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Schillerhöhe: die kleine Trabantenstadt des Wedding

10. Februar 2015
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St Aloysiuskirche Schillerpark
Anspre­chend: St Aloysiuskirche

Dort, wo der Wed­ding wie eine gesichts­lo­se und ein wenig spie­ßi­ge Vor­stadt wirkt, wo man nicht genau weiß, wo Ber­lin-Mit­te auf­hört und Rei­ni­cken­dorf beginnt, ist weni­ge Jah­re nach den Kriegs­zer­stö­run­gen ein damals bei­spiel­ge­ben­des Sied­lungs­pro­jekt rea­li­siert wor­den. Das waren noch Zei­ten, als der Ber­li­ner Senat eine akti­ve­re Woh­nungs­bau­po­li­tik betrie­ben hat. Nach damals moderns­ten Grund­sät­zen ent­stand so ab dem Jahr 1955 die Sied­lung Schil­ler­hö­he im Wedding…

Fahrstuhl und Müllschlucker

Schillerhof Aroser Allee
Sied­lung Schil­ler­hof (1925−27)

Um die Ver­sor­gung aller Ein­kom­mens­schich­ten mit Woh­nun­gen sicher­zu­stel­len, stand ins­be­son­de­re der sozia­le Woh­nungs­bau im Vor­der­grund. Nach dem Zwei­ten Welt­krieg wur­den auf­grund der gro­ßen Woh­nungs­not nicht nur zer­stör­te Wohn­häu­ser ersetzt, son­dern auch ander­wei­tig genutz­te Frei­flä­chen bebaut. Dafür muss­ten erst ein­mal Lau­ben­pie­per wei­chen – damit auf städ­ti­schem Grund und Boden 2.200 Woh­nun­gen zwi­schen der See­stra­ße, dem Schil­ler­park, der Hol­län­der­stra­ße und der Mark­stra­ße gebaut wer­den konn­ten. An der Aro­ser Allee befand sich außer den Klein­gär­ten ledig­lich die 1925–27 errich­te­te und vor kur­zem frisch sanier­te Anla­ge “Schil­ler­hof”.

Die Archi­tek­ten Ger­hard Krebs, Alfred Rahn, Hans Schosz­ber­ger und Kurt Düb­bers rea­li­sier­ten die Neu­bau­ten nach dem städ­te­bau­li­chen Ent­wurf von Klaus Mül­ler-Rehm für die städ­ti­sche Gesell­schaft DEGEWO. Die Ber­li­ner Mor­gen­post schrieb über das Pro­jekt am 29. April 1953 begeis­tert: “Ein mus­ter­gül­ti­ger, moder­ner Stadt­teil in einer in den Schil­ler­park über­ge­hen­den Grün­flä­che, der auch im Aus­land etwas Neu­es dar­stel­len dürf­te. Vier…Hochhäuser mit Ein-Zim­mer-Woh­nun­gen, Zen­tral­hei­zung, Fahr­stuhl und Müll­schlu­cker­an­la­ge wer­den das Wahr­zei­chen der Sied­lung bil­den. Die ande­ren Häu­ser­zei­len, mit zum größ­ten Teil Zwei-Zim­mer-Woh­nun­gen, sol­len vier und fünf Eta­gen haben, alle Woh­nun­gen erhal­ten einen Bal­kon, die im Erd­ge­schoss einen Gar­ten von etwa 300 Qua­drat­me­tern mit direk­tem Zugang.” Die 1955 bis 1961 errich­te­ten Gebäu­de grup­pie­ren sich in Nord-Süd-Rich­tung in vier­ge­schos­si­ge Zei­len­bau­ten, drei acht­ge­schos­si­ge Zei­len und eine acht­ge­schos­si­ge Hoch­haus­schei­be. Auch an die Infra­struk­tur wur­de mit einer Schu­le, einem Jugend­heim, einer Sport­an­la­ge, einem Alten­heim und einem Kir­chen­neu­bau gedacht. Spä­ter wur­de die 1949 gegrün­de­te DEGE­WO-Toch­ter­ge­sell­schaft GESOBAU Eigen­tü­mer der Schil­ler­hö­he. Die vor dem Krieg begon­ne­ne Sys­te­ma­tik der nach Schwei­zer Orten benann­ten Stra­ßen wur­de in der Sied­lung wei­ter­ge­führt, so ent­stan­den die Schwy­zer Stra­ße und der Frau­en­fel­der Weg. Eigent­lich müss­te die Sied­lung also eher Schwei­zer Vier­tel heißen.

