Seit dem Jahr 2021 hat die AOK Nordost in einem Neubau an der Ostender Straße Ecke Müllerstraße ihr Weddinger Quartier. Dort befindet sich nicht nur das Service-Center der Krankenkasse, sondern auch ihr "Centrum für Gesundheit" mit vielen Facharzt-Praxen, die exklusiv nur Versicherten der AOK offenstehen. Der Umzug brauchte keine Möbelwagen: zuvor war die AOK auf dem Nachbargrundstück Müllerstraße 145.
Dort steht das alte Gebäude der AOK aus den späten 1950ern seitdem leer, das auf dem Foto abgebildet ist. Das "Ambulatorium" auf dem Hof der Müllerstraße 143 ist baulich vielleicht kein besonderes Schmuckstück, aber dafür historisch ein Unikat. Hier wirkten – wie heute im Centrum für Gesundheit – von der Kasse angestellte Fachärzte exklusiv für AOK-Versicherte. Das Modell hatte die AOK in der Weimarer Republik entwickelt. Nach dem Kassenarztgesetz der Bundesrepublik Deutschland aus dem Jahr 1955 aber war das gar nicht mehr zulässig. Ambulatorien galten im damaligen Westdeutschland als sozialistisch. Für den Wedding wurde jedoch eine Ausnahme erstritten: Her konnte die AOK 1960 das Ambulatorium beziehen. Nach 60 Jahren Betrieb wurde dann ein Neubau auf dem Nachbargrundstück bezogen. Das alte Grundstück gehört inzwischen einem privaten Investor, der hier vielfältige Nutzungen unterbringen will. Unter Denkmalschutz steht das über 60 Jahre alte Ambulatorium dabei nicht. Bei einer Neubebauung des Grundstücks würde es vermutlich abgerissen.
Jetzt ist mal von einem Hotel die Rede, das hier entstehen soll, mal von Dienstwohnungen für die Beschäftigten des Virchow-Klinikums, auch von Büros – aber wirklich Konkretes hört man nicht*: Ein Bauantrag ist noch nicht gestellt, die Entwicklung ist also noch offen. Da wirkt ganz offenbar die Krise des Immobilienmarktes: Wegen der gestiegenen Zinsen sind viele Neubauprojekte derzeit kaum noch zu finanzieren, zugleich stagniert wegen der schlechten Wirtschaftslage (und zunehmendem Home-Office) die Nachfrage nach Büros. Gleichzeitig gehen aber auch im Wedding immer mehr Bürohäuser in die Vermietung, die im Boom der Vor-Corona-Jahre entwickelt worden waren. Die Folge ist ein krasses Überangebot, eine Insolvenzwelle und eine große Zurückhaltung der Finanzwirtschaft bei neuen Immobilienprojekten.
Autor: Christof Schaffelder
Dieser Artikel ist zuerst in der Sanierungszeitschrift "Ecke Müllerstraße" erschienen.
*Inzwischen wurde nicht nur ein Bauantrag gestellt, sondern auch genehmigt. Laut diesem soll es dort „Neues Wohnen zwischen Müllerstraße und Genter Straße Errichtung von Neubauten für Wohnnutzung für Klinikpersonal, Betreutes Wohnen, Studentisches Wohnen Hotel/Beherbergung und Kita“ entstehen. Wer der Eigentümer des Grundstücks ist, wollte der Senat zumindest im September nicht verraten.