Neun Meter unter der Bernauer Straße ist es dunkel und kalt und staubig. Doch Hoffnung treibt die Menschen immer weiter voran durch die Finsternis in die andere Welt, nach West-Berlin. Vor 50 Jahren wurde der Fluchttunnel unter der Berliner Mauer nur vom Schein der Taschenlampen erhellt. Im November formt Jonathan Groth an zehn Abenden einen Tunnel aus Licht in das Gewölbe der ehemaligen Oswald-Brauerei. Das Theater in den Unterwelten nimmt zum 25. Jahrestag des Mauerfalls das Stück „Im Tunnel“ von Kai-Uwe Kohlschmidt wieder auf. Die Premiere findet am 1. November um 20 Uhr im Theater in den Unterwelten, Bernauer Straße 143 statt. Wer sich das Stück anschauen möchte, sollte sich bereits jetzt eine der wenigen Karten reservieren.
Um die Sicht müssen sich die Zuschauer des Theaterstücks trotz des ungewöhnlichen Schauplatzes unter der Stadt nicht sorgen, wohl aber um die Kälte. Da es in den alten Gewölben, in denen die Aufführung stattfindet, recht kalt ist, wird dringend zu einer warmen Jacke geraten. Noch ein Detail ist zu beachten: das Theater ist nicht barrierefrei. Dafür kann die Geschichte an einem authentischen Ort gezeigt werden, denn die Bernauer Straße war zwischen 1961 und 1973 ein Brennpunkt der Tunnelfluchten zur Zeit des Kalten Krieges.
Die Geschichte greift genau diesen historischen Hintergrund auf und erweitert ihn in die heutige Zeit: Die Asylrichterin Anna (Katharina Groth) wird mit dem geheimnisvollen Fall der Syrierin Naida (Momo Kohlschmidt) konfrontiert. Während der Befragung begegnet die Richterin plötzlich ihrer eigenen Geschichte; als Baby hat sie in den 60er Jahren ihre Eltern in einem Berliner Fluchttunnel verloren. Das sechsköpfige Ensemble um Regisseurin Momo Kohlschmidt entwickelt die Geschichten den beiden Frauen und des verratenen Fluchttunnels in einem beängstigend realistischen Umfeld und in beklemmender Enge. Wie im Traum mischen sich die Charaktere, die Figuren wechseln die Perspektive und kommen zurück zu sich selbst, wobei für beide immer zwei Fragen im Raum stehen: Wer bin ich? Wo bin ich?
Das Stück „Im Tunnel setzt die Geschichte der Tunnelflüchtlinge mit aktuellen Flüchtlingsfragen in Bezug. Reale Nachkriegsgeschichte und Fiktion treffen aufeinander. Das Stück verwendet Puppenspielelemente und Zeitzeugenaufnahmen, Schauspiel und Videoprojektionen und nimmt die Zuschauer mit auf eine eindrucksvolle Reise in die Zeit der deutschen Teilung. „Die Geschichte von Menschen, die unglaubliche Gefahren auf sich nehmen, die Flucht aus ihrer Heimat antreten, um in Freiheit und Demokratie zu leben“, beschreibt der Verein Berliner Unterwelten das Theaterstück. Indem die Geschichte der Tunnelfluchten aus der DDR mit dem zeitgenössischen Schicksal der syrischen Frau verwebt wird, regt das Stück dazu an, sich über die Geschichte der DDR-Flüchtlinge hinaus mit aktuellen Fragen von Flucht und Vertreibung auseinanderzusetzen.
Der Verein Berliner Unterwelten e.V., Gesellschaft zur Erforschung und Dokumentation unterirdischer Bauten mit Sitz am Bahnhof Gesundbrunnen hatte die Idee zu „Im Tunnel“. Nach der Aufarbeitung der Fluchtgeschichten an der Mauer mit einem Audioweg „Flucht Tunnel“ durch Kai-Uwe Kohlschmidt und dem gleichnamigen Hörbuch hatte der Verein den Autor gebeten, ein Theaterstück zum gleichen Thema zu erarbeiten. Das Stück hatte im Mai 2013 Premiere. Es feierte eine erfolgreiche Uraufführung und erfreute sich komplett ausverkaufter Vorstellungen. Das bevorstehende Mauerfall-Jubiläum ist nun der Grund, das Stück im Untergrund wieder aufzuführen.
www.theater-in-den-unterwelten.de
Text: Dominique Hensel, Foto: Theater in den Unterwelten