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Die Kolumne: Qual der Schulwahl

6. August 2014
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Mei­ne Mut­ter hat­te es gut. Sie weiß gar nicht, wie gut sie es hat­te. Wirk­lich. Als ich sie­ben Jah­re alt wur­de, schick­te sie mich ein­fach so in die Schu­le. Die Fra­ge, in wel­che Schu­le ich gehen wür­de, stell­te sie sich nicht. Es gab ja auch nur eine in dem klei­nen Ort am Rand von Ber­lin. In die wur­de ich ein­ge­schult, da mach­te ich spä­ter mei­nen ers­ten Abschluss. Ende der Geschich­te. 30 Jah­re spä­ter im Wed­ding könn­te ich bereits jetzt Bücher über das The­ma Schul­wahl ver­fas­sen und die Ent­schei­dung für eine Bil­dungs­ein­rich­tung fällt mir schwer. Und dabei muss ich erst in den kom­men­den Mona­ten ein Kreuz­chen vor einem Schul­na­men machen, der klei­ne Wed­din­ger bekommt erst in einem Jahr eine Schultüte.

In den letz­ten zwei Jah­ren habe ich Bekannt­schaft mit dem Ein­schu­lungs­sys­tem in Mit­te gemacht. Ich lebe im Schul­spren­gel 7. Das bedeu­tet, dass ich theo­re­tisch unter sie­ben staat­li­chen Schu­len wäh­len darf. Prak­tisch, so merk­te ich, ist das ein wenig anders, denn unser Spren­gel fasst Schu­le aus dem Wed­ding und Schu­le in Alt-Mit­te zu einem Ein­schu­lungs­be­reich zusam­men. Das klingt nicht schlimm. Aber offen­bar nur für mei­ne Ohren. Bekann­te aus Alt-Mit­te haben rie­si­ge Angst, dass sie auf­grund von Über­fül­lung der guten Schu­len jen­seits der Ber­nau­er Stra­ße am Ende einer der Schu­len im Brenn­punkt­be­zirk zuge­ord­net wer­den (das ist offen­bar die Idee der Bil­dungs­ver­wal­tung, eine Mischung soll her­ge­stellt wer­den). Eini­ge Eltern wür­den ihre Mit­te­kin­der even­tu­ell noch in die Natur­wis­sen­schafts­klas­sen der Gus­tav-Fal­ke-Grund­schu­le, die nach Deutsch­test gebil­det wer­den, geben. Mehr Wed­ding müss­te der Anwalt eben wegklagen.

Gret­chen­fra­ge: Bin ich eine rich­ti­ge Weddingerin?

Jetzt steht für mich die Gret­chen­fra­ge bevor: Bin ich so rich­tig und über­zeugt Wed­din­ge­rin oder nicht? Wer­de ich als bil­dungs­be­wuss­ter Mensch gegen den Trend bei den bil­dungs­be­wuss­ten Fami­li­en im Brun­nen­vier­tel mein Kreuz an eine Schu­le auf mei­ner Sei­te der Ber­nau­er Stra­ße machen?

Ich habe mir in den letz­ten zwei Jah­ren alle Schu­len im Schul­spren­gel ange­schaut. Sogar die­se eine belieb­te Schu­le, die ihre Türen der Wer­bung wegen gar nicht für Eltern zu öff­nen braucht, weil sowie­so alle dort­hin wol­len. Ich war auch in den Schu­len im Brun­nen­vier­tel. Ich haben auf bei­den Sei­ten der Ber­nau­er Stra­ße Schu­len gefun­den, die mir über­haupt gar nicht gefal­len. Also gar nicht über­haupt nicht. Ich habe aber auch auf bei­den Sei­ten Schu­len gefun­den, die ich vom Ansatz her gut fin­de. Die im Brun­nen­vier­tel sind nah, vie­le Leh­rer sind enga­giert, die Klas­sen sind klei­ner als die voll­ge­klag­ten Klas­sen in Alt-Mit­te, es gibt vie­le geför­der­te Projekte.

War es frü­her leich­ter oder mache ich es mir nur schwer?

In mei­nem Vor­wed­din­ger Leben habe ich zusam­men mit ande­ren zwei freie Schu­len gegrün­det. Lei­der außer­halb von Ber­lin. Ich den­ke mir, ich quä­le mich viel­leicht des­halb so sehr mit der Aus­wahl der Schu­le. Viel­leicht aber auch des­halb, weil der klei­ne Wed­din­ger natür­lich ein beson­ders beson­de­res Kind ist. Oder stö­re ich mich am Ende doch nur an den nahe­zu 100 Pro­zent Mit­schü­lern mit Migra­ti­ons­hin­ter­grund, ich Heuch­le­rin, ich?

