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Seltsames Spiel mit dem Bezirk Mitte:
Verkehrssenatorin macht Kiezblocks zum Politikum

24. Juni 2025
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Es dauert noch gut ein Jahr bis zur Wahl am 20. September 2026. Aber es scheint, als habe der Vorwahlkampf schon begonnen. Denn anders lässt sich kaum erklären, warum CDU-Senatorin Ute Bonde am 15. Mai den Bezirk Mitte aufforderte, das aus Senatsmitteln finanzierte Modellprojekt Fußverkehr Kiezblocks in Mitte sofort zu beenden und alle Planungen einzustellen. Beim Koalitionspartner SPD stieß dies auf scharfe Kritik. Und in den Medien auf große Resonanz; selbst der Spiegel berichtete darüber.

Der Bellermanngarten ist Teil eines Kiezblocks

Im Senat koaliert die SPD mit der CDU, in der BVV Mitte bildet die SPD zusammen mit den Grünen eine Zählgemeinschaft. In der zugrunde liegenden Vereinbarung des Modellprojekts von 2021 ist die Einrichtung von Kiezblocks fest verabredet. "Priorität sollen einfache Maßnahmen zur Reduktion des Durchgangsverkehrs (durch Diagonalsperren, Modalfilter und/oder Einbahnstraßen) schnell umgesetzt werden", so heißt es hier. Auch die Fraktion der Linken begrüßt die Kiezblocks, die CDU sieht sie kritisch, die AfD lehnt sie ab. Inzwischen sind konkrete Kiezblocks in den Gebieten rund um die Bellermannstraße im Ortsteil Gesundbrunnen und rund um die Brüsseler und die Sprengelstraße im Ortsteil Wedding in der Umsetzung. Im Weddinger Antonkiez steht die Umsetzung unmittelbar bevor. Und bis zum kommenden Frühjahr sollten eigentlich ein Dutzend weitere dazukommen.

Dazu werden derzeit insgesamt 24 Kieze im Bezirk untersucht, deren Bewohnerinnen und Bewohner zunächst online und später durch öffentliche Rundgänge eingebunden wurden. Die Untersuchungen waren im vergangenen Jahr europaweit ausgeschrieben worden. Fünf Bewerbungen waren eingegangen, mit einem Büro wurde ein Vertrag abgeschlossen. So hatte die Arbeit längst begonnen, als die Senatorin plötzlich das Ende aller Planungen anordnete, Die Finanzmittel waren also schon gebunden, es wäre töricht, die Ergebnisse nicht ausarbeiten zu lassen. Zu den 24 öffentlichen Rundgängen in den unterschiedlichen Kiezen kamen jeweils zwischen ca. 20 und über 70 Interessierte.

Einsatzfahrzeug in der Brüsseler Straße

Kritik an den Kiezblocks kommt vor allem aus Reihen der Polizei und der Feuerwehr. Zwar können die Poller, die die Fahrbahn sperren, mit Hilfe eines geeigneten Schlüssels im Notfall umgelegt und anschließend überfahren werden. Das kostet aber Zeit. Dieser Zeitaufwand kann allerdings mit entsprechender Übung stark vermindert werden, zudem ermöglichen Durchfahrtssperren unter Umständen sogar schnellere Rettungswege, wenn nämlich auf den Hauptverkehrsstraßen auch unter Blaulichteinsatz kein Durchkommen mehr ist, die Seitenstraßen in den Kiezen aber aufgrund der Kiezblocks für Einsatzfahrzeuge frei bleiben. Die Sperren lassen sich zudem leicht wieder entfernen, wenn sich in der Praxis herausstellt, dass sie nicht die gewünschte Wirkung entfalten.

Für die Einrichtung der Sperren im Netz der Nebenstraßen sind eigentlich die Bezirke zuständig. Die Verkehtsverwaltung argumentiert jetzt, dass indirekt auch die Hauptverkehrsstraßen in ihrem Zuständigkeitsbereich betroffen sind, weil diese wegend er Kiezblocks zu Stoßzeiten jetzt zusätzlich den Durchgangsverkehr durch die Kieze aufnehmen müssten.

Die Müllerstraße ist eine Hauptverkehrsstraße

Die Verwaltungsreform, die Berlin noch vor der Wahl beschließen will, soll eigentlich den ständigen Streit zwischen Senat und Bezirken über Zuständigkeiten beseitigen. Weil für diese Reform die Landesverfassung geändert werden müsste, benötigt sie freilich auch die Zustimmung der Grünen oder der Linken. Deshalb fragen sich Beobachter, ob sich die umstrittene Anweisung der Verkehrssenatorin nicht eigentlich gegen den christdemokratischen Regierenden Bürgermeister Kai Wegner wendet, der diese Reform zu seinem persönlichen Anliegen gemacht hat. Doch möglicherweise ruderte die Verkehrssenatorin nun wieder zurück: Zuletzt ließ sie verlauten, sie sei derzeit mit Mittes Verkehrsstaatsrat Christopher Schriner (Grüne) im Gespräch, um "zu einer sinnvollen Lösung zu kommen für die Bürgerinnen und Bürger in Mitte". Zudem habe sie "keine Lust" auf rechtliche Auseinandersetzungen. Die würden drohen, wenn bereits geschlossene Verträge betroffen würden.

