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Heiko Werning: Vom Wedding verweht

14. April 2017
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Heiko Wernig bei der Präsentation seines neuen Buches. Foto: Sallmann
Hei­ko Wer­ning bei der Prä­sen­ta­ti­on sei­nes neu­en Buches. Foto: Sallmann

Als nach Lon­don weg­mi­grier­te Ber­li­ne­rin und ehe­ma­li­ge Wahl­wed­din­ge­rin kommt jedes Mal Freu­de auf, wenn man mich mit einem Buch von Hei­ko Wer­ning bedenkt. So schenk­te mir mei­ne Mut­ter zu Weih­nach­ten 2011 das Werk „Mein wun­der­ba­rer Wed­ding“. Das Buch ent­hielt eine Wid­mung, die ich tat­säch­lich immer mal wie­der anse­he: „Mit herz­li­chen Grü­ßen aus der alten Hei­mat nach Lon­don, dem Wed­ding Euro­pas“ (ja, das ist wohl eine Wei­le her…). Nun sand­te mir der Wed­ding­wei­ser das aktu­el­le Buch „Vom Wed­ding ver­weht – Mensch­li­ches, all­zu Mensch­li­ches“ zu.

Im neu­en Buch war­ten 32 Tex­te auf den Leser. Vor­weg­neh­mend kann ich schon emp­feh­len, die­se allein­rei­send im ÖPNV zu lesen, wenn man sich durch unter­drück­tes Prus­ten und erin­nern­de Spät­la­cher zum Löf­fel machen möch­te. Immer­hin hat man so Platz beim Reisen.*

Heiko Wernig (am Klavier) im Kreise der Brauseboys bei der Präsentation seines neuen Buches. Foto: Sallmann
Hei­ko Wer­ning (am Kla­vier) im Krei­se der Brau­se­boys bei der Prä­sen­ta­ti­on des neu­en Buches. Foto: Sallmann

Hei­ko Wer­ning ist Teil der Wed­din­ger Brau­se­boys, die ein­mal wöchent­lich im La Luz Erfah­run­gen aus dem Wed­ding zum Bes­ten geben. Es sind stets Geschich­ten zum Schmun­zeln, wenn nicht Lachen (zum Löf­fel machen im ÖPNV), kri­ti­sche Anmu­tun­gen wer­den hier­bei gar nicht vor­ent­hal­ten. So ist der Begriff der Gen­tri­fi­zie­rung ent­spre­chend nicht nur beim (Ur-)Weddinger All­tag, son­dern auch Teil so man­chen Tex­tes, zwi­schen den Zei­len oder auch direkt.

Ungeliebte Veränderungen

Wir erfah­ren in „Vom Wed­ding ver­weht“ mehr aus der Rei­he “Paket­zu­stel­lun­gen im Hau­se Wer­ning” – der geneig­te Leser weiß um des Autors Wohn­sitz im Erd­ge­schoss und sei­ne Zweit­be­ru­fung als Sen­dungs­um­schlag­platz –, über eine unge­sund dalie­gen­de Tau­be im Hof sel­ber Adres­se, über neu­lich beim Fri­seur, mehr oder min­der geschwin­de Repa­ra­tur­vor­gän­ge bei Schim­mel­be­fall und einen, joa, kurz: Nazi, der beruf­lich Döner ver­kauft. Dazu gibt es aller­lei Geschich­ten, die sich deut­lich direk­ter mit dem Wed­ding selbst und sei­ner Natur, also sei­nem Sein und sei­nen Zukunfts­aus­sich­ten befassen.

„Es ist nicht zu leug­nen: Ver­än­de­run­gen sind jetzt auch bei uns im Kiez über­all zu bemer­ken. Hör­te man frü­her drau­ßen auf der See­stra­ße aus­schließ­lich Spra­chen jen­seits der Schul­bil­dungs­ka­nons wie Tür­kisch, Ara­bisch oder Ber­li­ne­risch, spricht jetzt jeder zwei­te hier Eng­lisch oder Spa­nisch“ (aus dem Text „Vega­ner Erstkontakt“).

