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Fahrradstraße mit Sinn:
Zwischen Kleingarten und Kaserne

21. Dezember 2024
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Meinung Ein winterlicher Spätnachmittag, kurz vor Einbruch der Dunkelheit. Ein Besuch im Charles-Corcelle-Ring, einem ruhigen Teil des Wedding, zwischen Kaserne und Kleingarten. Hier am Rand des Volksparks Rehberge erwartet man alles, nur keinen dichten Fahrradverkehr. Wohin sollten die ganzen Radfahrerinnen und Radfahrer auch fahren?

Ausgerechnet hier plant das Bezirksamt, eine Fahrradstraße einzurichten. Als ob wir sonst keine Probleme hätten, wie es scheint. Das bedeutet große Veränderungen für alle, die dort kostenlos parken durften: Damit die Radfahrenden mit genug Abstand überholt und nicht vom Gegenverkehr eingeklemmt werden, müssen von den 300 Parkplätzen am Straßenrand etwa die Hälfte weichen.

Zur großen Überraschung reißt die Zahl der Fahrräder an diesem dunklen Nachmittag nicht ab. Pendler mit leuchtenden Westen, Freizeitsportler auf Mountainbikes und sogar Senioren mit Fahrradanhänger, die aus ihrem Kleingarten kommen: Der Charles-Corcelle-Ring wird vom Radverkehr sogar im Winter gut genutzt. Warum ist das so?

Vielleicht, weil die Alternativen gar keine sind. Die parallel verlaufenden Wege von den Rehbergen zum Hohenzollernkanal sind mit Pfützen übersät. Rillen und schlammige Abschnitte ziehen sich fast über die gesamte Weglänge. Zum Kanal hin kommen im Asphalt große Wurzelschäden hinzu, die die Radtour zur Tortur werden lassen. Wer auf die verrückte Idee kommt, von Reinickendorf nach Charlottenburg auf dem Kurt-Schumacher-Damm zu pendeln, wird das nur einmal mit dem Fahrrad versuchen und danach nie wieder. Die Radwege sind seit Jahrzehnten nicht unterhalten worden und teilweise ist ihre Nutzung sogar ganz verboten, so schlecht und schmal sind sie.

Diese Wege verlaufen parallel zum Charles-Corcelle-Ring

Zurück in die Kleingärten. In der anliegenden Kolonie Quartier Napoléon müssen sich die Laubenpieper wohl an die neue Realität gewöhnen. Konnten die Kleingärtner, die noch mit dem Auto fahren können, ihr Gefährt bislang kostenlos und bequem am Straßenrand abstellen, müssen sie sich nun um einen Parkausweis für den vereinseigenen Parkplatz bemühen. Ja, richtig gelesen: Der Verein hat seinen eigenen Parkplatz! Wenn es also wirklich so viele gehbehinderte Vereinsmitglieder gibt, sollten diese vorrangig die vereinseigenen Parkplätze zugeteilt bekommen.

Die Kleingartenanlage verfügt über zahlreiche eigene Parkplätze

Statt die von einer Mehrheit gewünschte Verkehrspolitik im Bezirk zu unterstützen, hat die CDU nun ihr Herz für die Kleingärtner der nahen Kolonie entdeckt und stänkert nun gegen die „grüne Fahrradstraße“. Gehbehinderte Laubenpieper würden zum Opfer einer grünen Provinzposse - so lässt sich die populistische Rhetorik der Christdemokraten zusammenfassen. Dabei sind manche Kleingärtner selbst mit dem Fahrrad hier unterwegs und profitieren von der Sicherheit, die ihnen der Charles-Corcelle-Ring bieten könnte. Nur gibt es keine konservativen Politiker, die sich für sie interessieren.

Die viele Radfahrenden auf der Straße stört das an diesem Nachmittag nicht. Nur wenige Autos sind im Winter am Straßenrand geparkt, man kommt störungsfrei voran, auch in der engen, schlecht einsehbaren Kurve. Dass sie an diesem Tag unideologisch und umweltfreundlich unterwegs sind, müsste eigentlich jede moderne Großstadtpartei mit Interesse zur Kenntnis nehmen: Ein Verkehrstoter beeinflusst ein Wahlergebnis vielleicht, aber er ist kein Wähler (mehr).

Bezirkliche Website

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

8 Comments Leave a Reply

  1. Die Verkehrspolitik von Herrn Schriner ist ein Segen! Das sage ich als jemand, der den Grünen noch gar nicht so lange Zeit nahesteht. Aber Berlin entwickelt sich verkehrspolitisch überhaupt nicht weiter bzw zurück. Die Radinfrastruktur ist bis auf einzelne innerstädtische Fahrradstraßen noch immer ein Armutszeugnis. Dass die CDU der Infravelo Haushaltsmittel streicht, gleichzeitig aber das nahezu kostenlose Anwohnendenparken unberührt lässt, sagt bereits viel aus über die, im europäischen Vergleich, rückwärtsgewandte Verkehrspolitik der Berliner CDU.
    Eine absolute Frechheit ist die ungenierte Klientelpolitik der CDU. Übrigens etwas das man gern den Grünen vorwirft. Eine Politik, die zur Gefahr wird für andere Verkehrsteilnehmer*innen (Sparmaßnahmen bei sicherer Radinfrastruktur). Und eine Politik, mit der Berlin im Vergleich zu anderen bedeutenden europäischen Metropolen nicht nur stagniert, sondern die Zeichen der Zeit ignoriert und einen schritt zurück macht, wieder hin zur autogerechten Stadt.
    Für eine zukunftsfähige, lebenswerte und klimarestistente Stadt ist die CDU die falsche Partei.

  2. Ich fahre da öfter mit dem Rad entlang, habe es bislang allerdings nicht als notwendig erachtet aus dieser Straße eine Fahrradstraße zu machen, denn es ist wahrlich nicht viel Verkehr hier, wenige Autos und wenige Radfahrer.

  3. Der letzte Satz ist eine absolute Unverschämtheit, Herr Faust!
    Man kann gern unterschiedlicher Meinung sein und dies auch offen austragen, aber ein Mindestmaß an Anstand muss ich vom Gegenüber erwarten können.
    Lemke, Bezirksverordneter

    • Wir haben da wohl sehr unterschiedliche Vorstellungen von Anstand! Verkehrssicherheit für Schwächere finde ich anständiger als Bequemlichkeit von Wenigen.

      • Verkehrssicherheit? Wenn es ein Thema im Charles-Corcelle-Ring nicht gibt, dann ein Problem mit Verkehrssicherheit. Aber die BVV Mitte hat ja nun erfreulicherweise ein Aussetzen der Maßnahmen beschlossen. Ein schöner Erfolg für Anwohner und Kleingärtner!

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