Für manche Zeitgenossen, so habe ich jüngst vernommen, endet der Wedding bereits jenseits der Seestraße. Dabei ist doch gerade die geschäftige Müllerstraße, ihres Zeichens Hauptstraße im Wedding samt Grünstreifen, ein schöner Strohhalm, um sich im Wedding gen Norden in Richtung Reinickendorf zu hangeln. Und wer einmal in Reinickendorf war, der kommt gern hierher, zu uns in den Wedding zurück. Nicht wegen der Bowlingbahn, nicht wegen dem Kino, sondern der unbedingt schönen Dinge wegen.
Der Wedding schläft
Wer das Leben sucht, der wird’s auch finden, so haben es schlaue Autoren es mal formuliert. Tagsüber, abends, nachts. Im Weddinger Norden vielleicht. Vielleicht auch in der Kameruner Straße, dem Zentrum des Afrikanischen Viertels, dem Zentrum in Randlage. Eine kleine Meile mittemang. Zwischen Müller- und Togostraße, zwischen Restaurant und Dönerpavillion, zwischen Späti und Coiffeur. Mindestens drei, wenn nicht gar vier von dieser Haarschneidereien. Der Lieblings-Coiffeur von “Skandalrapper” Massiv sei angeblich auch hier.
Marschrichtung Nord. Irgendwo zwischen Müller- und Afrikanische Straße. Wer hier versucht, um 3:00h morgens Milch und/oder Bier zu erkaufen, der wird merken, der Wedding ist nicht immer so hellwach, wie er tagsüber vorgibt zu sein. Nein, nur ausgesuchte Spätis sind zu später Stunde noch geöffnet. Nicht selten hab’ ich einem schlafenden Besitzer das Geld für Kekse und Brot einfach auf die Kasse gelegt. Nicht immer passend, muss ich gestehen, aber wer schläft, den weckt man lieber nicht. Das hat schon meine Großmutter mich gelehrt.
Von Lingua franca bis Lüderitz
Die Kameruner Straße. Irgendwie ist sie eine Meile im Dazwischen. Im vorderen Teil, von der Müllerstraße kommend, ist sie schon gleich international. Menschen aus den Länder Afrikas feiern und leben hier – ihre lingua franca natürlich französisch. Und ein wenig deutsch hinein gesprengselt. Hier trifft man sich. Im Politischen bei AfricAvenir, im Bantou Village, in der sympathischen Monimba Lounge und bei Monsieur Ebeny gegenüber natürlich auch. Auf gleicher Höhe auch und manche nennen es die einzigartige Mischung im Wedding: Zwei Etablissements des horizontalen Gewerbes. Deutlicher wird es nicht werden. Die Mischung macht’s. Was des Nachts im Gewerbe passiert, vermag ich nicht zu sagen. Auf der Straße jedenfalls ist der Wedding ausgelassen.
Und dann ein Café. Ja, das gibt es auch. An den Scheiben nennt sich’s Frederick’s. Das koloniale Erbe wurde den Machern später erst klar. Also nennt sich’s Frederick’s. Eine moderne Café-Bar an der Ecke, obwohl neu ist sie Teil des Ganzen. Manche sage, es sei ein Raumschiff. Es wolle nicht so recht passen. Seine Gäste aber sehen recht bodenständig und natürlich aus. Mittlerweile hat es aber aufgegeben und wurde durch eine noch hipsterne Bar ersetzt. Der Name Frederick’s erinnert mich jedenfalls an eine Nachbarin. Vor einiger Zeit schon ist sie ausgezogen. Raus aus’m Wedding. Die Polizei fragt bis heute nach ihrem Verflossenen. Ein Blick in die Facebook-Freundesliste der Betreffenden könnte Name und Aufenthaltsort des Gesuchten schnell ergründen. Die Kontaktbeamtin wird glücklich sein, wenn sie erfährt, dass sie demnächst an der Westküste Australiens tätig werden wird.