Heiko Wernig signiert sein neues Buch. Foto: Sallmann
Hei­ko Wer­ning signiert. Was er wohl schreibt? Foto: Sallmann

Hier bin ich gedank­lich zunächst immer ein wenig gestol­pert. So denkt nun der gera­de Mit­le­sen­de, was ich denn erwar­tet habe, wenn da schon im Titel was mit Wed­ding steht? Das ist eine Buch­re­zen­si­on, war­um brin­ge ich mich jetzt hier mit mei­nem Pri­vat­le­ben ein. Nur eben: Wenn man im Brexit­land Num­mer eins lebt (gibt nur eins, Groß­bri­tan­ni­en), und das als Zuge­zo­ge­ne, ist man natur­ge­ge­ben umringt von Pro­tek­tio­nis­mus, dass es einem die Fuß­nä­gel krin­gelt: Her­kunft, hin­zu­zie­hen, Ein­dring­ling oder Bür­ger sein, nicht wirk­lich Lon­do­ner sein (wenn es denn um Lon­don geht), ja wo kom­men wir denn da hin, wenn jetzt jeder… Bri­tain, Bri­tain, Bri­tain! So sin­nie­re ich also bei den ers­ten Zei­len, den ers­ten Para­gra­fen so man­cher Geschich­te, wäh­rend ich mir mein Wed­ding­buch in der Lon­do­ner Tube zu Gemü­te zie­he. Lese: „Ich bin jeden­falls skep­tisch, was den neu­en Wind hier angeht“ und eben von Ver­än­de­run­gen, die „bei uns im Kiez über­all zu bemer­ken“ sind.

Mit bedachtem Blick durch den Kiez

Schnell wer­de ich jedoch stets von mei­nem stil­len Sin­nie­ren weg­ge­drängt, ver­steht es Hei­ko Wer­ning doch ver­läss­lich, ein­fach scharf, wenn nicht gar vor­sich­tig (Halal ver­sus Schwei­ne­fleisch) zu beob­ach­ten („Mit dem Alter wächst die Ein­sicht in die wie­der­keh­ren­den Kreis­läu­fe des Lebens“, aus dem Text „Um die Brei­te einer Nuss“). Zu erken­nen, dass vega­ne Gnoc­chi mit Unkraut­streu­seln irgend­wie doch ess­bar sind (muss ich wohl mal ver­su­chen, wider­ste­he noch), dass das IPA beim Vaga­bund, wenn man denn Platz fin­det, echt trink­bar ist (stimmt) und das Mim­im­i­mi auf den Skla­ven­trei­ber Ama­zon (sie­he Sen­dungs­um­schlag­platz Wer­ning) dann doch irgend­wie, naja, man bestellt halt schon auch mal… also ich habe laut geschmunzelt.

Das Cover des neuen Buches von Heiko Wernig.
Das Buch­co­ver.

Das „Requi­em auf das Mül­lerstra­ßen­fest“ ist eine schlicht­weg genia­le Glos­se. Und mehr so am Ran­de: Die Fauch­scha­ben habe ich trotz des Namens fast lieb­ge­won­nen. Gran­di­os fin­de ich jedes Mal den Ein­stieg und den letz­ten Satz, nicht nur befrie­di­gend elo­quent, son­dern als idea­le Klam­mer für bedach­te Beob­ach­tun­gen des Kiez-Umfel­des. Denn es ist ja nicht von der Hand zu wei­sen, der Wed­ding ist „Ghet­toi­sie­rung, der kom­men­de In-Bezirk, sozia­ler Brenn­punkt, [erwar­te­te] Gen­tri­fi­zie­rung – irgend­was ist ja immer“.

So stei­ge ich mit mei­nem Buch in der Hand in Lon­don Water­loo um und drän­ge mich gewohnt has­tig vor­bei an den Mit­aus­stei­gen­den, und mur­me­le wie­der­holt „Tschul­jung“. Dan­ke an Hei­ko Wer­ning, hat funk­tio­niert. Ein­mal mehr.

*Mei­ne Wed­ding­wei­ser­re­cher­che zu Rezen­sio­nen ergab, es ist „voll pein­lich, in der Ring­bahn laut­hals los­zu­la­chen. Und das aus­ge­rech­net am Bahn­hof West­end“ („Im wil­den Wed­ding“, Autor mwb, 28. März 2014). Herr­lich, wie sich das so fortsetzt…

Text: Simo­ne Lin­dow, Fotos: Sula­mith Sallmann

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