nicht mehr.

    • Dass "unter Deutschen" Autos seit "Jahrzehnten" keine Prestigeobjekte mehr seien, halte ich für eine gewagt These, um es vorsichtig auszudrücken. In weiten Teilen Deutschlands sind Autos bis heute Prestigeobjekte. Lediglich in der oberen Mittelklasse in den urbanen Stadtzentren scheint sich das zu wandeln. Nicht mehr und nicht weniger sagt diese Studie aus.

  2. Wo lesen sie das raus? Die Studie hat lediglich den ökonomischen Status untersucht und nicht die Intelligenz der Teilnehmer.
    Die Studie wird übrigens alle 5 Jahre deutschlandweit durchgeführt und schließt eine große Anzahl von Teilnehmer ein. Die Studie stellt also erstmal einen Ist-Zustand dar. Es geht dann auch nur bedingt um Glauben sondern darum, ob es gute Gründe gibt die Validität der Studie anzuzweifeln (auf Basis der Studienplanung, Teilnehmerzahl, statistischer Auswertung, sonstiger Biases). Das sehe ich persönlich nicht. Es gibt eine tolle Seite der Studie, da kann man den ganzen Aufbau nachvollziehen und sich alle Präsentationen der Abschlussveranstaltung (und weiterer) anschauen.
    Die Interpretation der Ergebnisse und was die politischen Konsequenzen daraus sein sollten, ist natürlich eine komplett andere Frage, die sich nicht automatisch aus dieser Studie ergibt und wo es dann vielmehr um Meinung und persönliche Prioritäten geht.
    Für mich persönlich war einer der relevantesten Punkte, dass seit der Pandemie vor allem die Wege zu Fuß angestiegen sind. Vermutlich weil sich der Alltag der Menschen durch Home Office verändert hat. Ich finde aber, dass Fußverkehr in den Debatten über Mobilität oft zu kurz kommt. es ist zum Beispiel nicht fair, dass sich Fußgänger ihre Wege immer mit Radfahrern, Rollerfahrern, etc teilen sollen.

  3. Na, Danke, für diese Studie. Auf deutsch gesagt, wer geistiger Tiefflieger ist, fährt Auto. Tut mir leid, dieser Studie glaube ich nicht.
    Ich habe mein Auto vor zwei Jahren abgegeben, weil ich es nicht brauche und eben auch eine BVG-Monatskarte habe.
    Mann/Frau, bin ich intelligent.

    • Naja, von Intelligenz steht da ja erst mal nichts. Ich sehe jedenfalls keinen Grund, warum die Studie nicht stimmen sollte. Deckt sich auch mit meiner Beobachtung. Das Auto hat als Statussymbol bei Besserverdienern ausgedient. Das heißt nicht, dass die meisten Besserverdiener trotzdem eines haben: für den Urlaub, Wochenende an See, etc. Im Alltag wird aber das Rad benutzt.

      • Guter Einwand!
        Es geht nicht um Intelligenz, denn hier werden - ganz im Stil der neuen BigData-Analysen - nur Korrelationen und keine Kausalitäten erfasst, sondern um praktische Alltagslösungen oder Lebensgewohnheiten, die auch gesund sind, was wieder um auch nichts mit IQ & Intelligenz, aber
        mit Grips zu tun hat
        Besser wäre es, die Studie hätte auch etwas zum Autobesitz und damit zusammenhängend dem
        Radfahren im Alltag erhoben: das wäre dann noch überzeugender rübergekommen.

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