Kunst und Späti-Kultur
Tritt man über die Straße mit dem Namen Lüderitz, so ändert sich der Straßencharakter drastisch. Und ich spreche nicht von der irreführenden Dichte Deutschlandfahnen, die im Winkel kurzzeitig erscheinen. Es war Fußball-WM. Ich spreche von der Straße selbst – und vom Leben. Vor dem Atelier Anna Kiryakova sitzen Menschen, die wohl gekleidet und englisch sprechend auf der Straße sitzen. Ob die auch hier wohnen, frage ich mich. Einige von ihnen sicherlich. Es gibt Häppchen: Oliven, Tomaten, das gesamte hors d’ouevre-Programm. Für einen Moment beschleicht mich das Gefühl, dass diese Menschen sich auch im Frederick’s wohlfühlen könnten, sie den Charme der Straße gegen den einer Bar jedoch bevorzugen. Das habe ich schon öfter erlebt. In Neukölln zum Beispiel und noch gar nicht allzu lange her. Doch bange muss einem nicht sein. Der Wedding ist nicht Neukölln. Das Klischee bemühen, hier im Wedding täte sich was, das will ich nicht. Urbane Räume sind in Bewegung. Das ist ihre Natur.
Gentrifizierung? So weit möchte ich noch nicht gehen. Aufwertung? Nun, zweifelsohne im Entstehen. Die anliegenden Spätis bieten ein umfangreiches Sitz- und vor allem Getränkeangebot. Die unabdingbare Dönerbude wie Shisha-Bar erledigt den Rest. An der Ecke Togostraße dann aber findet’s seinen Ausklang. Mancher Tourist findet’s hier am Abend schon recht dunkel. Hier, hinter’m Bioladen oder der Scriptings Galerie, bevor die Straße ihren Ausklang in der Kleingartenkolonie findet.
Im wahren Leben Geschichtspädagoge, schreibt Tobias als Johnny einmal wöchentlich unter http://johnnyspapablog.de einen Elternblog. Aus Papa-Sicht. Worum geht es? Über die ersten Grundschritte als Vater, über das Leben mit einer töchterlichen Naturgewalt und die Fragen, die dieses radikal neue Leben aufwirft. Über den Hauch Prenzlberg im Wedding. Über den Alltag im Afrikanischen Viertel. Schreiben, ohne erhobenen Zeigefinger. Manchmal mit einem Augenzwinkern. Manchmal ohne.
[…] zuweilen herunter gekommenen Grünstreifen. Vieles, was den Wedding ausmacht, gibt es links und rechts der Promenade zu bewundern. Allerdings wird man ebenso konstatieren müssen: Die Promenade ist […]
Ich kann Tobias auch nur zustimmen. In den gut sechs Jahren die ich hier wohne bin ich weder angepöbelt noch verprügelt oder beraubt worden. Anzahl und Intensität der Polizeieinsätze waren auch sehr überschaubar. Allerdings hat sich dies Dank der “sympathischen Monimba Lounge” erheblich geändert. In den letzten 3–4 Monaten waren wohl so viele Beamte hier wie in den ganzen sechs Jahren vorher zusammen nicht.
In der Kameruner habe ich vor mehr als 30 Jahren auch mal gewohnt, mit Ofenheizung und Badezimmer ohne Bad oder Dusche, lang und schmal und am Ende sich verjüngend über der Speisekammer, mit einem 1½ qm großen Balkönchen. Damals war dort (und auch fast überall sonst in Westberlin) alles noch grau in grau, teilweise noch mit Einschusslöchern aus dem letzten Krieg, ohne Shisha-Läden und Dönerbuden, stattdessen aber mit Zeitungs- und Bier-Kiosken und einer kleinen Pizzeria gegenüber.
Ich kann’s mir in etwa vorstellen. Der Ex-Freund meiner Mutter ist in der Kameruner Str. groß geworden und hat sich als Kind immer in die Kinos der Straße eingeschlichen.
An die kleine Nachbarschafts-Pizzeria erinnere ich mich auch noch. Nr zum Mitnehmen! Heute sind die Leute zu faul, die Treppe runter zu laufen, um sich ’ne Pizza zu holen. Deshalb ist der Laden dicht und dafür knattert 10 Mal am Tag und Pro Haus der Lieferdienst vor die Tür.…
Finde den Beitrag interessant, weil ich im Bezirk wohne, alle Straßen und genannten Läden kenne – auch eins der gewissen Etablissements, und der Beitrag wurde sogar ganz frisch ´reingestellt.
Den elliptischen Sprachstil finde ich allerdings bemüht künstlerisch, passagenweise verunglückt und unverständlich – wie z. B. die von Moritz aufgeführte Passage. Einiges ist unverständlich, wie der Beginn (mittlerweile denke ich, der soll bedeuten, daß einige Karten mit Wedding enden, das aber unoriginell ist und deshalb umgekehrt wird), einiges grammatikalisch inkorrekt (an dessen neueM Platz; die Macher wurden des kolonialen Erbes gewahr – hier ist die Umkehrung falsch bzw. Blödsinn, nicht originell).