Architektur, die insgesamt anspricht

SchillerhöheSehens­wert ist ins­be­son­de­re die St. Aly­o­si­us­kir­che, ein für die Fünf­zi­ger­jah­re typi­scher Kir­chen­bau mit ange­schlos­se­nem Gemein­de­zen­trum, ent­wor­fen von Archi­tekt Felix Hins­sen. Mit­ten in der Sied­lung Schil­ler­hö­he steht das Gemein­de­zen­trum Schil­ler­hö­he der Evan­ge­li­schen Kaper­naum­ge­mein­de, ein wenig anspre­chen­der Beton­klotz der Sieb­zi­ger­jah­re. Auch das Ober­stu­fen­zen­trum Gesund­heit, ein mons­trö­ser Schul­neu­bau, steht für das Archi­tek­tur­ver­ständ­nis die­ser Zeit. Doch die den Geist der Nach­kriegs­zeit atmen­de Schil­ler­hö­he wirkt ins­ge­samt, vor allem durch die ener­ge­tisch sanier­ten und farb­lich anspre­chend gestal­te­ten Zei­len­häu­ser, freund­lich und ziem­lich vorstädtisch.

Schillerhöhe Seestr
Schil­ler­zi­ta­te an den Fassaden

In den 1970er Jah­ren kam noch das Kom­bi­bad See­stra­ße hin­zu, das den größ­ten Teil der Sied­lung von der ver­kehrs­rei­chen See­stra­ße abschirmt. Trotz oder gera­de wegen der ruhi­gen Lage: im Bewusst­sein der Ber­li­ner ist die­ses klei­ne, in sich geschlos­se­ne Wohn­ge­biet kaum bekannt – schließ­lich passt eine Sied­lung im Grü­nen kaum in das das Kli­schee vom “Arbei­ter­be­zirk Wed­ding”. Dabei ist immer­hin die gesam­te nörd­li­che Hälf­te des Orts­teils Wed­ding voll von Parks und Gär­ten. Und die benach­bar­te grü­ne Sied­lung Schil­ler­park aus den 1920er Jah­ren hat es – auch wegen ihres Reform­woh­nungs­baus – zum Welt­kul­tur­er­be gebracht. Die weit­ge­hend unbe­kann­te Sied­lung Schil­ler­hö­he hat eine eben­so lebens­wer­te Wohn­la­ge im Über­gangs­be­reich von Wed­ding nach Rei­ni­cken­dorf – die Mini-Tra­ban­ten­stadt am Rand des dicht­be­bau­ten Wed­ding ist einen zwei­ten Blick wert.

Grund­ris­se

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

5 Comments Leave a Reply

  1. Was für eine schö­ne Seite!!
    1970 zogen mei­ne Eltern mit mir (2 Jah­re) in die Schwy­zer Stra­ße 22. Dort wohn­te ich bis 1989 und zog dann bis 1996 in den Frau­en­fel­der Weg. Mei­ne gesam­te Kind­heit lebt also in die­ser Gegend. Ich konn­te gefahr­los über die Wie­se zur Gott­fried-Röhl-Grund­schu­le lau­fen. Vor­her noch Sam­mel­bil­der oder Knall­pa­tro­nen im klei­nen Laden in der Ungarn­stra­ße (beim dicken Tho­mas) kau­fen. Die Schu­le mit ihren Pavil­lons war sehr modern.Im Win­ter ging es zum Rodeln auf die Brat­pfan­ne oder über die Bar­fus­stra­ße auf die Engels­bahn oder die Todes­bahn. Im “Ein­kaus­zen­trum” Schwy­zer Stra­ße ist heu­te noch mein All­ge­mein­arzt. Ich kann­te Mut­ter und Vater, bei­de Söh­ne und nun die Toch­ter der drit­ten Gene­ra­ti­on. Neben­an war ein sehr guter Jugo­sla­we mit einer lebens­gro­ßen Trach­ten­pup­pe im Fens­ter. Dann kam der Bäcker. Ein sehr gro­ßer Raum. Links gab es den Kuchen, im Bogen­knick lagen die Schrip­pen und gera­de­zu Bro­te und oben auf dem Tre­sen Gum­mi­tie­re, Gum­mi­schlan­gen etc. Dann Dro­ge­rie Heim­chen. Als ich den Namen vor­hin gele­sen habe bekam ich fast feuch­te Augen. Danach wur­de die Dro­ge­rie etli­che Jah­re von Fami­lie Radz­ko betrie­ben. Die Toch­ter hei­ra­te­te und für kur­ze Zeit führ­ten sie den bereits erwähn­ten Bäcker. Nicht zu ver­ges­sen But­ter Hoff­man und spä­ter COOP. Man kann­te sich und die beson­ders net­te Kas­sie­re­rin Frau König sprach mich immer mit Namen an. Auch in der Sied­lung rund um die Schwy­zer Stra­ße kann­ten sich vie­le mit Namen und oft wur­de auf der Stra­ße ein Schwätz­chen gehal­ten. Der Name Haus­ge­mein­schaft hat­te sei­nen Namen zu recht!! Sogar heu­te habe ich noch locke­ren Kontakt.
    Als die Lau­ben an der Schwy­zer Stra­ße für den Schul­neu­bau wei­chen muss­ten war das für uns Kin­der DER Aben­teu­er­spiel­platz. Ver­las­se­ne Lau­ben in denen noch die Tape­te hing, der muf­fi­ge Geruch von feuch­ten Möbeln etc. Ich hat­te mich mit einem Bein in einem umge­stürz­ten Baum ver­hed­dert und der Bag­ger kam auf mich zu. Der Fah­rer sah mich und mach­te sich einen Spaß dar­aus lang­sam auf mich zuzu­fah­ren. PANIK!!! Auch Fahr­rad­fah­ren lern­te ich in der Schwy­zer Stra­ße. Mei­ne Mut­ter hielt mich am Sat­tel fest in Höhe der letz­ten Zei­le vor der neu­en Schu­le und plötz­lich war ich an der Kir­che und Mut­ter wink­te von hin­ten. Da kam ich auch an der Pum­pe vor­bei. Sams­tag traf man dort immer die moto­ri­sier­ten Nach­barn bei der Autowäsche.
    Es wäre schön, wenn sich noch meh­re­re hier auf die­ser Sei­te an die schö­ne Zeit erin­nern würden.