Autor: Christof Schaffelder

Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift "Ecke Müllerstraße"

Trotz fehlender Unterstützung durch den Berliner Senat hat der Bezirk Mitte im Frühjahr 2025 zahlreiche Kiezspaziergänge organisiert, um gemeinsam mit Anwohnenden über mögliche Verkehrsberuhigungen zu sprechen. Besonders große Resonanz gab es etwa im Gebiet um die Kameruner Straße.

Bis zum 14. Juli 2025 läuft eine Online-Beteiligung auf kiezblocks-mitte.de, bei der Bürger*innen ihre Meinung zu den geplanten Vorhaben abgeben können. Dort informiert der Bezirk auch über weitere Schritte und Termine.

Gastautor

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10 Comments Schreibe einen Kommentar

  1. Es braucht endlich ein komplettes Umdenken. Und da müssen auch alle mitmachen.
    Generelles Tempolimit von 30km/h Innerorts. Damit können wir schon mal so etwa 10 Mio Verkehrszeichen bundesweit einsparen. Die vor 40 Jahren guten Gründe für besondere Beschränkungen in Tempo 30 Zonen sind heute entfallen (keine Fahrbahnmarkierung, keine Vorfahrtsstraßen, keine Zebrastreifen in 30er-Zonen usw) Das war damals sinnvoll, damit Autofahrer die Unterschiede sofort erkennen konnten. Heute gilt das nicht mehr, da jeder Autofahrer mit Tempo 30 zu rechnen hat und alle sind daran gewöhnt.
    Es führt doch zu absurden Gegebenheit, wo „Spielstraßen“ auf „Fahrradstraßen“ und Hauptstraßen münden und niemand weiß mehr, wie die Verkehrsregeln sind. Auch Fußgänger und Radfahrer nicht. Kann man gut an der Triftstraße/Ecke Tegeler Straße beobachten, wo eigentlich nur noch Wilder Westen herrscht.
    Wir drehen das Ding einfach um. Es gilt Tempo 30 innerorts, dafür dürfen Kommunen „Tempo 50 Zonen“ einrichten. Oder man macht es wie außerorts auch, wenn bestimmte bauliche Voraussetzungen erfüllt sind, darf halt 50 gefahren werden. zB Müllerstraße mit baulicher Trennung und mehreren Fahrstreifen pro Fahrrichtung.

  2. Kiezblocks sind schon die lächerlichste und minimalste Massnahme für mehr Gesundheit und Effizienz im öffentlichen Raum wenn man es mit all den Massnahmen in Paris und der Niederlande und Barcelona und Oslo usw. vergleicht, wo alle Ergebnisse eindeutig sind, dass jede Massnahme für weniger Individualvekehr sofort nur Vorteile entfaltet. Und trotzdem ist hier jeder Poller ein Politikum. Wir brauchen endlich wie in den genannten Städten eine Führungsfigur dir gegen den Widerstand von Sadisten ankämpft die weiter Lärm, Gestank, Gefahr und Stress für alle wollen und sich wenn das alles erstmal weg ist sich nicht mehr daran erinnern wollen dass sie mal dagegen waren.

    • Hi Kai
      also wer auf Lärm Gestank Gefahr Stress steht und das auch für andere will muss nicht unbedingt- wenn überhaupt – ein Sadist sein (die Definition für Sadist ist ziemlich komplex).
      Aber möglicherweise sind das Menschen die einfach keine Veränderung wollen oder einfach die Nase gestrichen voll haben von grüner Ideologie… das nennt sich dann wohl Demokratie, das Leben ist eben nicht einfach nur schwarz oder weiß.
      Der Ruf nach einer Führungsfigur die gegen diesen Widerstand an gehen sollte …. na danach sollte lieber nicht gerufen werden…. hatten wir schon mal und ist hier und da auf der Welt schon passiert- ist wohl immer in die Hose gegangen
      Und ob man die og. Städte wirklich als Vorbild für solche Massnahmen nehmen kann… na da bin ich mir auch nicht so sicher, Franzosen Holländer Spanier und Schweden haben einfach eine andere Mentalität
      in diesem Sinne

  3. Zusatz:

    Ich hoffe ja, dass an der Ecke Nordufer/ Samoastr ein zweiter Modalfilter errichtet wird. Das habe ich auch dem tollen Zeam um herrn Schriner bereits höflich vorgeschlagen
    Die Ecke ist für Fußgehende schlecht einsehbar, da bis auf die Ecke zugeparkt. Zudem brettern zu viele Autofahrende in diese 90-Grad-Kurve. Der Durchgangsverkehr hier ist, noch dazu über das Kopfsteinpflaster bis zur Sprengelstr, unerträglich. Der Busverkehr rollt ja zum Glück wieder über die Tegeler Str, da sollte auch der MIV durchgeführt werden, um den Kiez zu durchfahren. Durch die aktuelle Baustelle dort ist es herrlich ruhig.