Die Ent­schei­dung ist wich­tig. Es gibt zu viel Aus­wahl. Oder zu wenig. Das hat sich auch in dem einen Jahr nicht geän­dert, das ich durch die Rück­stel­lung des klei­nen Wed­din­gers her­aus­ge­schun­den habe.

Mei­ne Mut­ter ver­steht ver­mut­lich gar nicht, wovon ich immer rede. Sie freut sich ein­fach, dass der klei­ne Wed­din­ger schon bis weit über 100 zäh­len kann, dass er über­ra­schend sicher die Zah­len hin und her rech­net, dass er mit etwas Hil­fe schö­ne klei­ne Brief­chen in Kra­kel­schrift ver­fasst und immer alles ganz genau wis­sen will. Mei­ne Mut­ter hat es noch immer gut. Und sie weiß es gar nicht!

Wed­ding ist nicht Wed­ding. So steht es auf der Sei­te www.planet-wedding.de. Blog-Betrei­be­rin Domi­ni­que Hen­sel schreibt dort seit 2008 über ihre Erleb­nis­se im Wed­ding. Ab sofort lädt die Jour­na­lis­tin aus dem Brun­nen­vier­tel die Leser des Wed­ding­wei­ser ein Mal im Monat dazu ein, einen Blick in die Welt einer Wed­din­ger Fami­lie zu wer­fen. Die pri­va­te Kolum­ne über eine Fami­lie auf dem Pla­ne­ten Wed­ding – immer am ers­ten Mitt­woch im Monat. Heu­te: Qual der Schulwahl.

Foto und Text: Domi­ni­que Hensel

4 Comments Leave a Reply

  1. Mir ging es wie Domi­ni­que, ich wur­de um die Ecke in der ers­ten Schu­le vom Wohn­ort ent­fernt, ein­ge­schult. Frü­her hieß sie Rübe­zahl­grund­schu­le, heu­te Eri­ka Mann Grund­schu­le und sie liegt im Zen­trum vom Wed­ding, der Utrech­ter Str. in der Nähe von der Mül­ler- Ecke See­str. Als mein Kind auf die Welt kam, sind wir nach Hei­li­gen­see gezo­gen. Das hat­te aber ande­re Grün­de, nicht die Schul­wahl mei­nes Kin­des. Ich woll­te ins Grü­ne. Aber auch dort war die Wahl nicht ein­fach. Ich habe mei­nen Sohn sogar in der 4. Klas­se umge­schult, weil wir mit sei­ner Schu­le nicht zufrie­den waren und er hat mir spä­ter gesagt, wie gut das war und wie froh er dar­über ist.
    Heu­te stu­diert mein Kind in Göt­tin­gen (wie­der eine schwie­ri­ge Wahl – die 3. nach dem Gym­na­si­um: die Aus­wahl der Uni).
    Es ist egal, in wel­chem Bezirk man lebt, es gibt in jedem Bezirk gute und schlech­te Schu­len. Let­zend­lich steht und fällt der Ruf einer Schu­le immer mit der Lei­tung der Schule.

  2. Das sich in Alt-Mit­te die “guten Schu­len” befin­den sol­len, die­se Iro­nie ver­steht sicher­lich nicht jede®. Bes­ser wäre auf die­se Iro­nie zu ver­zich­ten, sonst glaubt das noch jemand.

  3. Vie­le Leu­te haben offen­kun­dig Angst, dass Ihre Kin­der auf­grund der vie­len ande­ren Kin­der mit Migra­ti­ons­hin­ter­gund auf einer Wed­din­ger Schu­le was auch immer für Nach­tei­le haben, z. B. die Spra­che nicht rich­tig ler­nen. Fakt ist, dass an den Schu­len außer im Fremd­spra­chen­un­rer­richt Deutsch gelehrt und gespro­chen wird. Eben­so die Kin­der unter­ein­an­der, was viel­leicht auch mit den inzwi­schen sehr vie­len ver­schie­de­nen Natio­nal­tä­ten (der Vor­fah­ren) zu tun hat.

    Wer ein Pro­blem mit einem zu hohen Migran­ten­an­teil hat und daher sein Kind in eine ande­re Schu­le schickt oder gar aus dem Wed­ding weg­zieht ver­stärkt das Problem.

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