Manchmal staunt man, wie nah eine gefühlte Realität der Wirklichkeit kommt. Beispiel: Verkehr. Am Freitag (12.1.) hat die Polizei fast vier Stunden auf den Hauptstraßen im Wedding und in Gesundbrunnen Autos kontrolliert. Man vermutet schon, dass die Beamten bei einem Teil der Wagen Grund zur Beanstandung gehabt hätten – Falschparken und so. Tatsächlich waren es, man glaubt es kaum, 80 Prozent!
„194 überprüfte Autos. 158 Owis. 7 Mängelberichte. 3 Strafanzeigen. 1 sichergestelltes Fahrzeug. Das ist das Ergebnis des Einsatzes, den unsere Kollegen des Verkehrsdienstes und der Bereitschaftspolizei gestern gemeinsam mit dem Ordnungsamt durchführten“, twitterte die Polizei nach der Aktion. Die so lustig klingenden Owis, Ordnungswidrigkeiten, sind, man ahnt es: Parken an Kreuzungen und Fußgängerfurten oder in zweiter Reihe. Das ungehemmte Abstellen von Autos auf Fahrradschutzstreifen (Fahrradwegen) zwingt Radfahrer zu lebensgefährlichen Slalomfahrten. Aber auch Autofahrer, die in durch Zweite-Reihe-Parker erzeugtem stockenden Verkehr oder gar Stau stehen, sind vom Verhalten solcher Wildparker genervt.
Was die Polizeiaktion auf Müllerstraße, Badstraße & Co. aber auch zeigt: Offensichtlich glaubte keiner der Zweite-Reihe-Parker oder Raser, dass ihr Regelverstoß jemals geahndet werden könnte. Sonst würde sich diese Rücksichtslosigkeit nicht so flächendeckend in dieser Stadt ausgebreitet haben. „Ein Mercedes AMG-Fahrer machte durch quietschende Reifen und deutlich überhöhte Geschwindigkeit am Leopoldplatz besonders auf sich aufmerksam“, schreibt die Polizei auf Twitter und liefert auch gleich die dreiste und zugleich selbstbewusste Erklärung des wenig schuldbewussten Fahrers hinterher: „Ich hatte die Race-Funktion eingestellt. Das Auto hat eben etwas mehr PS!“
Bleibt zu hoffen, dass die Ordnungshüter nicht nur in pressewirksamen Aktionswochen tätig werden, sondern zukünftig regelmäßiger im ganz normalen Alltag auf Berlins Straßen. Bleibt zu hoffen, dass auf Zweite-Reihe-Parken und Raserei im Straßenverkehr bald regelmäßig Strafen erhoben werden, die den Geldbeutel rücksichtsloser Verkehrsteilnehmer ordentlich belasten. Dann wird der Regelverstoß eines Tages, auch im Wedding, vielleicht wieder zur Ausnahme.
Sicherlich sind falsch parkende Autos im Straßenverkehr nervig. Das Fahrverhalten mancher Verkehrsteilnehmer, wie der beschriebene Fall des AMG Fahrers, grenzt viel zu oft an Gemeingefährlichkeit. Nicht ersichtlich ist mir jedoch, wie der argumentative Bogen hin zu mehr Polizeipräsenz gerechtfertigt wird. Tatsächliche Verkehrskontrollen bilden zum einen eine ähnliche Belastung für den Straßenverkehr wie die Falschparker selbst. Zum anderen gibt es zur Ahndung von Ordnungswidrigkeiten das Ordnungsamt. Es erscheint mir doch paradox auf der einen Seite der Ausweitung von Polizeibefugnissen und Überwachung etc. skeptisch gegenüber zu stehen und auf der anderen Seite in jedem kleineren Interessenkonflikt die Polizei bemühen zu wollen.
Es ist doch auch völlig klar, dass bei dem gesteigerten Verkehrsaufkommen in Berlin und dem Zubauen von Parkflächen auch mit noch so vielen Strafen und Bußgeldern keine Lösung der innerstädtischen Verkehrsprobleme zu erzielen ist.
Im Gegensatz zu meiner Jugendzeit, wo ich, wie wohl viele, in Regeln, Gesetzen und Polizei eher das Begrenzende, Einengende gesehen habe, empfinde ich das mit fast Mitte 60 jetzt etwas anders. Der Mensch – vielleicht auch besonders der Weddinger – braucht Regeln, Gesetze und Polizei, wenn er sich selbst nicht regulieren kann. Dass er das nicht kann, bemerkt man leider täglich in der Stadt. Charme sucht man vergeblich!
Ich würde Sie gern auf die Inkonsistenz ihres Argumentes hinweisen: Sie gestehen sich selbst zu in ihrer Jugend, wie das wohl so üblich ist, in Regeln, Gesetzen und Polizei eher das Begrenzende und Einengende gesehen zu haben. Nun sind sie älter und glauben einen größeren Vorteil von Regeln, Gesetzen und der Polizei zu haben. Ihre Forderung nach Regulierung, jetzt wo sie älter sind, mag zwar durchaus der gesellschaftliche Normalfall sein, birgt aber insofern eine Inkonsistenz, als dass junge Menschen auch heute noch, genau wie Sie früher, in Regeln, Gesetzen und Polizei eher das Begrenzende und Einengende sehen. Das diese beiden Meinungen, alt gegen jung, also erst einmal beide Berechtigung haben, werden Sie zugestehen müssen, da sie selbst einmal die Meinung der Jugend vertreten haben.
Das Problem was sich hier auftut ist jetzt folgendes: Die Jugend will nicht mehr Gesetzte, Regeln und Polizei. Sie glaubt in der derzeitigen Welt ganz gut zurecht zu kommen. Die Alten hingegen wollen mehr Gesetzte, Regeln und Polizei – nicht weil die Jugend es braucht – sondern weil die Alten selbst es brauchen, um sich in einer Welt die nicht mehr von ihnen (den Alten) selbst, sondern von der nächsten Generation bestimmt und gestaltet wird, zurechtzufinden. In einer alternden Gesellschaft birgt das die große Gefahr, dass die Alten mit ihrer Selbstbezogenheit der Jugend die Freiheits- und Entfaltungsmöglichkeiten, die sie selbst in ihrer Jugend genießen durften, ohne böse Absicht verbaut. Man kann dabei durchaus an den Brexit denken.
Sicherlich hat das jetzt nur am Rande etwas mit Falschparkern zu tun. Aber das gilt für Ihre kontroverse Perspektive auf die Notwendigkeit verstärkter gesellschaftlicher Regulierung wohl auch.