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2 Tage Wedding: Ein Tag Jerusalem

11. September 2018
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Lesung von Ruth Fruchtmann im Studio Berten. Foto: Studio Berten
Lesung von Ruth Frucht­mann im Stu­dio Ber­ten. Foto: Wal­ter Frey

Zum drit­ten Mal haben sich Wed­din­ger Kul­tur­schaf­fen­de zusam­men­ge­tan, um mit dem Fes­ti­val „2 Tage Wed­ding“ der Kul­tur, Lite­ra­tur und Musik im Bezirk zu mehr Auf­merk­sam­keit zu hel­fen. Die ver­schie­de­nen Kieze waren am 8. und 9. Sep­tem­ber offe­ne Büh­nen für Kon­zer­te und Lesun­gen. Der Sams­tag­abend im Stu­dio Ber­ten stach dabei beson­ders her­vor: Die Lesung eines Buches, des­sen poli­ti­sche Rah­men­hand­lung sen­si­bler nicht sein könn­te, beglei­tet von Musik, voll­kom­men improvisiert.

„Zusam­men­le­ben? Ja, natür­lich! Auch wenn es momen­tan nicht das Natür­li­che zu sein scheint.“ Ruth Frucht­man liest die­sen Satz vor aus ihrem Buch „Jeru­sa­lem­tag“. Und auch außer­halb der von ihr geschaf­fe­nen Roman­welt besitzt die­ser Satz Gül­tig­keit. Zusam­men­le­ben, das gilt auch hier, im Wedding.

Zu Gast im Studio Berten: Autorin Ruth Fruchtmann (Mitte). Foto: Christoph Berten
Zu Gast im Stu­dio Ber­ten: Autorin Ruth Frucht­mann (Mit­te). Foto: Chris­toph Berten

An die­sem Abend klappt es gut, das Zusam­men­le­ben. So viel­fäl­tig wie der Wed­ding selbst, so viel­fäl­tig sind die Besu­cher der Lesung von Ruth Frucht­mans neu­es­tem Buch. Ruth Frucht­man, deutsch, jüdisch, israe­lisch, kri­tisch. Auf dem Fagott beglei­tet von Hei­ko Löchel, frei­schaf­fen­der Künst­ler und Musik­the­ra­peut. Des­sen Melo­dien sind mal kraft­voll, mal zag­haft, mal stot­ternd, und immer spon­tan inspi­riert von den Aus­schnit­ten, die Ruth Frucht­man vor­liest, um die Geschich­te ihrer Roman­fi­gur Roma zu erzäh­len. An die­sem Abend zei­gen Löchel und Frucht­man in der Kunst­ga­le­rie Stu­dio Ber­ten: Wed­ding kann Kul­tur! Mit der Lesung sor­gen sie für einen ers­ten Höhe­punkt des Kulturfestivals.

In „Jeru­sa­lem­tag“ beschreibt Ruth Frucht­man anhand ihrer Roman­fi­gur Roma, wie die israe­lisch-paläs­ti­nen­si­sche Geschich­te das Leben ihrer Haupt­fi­gur geprägt hat. Über 40 Jah­re beglei­tet der Leser Roma in ihrem Leben, durch­lebt Lie­be, Bezie­hun­gen, die Geburt ihres Kin­des David und die ent­ste­hen­de Distanz Romas zur Poli­tik des Staa­tes Isra­el, geprägt durch die seit 1967 andau­ern­de Beset­zung Ost­je­ru­sa­lems und des West­jor­dan­lan­des. Roma ist dabei stets kri­tisch und im Kon­flikt mit ihrem Gewis­sen, aber auch mit ihren Fami­li­en­an­ge­hö­ri­gen. Ihr Sohn David, am Tag der Erobe­rung Ost­je­ru­sa­lems gebo­ren, steht der israe­li­schen Beset­zung weit­aus weni­ger kri­tisch gegen­über als sei­ne Mut­ter. Romas Cou­si­ne ist Sied­le­rin und im Gegen­satz zu Roma, die bei jedem Besuch in einer israe­li­schen Sied­lung von Schuld­ge­füh­len geplagt ist, über­zeugt, das erober­te Land nicht mehr zurückzugeben.

„Jeru­sa­lem­tag“ ist eine Geschich­te von Distanz zur eige­nen Iden­ti­tät in einem poli­tisch und gesell­schaft­lich auf­ge­la­de­nen Umfeld. In der anschlie­ßen­den Fra­ge­run­de beleuch­tet Ruth Frucht­man Romas Schuld­ge­füh­le, ihre Kri­tik an der Beset­zung. Ob Roma aber dem israe­li­schen Staat kri­ti­scher gegen­über­ste­hen wür­de als die Autorin selbst? „Nein“, lacht Frucht­man, „ich bin da schon noch kri­ti­scher.“  Die­se isra­el-kri­ti­sche Hal­tung klingt auch in ihren Ant­wor­ten an die­sem Abend durch. Sie erzählt von Bekann­ten im paläs­ti­nen­si­schen Ramal­lah, deren Lebens­um­stän­den, die regel­mä­ßi­ge Drang­sa­lie­rung der Paläs­ti­nen­ser, die täg­lich nach Jeru­sa­lem zur Arbeit pen­deln und Stun­den an den Check­points war­ten müs­sen. Frucht­man kri­ti­siert einen infla­tio­nä­ren Gebrauch des Wor­tes Anti­se­mi­tis­mus, der den Blick auf wah­ren, bedroh­li­chen Anti­se­mi­tis­mus ver­stel­len wür­de. Frucht­man ist streit­bar, das weiß sie selbst. Aber sie ist auch selbst­be­wusst genug, ihren Stand­punkt zu verteidigen.

Es war nicht die ers­te Lesung Ruth Frucht­mans im Wed­ding. Vor zwei Jah­ren las sie aus ihrem Roman Kra­ko­wi­ak. Damals eben­falls orga­ni­siert vom Stu­dio Ber­ten, das auch unab­hän­gig vom Kul­tur­fes­ti­val „2 Tage Wed­ding“ kul­tu­rel­le Akti­vi­tä­ten ver­an­stal­tet, im Wis­sen, was das Wed­din­ger Zusam­men­le­ben stärkt: Aus­stel­lun­gen, Lesun­gen und Kon­zer­te im Wech­sel, in der Torf­stra­ße 11, nur weni­ge Geh­mi­nu­ten vom U‑Bahnhof Amru­mer Straße.

Ruth Frucht­man: Jeru­sa­lem­tag, 262 Sei­ten, Klak Ver­lag 2017

Text: Alex Gerst, Fotos: Stu­dio Berten

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  1. Noch eine Ergän­zung: die Lesun­gen im studio_Berten wer­den ver­an­stal­tet von der ehren­amt­li­chen Nach­bar­schafts­in­itia­ti­ve “pan. poe­sie am nord­ufer. Im Wed­ding. Kunst, Lite­ra­tur und Migration”

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