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AmMa65: Herz statt Profit

26. November 2017
AmMa65 Haus
Foto: AmMa65

“Zunächst leben wir. Und das nicht irgend­wo – nein, wir leben in unse­rem gelieb­ten Kiez, dem Wed­ding 65. In den Eck­häu­sern der Ams­ter­da­mer Stra­ße 14 und Mal­plaquet­stra­ße 25. Für uns ist es die schöns­te Ecke der Welt – na gut, viel­leicht auch nur die schöns­te Ecke, die wir ken­nen.” Das schrei­ben die Haus­be­woh­ner, die sich im Ver­ein AmMa65 orga­ni­siert haben. Denn sie haben ein Ziel: ihr Haus selbst kau­fen, damit es nicht zum Spe­ku­la­ti­ons­ob­jekt Ande­rer wird.

Anmerkung der Redaktion: 
Wir vom Weddingweiser verzichten auf die übliche Wochenschau und machen Platz für den Aufruf, mit dem die wehrhafte Hausgemeinschaft an die Öffentlichkeit gegangen ist.

Mit der Zeit gewachsenes Miteinander

“Wir sind Handwerker*innen und Akademiker*innen, Philosoph*innen und Hartz-IV- Empfänger*innen, Tontechniker*innen und Student*innen, Rentner*innen und Dokumentarflmmacher*innen, Kneipenbesitzer*innen und Kneipen*besucher*innen, Gebrauchtwarenverkäufer*innen und Filmproduzent*innen, Künstler*innen und Psycholg*innen, Solzialarbeiter*innen und Mini*jobber*innen, selb­stän­dig oder fest­an­ge­stellt, man­che sind auch bei­des. Wir sind bereits in Ren­te, besu­chen schon die Kita, gehen zur Schu­le oder war­ten noch in Mamas Bauch auf unse­re Ecke, die schöns­te Ecke – die wir ken­nen. In 29 Woh­nun­gen leben wir als Fami­li­en, Sin­gles und in Wohn­ge­mein­schaf­ten. Oder wir arbei­ten in unse­ren drei Gewer­ben, der Kiez­knei­pe „Café More­na“, in unse­rem „Mini Kauf­haus Mey­er“ oder unse­rer Gale­rie „Mon­ta­ge­hal­le“. Man­che von uns leben seit vie­len – vie­len Jahr­zehn­ten hier, ande­re erst seit Kur­zem und wie gesagt, man­che wis­sen noch gar nicht, dass sie hier leben, in der für uns schöns­ten Ecke, die wir kennen.

Unse­re Päs­se und Mut­ter­spra­chen sind ver­schie­den, unser Alter ist es auch – doch eines eint uns: Unse­re Lie­be am Zusam­men- und Mit­ein­an­der­le­ben, in unse­rer gelieb­ten Ecke, der schöns­ten… Okay. Ihr wisst, was wir meinen.
Die­ses “Mit­ein­an­der” und manch­mal auch “Zusam­men” ist gewach­sen mit der Zeit. Man­che heg­ten enge Kon­tak­te, ande­re eher lose. Doch das änder­te sich mit der Zeit. Die Hof­fes­te ver­ein­ten wie die Floh­märk­te in eben­die­sem. Koh­len wur­den zusam­men bestellt, die Fahr­rä­der inein­an­der ver­keilt, die Blu­men im Hin­ter­hof gemein­sam gegos­sen. Wenn jemand lie­ber für sich sein woll­te – auch kein Pro­blem. Ein net­ter Gruß ging doch immer.
Doch nun ver­bin­det uns auch die Angst – wie die Ent­schlos­sen­heit – glei­cher­ma­ßen. Unser Haus steht zum Ver­kauf. Inves­to­ren bevöl­kern unse­re gelieb­te Ecke. Sie wol­len es kau­fen, sanie­ren und teu­er wei­ter­ver­kau­fen. Und was ist mit uns?

Die lei­der nicht unbe­grün­de­te Sor­ge, wir könn­ten das Zuhau­se, unse­re gelieb­te Ecke, unser gewach­se­nes Mit­ein­an­der ver­lie­ren, hat zu einem noch grö­ße­ren Zusam­men­halt und einer beein­dru­cken­den Soli­da­ri­tät unter­ein­an­der geführt. Es traf uns nicht ganz unvorbereitet.Seit Früh­jahr 2016 gab es Tref­fen, um sich für einen sol­chen Fall zu rüs­ten. Denn in unse­rer Gegend wer­den Woh­nun­gen immer sel­te­ner als Orte ange­se­hen, die Men­schen ein Zuhau­se und eine Gemein­schaft geben. Sie wer­den viel­mehr als gewinn­brin­gen­de Wert­an­la­gen gese­hen, in wel­chen Mieter*innen, die im stän­di­gen Preis­kampf um Wohn­raum nicht mit­hal­ten kön­nen, nur stö­ren. Die Ver­drän­gung ein­kom­mens­schwä­che­rer Schich­ten im Kiez ist die Fol­ge. Nicht abs­trakt, son­dern kon­kret. Dies­mal trifft es uns. Aber es kann jeden tref­fen, der nicht schon in einem luxus­sa­nier­ten Haus lebt.

