Andreas Geisel, der Senator für Stadtentwicklung, kam am 14. Juli ins Brunnenviertel. Maja Lasić, die Direktkandidatin der SPD im Wahlkreis 7 (Brunnenviertel und Sprengelkiez) hatte eingeladen zur Wahlkampfveranstaltung: “Bezahlbares Wohnen im Brunnenviertel. Für alle.” Ein guter Anlass, um zu beobachten, was es heißt, ein Politiker zu sein. Dabei fällt auf, dass die beiden Berufe, der des Politikers und der eines Profi-Fußballers, ein paar Dinge teilen.
Vor dem Spiel
Von einem Profi-Fußballer wird nicht erwartet, dass er sich wie ein Landesvater benimmt. Die Fans wollen auch nicht, dass der Profi sie versteht wie ein Psychologe oder dass er ihnen aus dem Herzen spricht. Sie wollen vom Profi, dass er schön spielt. Was von einem Politiker zu erwarten sei, so scheint es, ist manchmal nicht so ganz klar. Dabei ist auch er ein Profi – nicht weniger, nicht mehr. Andreas Geisel ist so ein Profi-Politiker – einer von vielen. Er besuchte das Brunnenviertel.
Es ist Donnerstag, der 14. Juli, kurz vor 19 Uhr. In wenigen Minuten beginnt in einem Saal in der Brunnenstraße eine Wahlkampf-Veranstaltung. Gastgeberin ist die Direktkandidatin der SPD, Maja Lasić. Sie begrüßt jeden Besucher. Das fühlt sich an, wie im Fernsehen bei einem EM-Spiel. Vor dem Spiel reden die Kommentatoren. Damit die Spannung steigt.
Erste Halbzeit
Endlich geht es los. Erste Halbzeit. Andreas Geisel sitzt vorn auf dem Podium. Er ist gekommen, um Erfolge zu präsentieren. Es wurden neue Gesetze beschlossen. Gesetze, die den Mietern helfen sollen. Er erklärt, er beschreibt, er stellt dar.
Er sagt Sätze wie: “In den letzten Jahren sind viel Eigentumswohnungen und Mietwohnungen im Hochpreissegment entstanden. Deshalb haben wir die soziale Wohnungsbauförderung wieder eingeführt”. Oder: “Wir Sozialdemokraten müssen verhindern, dass der Eindruck entsteht, dass die Armen untersützt werden und die Reichen sich selber helfen – aber der ganz normale Mittelstand hat nichts davon.” Und: “Wir müssen heute die Weichen stellen, dass die soziale Mischung auch in Zukunft erhalten bleibt. Berlin soll nicht wie London werden.”
Er hält keine Rede. Eine Rede, die die Zuhörer benommen macht und in den Bann zieht. Er hält einen Vortrag (neudeutsch sagt man Input). So wie ein Profi-Fußballer sich nach einem Sieg nicht in die Brust schlägt und sagt: “Wie geil haben wir gespielt”, sondern vor der Kamera sich die Bemerkung erlaubt, dass man ganz ok gespielt habe.
Zweite Halbzeit
Und dann kommt die zweite Halbzeit. Vor dem Senator sitzen beinahe 50 Leute. Ein Teil von ihnen sind Genossen. Ein anderer Teil sind Kiezaktive. Und einige wenige, die die Plakate gesehen haben, sind auch unter ihnen. Und ein Störer sitzt in der ersten Reihe.
Wie würde es einem selber ergehen, wenn man von seinem Lieblingsthema vor einer solchen Menge reden müsste? Zum Beispiel wenn man erzählen wollte, wie gut einem ein Pass-Spiel im letzten Spiel gelungen ist. Und dann fragen die Zuhörer, warum das Tor auf dem Platz noch nicht längst neugestrichen wurde, warum der Rasen immer noch so schlecht gepflegt ist und ob die Trikots in rot nicht hübscher aussehen würden. In einer solchen Situation cool zu bleiben, das muss man lernen. Das kann man nur als Profi. Sonst würde es krachen. Und davon hätte niemand etwas.