  4. Guten Morgen.
    Wo genau rund um Sprengelstr. ist denn ein Kiezblock in der Umsetzung?
    Ich kenne nur den recht neuen Modalfilter in Lynarstraße - der übrigens diese Straße so unfassbar sicherer und ruhiger gemacht hat! Daumen hoch erneut hierfür!

  5. Ein bisschen irritierend finde ich, dass Polizei und Feuerwehr nicht von Anfang an im Boot sind bei der ganzen Kiezblockfrage. Gut, manchmal sind solche Institutionen unnötig blockierend, aber mir fällt es schwer zu glauben, dass es hier so wäre. Es gäbe ihnen ja eine Gestaltungsmöglichkeit bei einer Sache, die ohnehin stattfindet.

    • Morjen Felix
      als das Thema hier behandelt wurde, hatte ich mal bei einem Kommentar darauf hin gewiesen das es zu Problemen führen könnte . Irgendwie meine ich irgendwo gelesen zu haben das die FW / Polizei bedenken angemeldet hat - finde es aber nicht mehr. Nun ist bei einer Verfolgungsfahrt der Polizei passiert das die Fahrt an einem Poller geendet hat und der Täter entkommen konnte, im anderen Fall hat es in Neukölln gebrannt und die FW konnte wegen der Poller nicht schnell genug weiter. Es gibt nämlich 3 Arten von Pollern: denn in Berlin gibt es Poller, die fest in den Boden einbetoniert sind, auch gibt es umklappbare Poller und solche, die sich bei Bedarf in den Boden versenken lassen.
      Verfügt der Poller über die Dreikantschlüssel-Funktion, bedeutet das Öffnen oder das Umklappen eines Pollers zirka eine Minute Verzug beim Aurücken der Feuerwehr
      Grundsätzlich stellt jede Änderung des Verkehrsflusses durch Diagonalsperren, Poller, Einbauten in die Verkehrsfläche oder Verknappung der Bewegungsflächen für Fahrzeuge eine mögliche Behinderung für die Einsatzmittel dar“, erklärt Tischler weiter. Somit können diese Verzögerungen beim Eintreffen sowohl den Rettungsdienst als auch die Brandbekämpfung und technische Hilfeleistung beeinträchtigen.

      Im Namen der Berliner Feuerwehr betont Tischler, dass die Feuerwehr eine frühzeitige Beteiligung an der Planung von Verkehrsberuhigungsmaßnahmen fordert.
      Quelle Berliner Kurier

      Wie auch immer... ich hatte immer mehr oder weniger angedeutet das diese ganze pollerei zu Problemen führen würde...

      Sturmfreie Woche noch

      • Auch hier muss wie überall gelernt werden: Was funktioniert und was nicht?
        Auch die Zusammenarbeit mit Polizei und Feuerwehr bei dieser Art von Stadtplanung ist etwas dass neu ist und sich erstmal etablieren muss.
        Wir stehen ja noch ganz am Anfang bei der Verkehrswende.
        Klar dass es hier manchmal hakelt und nicht alle zufrieden sind.
        Die Reduzierung der Menge an Kfz in der Stadt ist der größte Hebel den wir je hatten, damit Rettungsfahrzeuge schneller ans Ziel kommen. Dafür benötigen wir aber die Verkehrswende und dazu gehören auch Poller. Wichtig ist halt ein konstruktiver und differenzierter Umgang mit dem Thema. Kein „WEG MIT DEN POLLERN, ALLES SCHEIẞE!“ und mehr „Hey vielleicht macht das so und so mehr Sinn?“.

    • Hallo,
      Anfang Februar hat eine Beteiligung der Träger öffentlicher Belange stattgefunden, in der das Projekt vorgestellt und Rückmeldung gesammelt wurde. Zu den Tägern öffentlicher Belange gehören u.a. Polizei, Feuerwehr, BSR etc.
      Zudem war beispielsweise beim Kiezspaziergang im Malplaquetkiez, in dem die Polizeidirektion 1 ansässig ist, ein Polizist anwesend und hat Feedback gegeben. Wenn die Kiezblockentwürfe konkreter werden, wird es zudem für die Genehmigung einen Austausch mit Polizei etc. zum Konzept geben.

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