  2. Ja, in der Schil­ler­hö­he bin ich auf­ge­wach­sen, von 1957 bis 1970, in einer gro­ßen 3‑Zim­mer-Woh­nung. Als Hei­zung war eine Koks­hei­zung ein­ge­baut und im Bad ein selbst zu behei­zen­der Was­ser­kes­sel für die Bade­wan­ne. Wir Kin­der haben uns immer gestrit­ten, wer den Kes­sel hei­zen durf­te, wenn Baden ange­sagt war. Durch­zo­gen wird die Schil­ler­hö­he von der Ungarn­str. auf der wir auch unse­re Woh­nung hat­ten, Nr. 85b, mit einem klei­nen Gar­ten vor dem Bal­kon, direkt oben am Park. Mein Vater hat­te den Not­dienst für die Fahr­stüh­le der Hoch­häu­ser, und immer wenn einer ste­cken­blieb schell­te bei uns eine Klin­gel und eine Num­mer zeig­te an, in wel­chem Hoch­haus der Fahr­stuhl steck­te. War für uns Kin­der ganz schön aufregend.
    Die Ungarn­str. geht von der Mül­lerstr, fast par­al­lel zur See­str., über­quert die Rei­ni­ken­dor­fer Str. und hat dann den Namen Reg­inhard­str. Die Ungarn­str. war auch für mich und vie­le Kin­der der täg­li­che Weg zur Schu­le, denn die war noch nicht auf der Schil­ler­hö­he, son­dern auf der Müllerstr.
    Auf der Umgarn­str. war auch ein klei­nes “Ein­kaufs­cen­ter” mit einem Lebens­mit­tel­la­den (Erst Eigen­tü­mer Lau­be, dann But­ter Beck) ein Kiosk mit Spiel­zeug (damals ganz wich­tig) und ein Lokal. Aber zum rich­ti­gen Ein­kau­fen ging es quer durch den Schil­ler­park, dann die Tür­ken­str. run­ter bis zur Müllerhalle.
    Ich erin­ne­re mich gern daran.

    • Auch ich wuchs in den 60er Jah­ren in der Schil­ler­hö­he auf. Mei­ne Eltern bekamen
      damals in der Schwy­zer Str.18 d eine 4 Zim­mer­woh­nung mit Gar­ten, da wir eine
      gro­ße, kin­der­rei­che Fami­lie waren. Die Schwy­zer Str. war damals eine noch sehr
      jun­ge Stra­ße und es gab vie­le unbe­bau­te Flä­chen und Laubengebiete.
      Für uns Kin­der eine Aben­teu­er­land­schaft rund um die St Aloy­si­us­kir­che, wo es
      Sand­ber­ge gab und zum Park hin, unse­re gelieb­ten Klet­ter­bäu­me. Lau­bes kleiner
      Milch­la­den, spä­ter der Super­markt, sowie das Lokal „LAUBES GUTE STUBE“
      in der Ungarn Str. waren genau­so bekannt und beliebt wie „But­ter Hoff­mann“, die Knei­pe, von Bodo, der klei­ne Bäcker und die Dro­ge­rie „Heim­chen“ in der Schwy­zer Str.
      Als ich erwach­sen wur­de und hei­ra­te­te, bezog auch ich 1980 in der Ungarn Str. 91a eine 4 Zim­mer Woh­nung mit Gar­ten. Es war eine wun­der­vol­le Zeit. Mei­ne drei Kin­der wuchsen
      hier auf und besuch­ten die Gott­fried- Röhl- Grund­schu­le, die damals von der Müllerstr.
      in die Ungarn­str. zog. In die­ser schö­nen Gegend lebe ich heu­te gern in den Erinnerungen
      wie auch mein Bru­der, des­sen Kin­der, sowie mei­ne Kin­der, die in unmittelbarer
      Nähe woh­nen. Prak­tisch gleich um die Ecke. Ich lie­be mei­ne Schil­ler­hö­he und würde
      ger­ne hier woh­nen blei­ben. Nur, in zwei Jah­ren gehe ich in Ren­te und wer­de mir diese
      Woh­nung auf­grund der stän­di­gen Miet­erhö­hun­gen wohl nicht mehr leis­ten können.

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