Das Haus gemeinsam kaufen

Um unse­re gelieb­te Ecke dem Spe­ku­la­ti­ons­markt zu ent­zie­hen, müs­sen wir sie kau­fen. Bei
einem Kauf­preis von 3,5 Mil­lio­nen Euro und ca. 1,5 Mil­lio­nen Sanie­rungs­kos­ten ist dies gar nicht so ein­fach. Schließ­lich ver­fügt nie­mand von uns über so viel Geld. Hier­bei stellt das Eigen­ka­pi­tal die größ­te Hür­de für Pro­jek­te wie unse­res dar, um her­nach erst mit der Bank in Ver­hand­lung über einen noch grö­ße­ren Immo­bi­li­en­kre­dit tre­ten zu kön­nen. Und erst durch die­sen ist ein Haus­kauf die­ser Grö­ßen­ord­nung mög­lich. Daher sind wir auf Men­schen ange­wie­sen, die uns ihr Geld lei­hen. Meis­tens sind das klei­ne Kre­di­te ab 500 Euro auf­wärts, die über eine bestimm­te Lauf­zeit zwi­schen 0% und 2% ver­zinst sind und durch die Miet­ein­nah­men gedeckt wer­den. Ein Inves­tor hat zwar viel Geld, dass er gewinn­brin­gend anzu­le­gen ver­mag. Aber so eine schö­ne Ecke wie unse­re – ein Miets­haus mit vie­len Bewohner*Innen – hat dafür Fami­lie, Hun­der­te guter Freund*innen, Kolleg*innen, Nachbar*innen, die sie unter­stüt­zen kön­nen! So kann es auch Miet­ge­mein­schaf­ten gelin­gen, einem DAX-Unter­neh­men die Stirn zu bieten.

das Mini Kaufhaus an der StraßeneckeNie­mand von uns will Haus oder Woh­nun­gen pri­vat erwer­ben. Wir wol­len eine GmbH grün­den, die durch unse­ren Haus­ver­ein AmMa 65, in dem die Bewohner*innen Mit­glied sind, kon­trol­liert wird. Die Mieter*innen ent­schei­den über alle haus­re­le­van­ten Belan­ge auf
regel­mä­ßi­gen Ver­samm­lun­gen selbst. Um unser Haus und sei­ne Bewohner*innen auch in Zukunft von Spe­ku­la­ti­ons­angst zu bewah­ren, pla­nen wir die Koope­ra­ti­on mit einem star­ken Part­ner, der als zwei­ter Gesell­schaf­ter neben unse­rem Ver­ein AmMa 65 Gesell­schaf­ter unse­rer GmbH wird. Die­ser Gesell­schaf­ter ist die zwei­te Kon­troll­in­stanz gegen zukünf­ti­ge Spe­ku­la­tio­nen auf Wohn­raum, da er mit sei­ner Stim­me den Haus­ver­kauf blo­ckie­ren kann und soll. Dies wird so seit vie­len Jah­ren bei­spiels­wei­se vom Miets­häu­ser Syn­di­kat, aber auch dem Mar­tins­werk e.V. prak­ti­ziert. Also größt­mög­li­che Selbst­ver­wal­tung des Wohn­raums bei größt­mög­li­cher Sicher­heit für die Zukunft – über Gene­ra­tio­nen und damit auch über uns hinweg.

Wir kämp­fen. Für uns. Für den Kiez. Für Woh­nen als Selbst­ver­ständ­lich­keit und nicht als Ware. Und nicht zuletzt für unse­re schöns­te Ecke.”

Wer hel­fen kann oder den Ver­ein unter­stüt­zen möch­te, fin­det mehr Infor­ma­tio­nen auf der Website.

Aus Soli­da­ri­tät ein Herz ins Fens­ter hän­gen – damit kön­nen die Wed­din­ge­rin­nen und Wed­din­ger zei­gen, dass sie das Anlie­gen von AmMa 65 unterstützen.

weddingweiserredaktion

Die ehrenamtliche Redaktion besteht aus mehreren Mitgliedern. Wir als Weddingerinnen oder Weddinger schreiben für unseren Kiez.

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