Daß Sie sich gut ausdrücken können, besser, v. a. verständlicher, sieht man an der Replik auf Micha.
Finde es aber schön, daß Sie sich die Zeit genommen haben, Ihre Beobachtungen und Gedanken aufzuschreiben und hier zu teilen.
Mit freundlichem Gruß
Lynar
Hallo Lynar,
herzlichen Dank, dass Du Dir soviel Zeit für Feedback und Korrektur genommen hast.
Ich weiß das zu schätzen. Sicherlich werde ich ein, zwei, von Dir angesprochene Passagen im Laufe des Tages grammatikalisch anpassen.
Auch in Zukunft möchte ich über den Kiez rund um die Kameruner Str. schreiben, wobei ich stärker zu historischen Themen tendiere. Diese erfordern ohnehin eine etwas andere Herangehensweise, sprich einen anderen Schreibstil.
Herzliche Grüße,
Tobias
Ohne die ständigen Schlägereien und Raubüberfälle wäre es in der Ecke echt auszuhalten. Immer sind Polizei oder Krankenwagen unterwegs. Ständig blöd von der Seite angeredet. Ich bin weggezogen. Geht gar nicht.
Danke für Deinen Input, Micha.
Ich stimme zu, was die übertriebene Polizeipräsenz angeht. Ganz besonders, wenn die Beamten nur mit schusssicheren Westen aus dem Auto steigen. Sie wirken dann sehr deplaziert und auf eine bestimmte Art und Weise unsicher. In einem anderen Kiez im Wedding hingegen brauchen sie diese Westen scheinbar, siehe Pöbeleien gegenüber Beamten im Sprengelkiez.
Kriminalität gibt es hier natürlich auch. Ich bin in all den Jahren rund um die Kameruner Str. allerdings nie angesprochen, angepöbelt, geschlagen oder beklaut worden. Auch niemand sonst den ich kenne. Auch nicht in den umliegenden Straßenzügen. Allerdings repräsentiere ich bzw. repräsentieren Bekannte von mir wahrscheinlich nur einen bestimmten Typus Bewohner.
Ich bin neugierig, wann Du ungefähr aus welcher Straße weggezogen bist. 🙂
Bin vor einem Jahr von Müllerstr/ Ecke Kameruner weggezogen. Habe drei Jahre dort gelebt. Ich finde, man sollte die Menschen ehrlich informieren, in welchen Bezirk sie ziehen und empfinde das Beschwichtigen hier als romantisierend. Bei mir ist übrigens auch zweimal eingebrochen worden.
So schlimm wie du es darstellt, ist es nicht. Es passiert manchmal was, aber es gibt auch Monate wo man gar kein Polizei oder Krankenwagen sieht. Weniger Autos sollte es hier ja geben, die fahren hier noch zu oft, wahrscheinlich um die Ampeln an der Müllerstraße/Seestraße zu entkommen.
Hallo Lukas,
um die Ampeln auf der See- bzw. Transvaalstr. zu umgehen, dafür eignet sich die Kameruner Str. leider vorzüglich, da hast Du recht! Zunehmend scheinen das auch LKW-Fahrer erkannt zu haben, die ihrerseits ihren PKW-Fahrkollegen in nichts nachstehen und mit 50+ km/h über’s Kopfsteinpflaster gebrettert kommen. Es ist zwar eine 30km/h Zone, aber niemand mag Straßenschilder lesen zu wollen.
Tobias
Aha, dein subjektiver Eindruck ist also richtiger als mein subjektiver Eindruck…
Sehr überzeugend.
Wohne seit 20 Jahren Lüderitz Ecke Seestr. Habe noch nie Schlägereien, Anmache etc. erlebt. Krankenwagen Sirenen nerven aber das liegt daran, dass Charité hier ist und die Polizei in den ehemaligen Osramhöfen und die müssen fast immer über die Müller/Seestr. Wenn man selber im Krankenwagen liegt, wäre man über die Sirenen froh. Rechts und Links, parallel z. Müllerstr ist alles ruhig, wir haben sehr viel Grün, Schillerpark, Rehberge. Verbindung super, ob Bus, Tram oder U‑Bahn. Ich würde auch nicht in der Müllerstr. wohnen wollen, auch sonst auf keiner Hauptstr.