Im Brunnenviertel wird der Senator gefragt, warum es keine einbruchssicheren Türen für alle gibt? Sie fragen, warum es die schönen Lebensmittel-Läden im Kiez nicht mehr gibt. Sie fragen, wie alte Menschen mit den Treppen vor dem Fahrstuhl klar kommen sollen. Andreas Geisel findet freundliche Antworten. Es ist nicht zu spüren, dass er lieber über Zinsbindung, über Bindungsfristen und über Darlehenskonditionen geredet hätte. So wie man auch Joachim Löw während einer Pressekonferenz (die manchmal auf Phoenix komplett übertragen wird), nicht anmerkt, dass es die Spiel-Statistiken sind, die ihm schlaflose Nächte bereiten – und dass das “Hosengate” für ihn nur Frühstücks-Thema ist.
Abpfiff
Die Leute gehen nach Hause. Einige tottern. Berlin ist und bleibt eben Hauptstadt der Meckerköpfe. Da ist der Wedding keine Ausnahme. Aber der Berliner hat auch ein großes Herz, wie es so schön heißt. Und das Herz, das ist gespalten. Auf der einen Seite sehnt es sich danach, auf dem Podium den Nachbarn zu sehen, der, der beim SV Wedding Nord spielt. Der wäre wie ein Vater, der würde verstehen und aus dem Herzen sprechen. Aber auf der anderen Seite – so ist zumindest die Hoffnung – spürt doch jeder, dass es schon gut ist, dass Boateng, Müller und Reus gegen Ronaldo, Bale und Sigurdson antreten – und nicht der SV Wedding Nord.
(PS. Wenn ein CDU-Senator in den Wedding kommt, dann ließe sich natürlich dieser Artikel genauso schreiben).
Text und Fotos Andrei Schnell.
Lieber Andrej,
Weiß ich auch nicht.
Das Robert Michels später zum Anhänger von Mussolini geworden ist, war vielleicht ein Grund dafür 🙂
Aber dieser Mann hat den Fokus auch auf die Oligarchie gerichtet:
https://de.wikipedia.org/wiki/Cyril_Northcote_Parkinson
Was die ” Grünen ” betrifft, die sich immer so ” rein ” und “sauber” darstellen, sie haben doch die Interessen der Wähler verraten, weil das Rotationsprinzip nicht mehr gilt!!!
Und wenn ich dann sehe wie z.B. die grüne Nomenklatura ohne Hemmungen lukrative Posten als Lobbyisten übernehmen:
Stichwort erst Bio und dann Bimbes,
dann ist dies doch auch Verrat an den Wählern oder wie würdest Du es nennen:
http://www.spiegel.de/politik/deutschland/gruene-als-lobbyisten-erst-bio-dann-bimbes-a-758986.html
http://www.faz.net/aktuell/politik/inland/lobbyismus-bei-den-gruenen-herr-sonnenschein-bekommt-keinen-aerger-1662901.html
Und warum diese Aussage von Dir:
>Lieber Moritz, ein Stück weit finde ich es gut, dass die Gewählten sich im Apparat verändern<
???
Lieber Andrei Schnell,
ob SPD, CDU, Grüne oder die Linken, sobald Die Gewählten länger im Apparat sitzen.. same procedure.
Daher:
Maximale Mandatszeit 8 Jahre!!
Daher lohnt es sich einmal wieder bei Robert Michels nachzuschlagen:
https://de.wikipedia.org/wiki/Ehernes_Gesetz_der_Oligarchie
Lieber Moritz, ein Stück weit finde ich es gut, dass die Gewählten sich im Apparat verändern. Ich sehe nicht, dass sie deshalb gleich die Interessen ihrer Wähler “verraten”. Aus welchem Grund ist Robert Michels Werk eigentlich ein Fragment geblieben?
Davon unabhängig. Ich bin auch ein Fan einer 8‑Jahres-Frist.