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Wo an ein wichtiges Ereignis erinnert wird:
Was der 17. Juni 1953 mit dem Wedding zu tun hat

Eines der am besten "versteckten" und trotz alljährlicher Medienpräsenz unbekanntesten Denkmäler des Wedding befindet sich in der Mitte eines Friedhofs. Es mahnt an die Opfer eines Aufstands, der gar nicht unmittelbar im Wedding stattgefunden hat. Aber dennoch hat der Stadtteil etwas damit zu tun.

In der noch offenen Viersektorenstadt galten 1953 verschiedene Währungen und Wirtschaftsverhältnisse. Als sich im Ostteil Berlins und in der DDR wegen einer Normerhöhung (und letztlich handelte es sich um eine faktische Arbeitslohnsenkung für Arbeiter:innen) Unruhen entzündeten, war der Wedding nur am Rande betroffen. So zog beispielsweise eine Gruppe von streikenden Arbeitern aus Hennigsdorf die Müllerstraße herunter, wo sie die Weddinger Bevölkerung bestärkte und mit Verpflegung versorgte. Das Ziel der Aufständischen war der Ostsektor. Die dortigen sowjetischen Alliierten erklärten bald den Ausnahmezustand und schlugen die Demonstrationen mit Panzern und Waffengewalt nieder. Es gab zahlreiche Tote. Diejenigen Verletzten, die es noch aus eigener Kraft in den Westen geschafft hatten, dort aber in Krankenhäusern an ihren Verletzungen verstarben, sollten auch im Westteil Berlins beigesetzt werden. Dies geschah so, und zwar am 23. Juni auf dem städtischen Urnenfriedhof Seestraße.

Kurz darauf wurde die Ost-West-Achse im Tiergarten in "Straße des 17. Juni" umbenannt, der 17. Juni wurde ab 1954 auch ein gesetzlicher Feiertag in der Bundesrepublik und in Berlin (West). Und an der Seestraße? Wo schon einige der Toten des Aufstandes beerdigt worden waren, wurde am 17. Juni 1955 eine offizielle Gedenkstätte eingeweiht, an der seither jedes Jahr am 17. Juni eine Kranzniederlegung durch die Bundesregierung und den Berliner Senat stattfinden.

Dabei hat der Friedhof selbst eine interessante Vorgeschichte. Er wurde nämlich im Jahr 1850 an die Charité verpachtet, die dort ihren eigenen Friedhof anlegte. 1857 errichtete man das Totengräberhaus. In unmittelbarer Nachbarschaft wurde 1863 der St. Philippus-Apostel-Friedhof der gleichnamigen Kirchengemeinde angelegt. Der Charitéfriedhof wurde erst im Jahr 1906 zu einem städtischen Friedhof. 1937 wurde an der Ecke Müllerstraße/Seestraße das Eingangsgebäude mit dem Fraktur-Schriftzug "Städtischer Urnenfriedhof" errichtet; darin befinden sich auch ein Grabdenkmalgebäude und ein Blumenladen.

Ein eigenes Friedhofstor zur Gedenkstätte des 17. Juni befindet sich an der Seestraße 92. Bereits nach wenigen Metern gelangt man auf die rechtwinklig angelegte Gedenkstätte. An ihrem Ende befindet sich eine niedrige Muschelkalkmauer vor einer Hecke. In der Mauer ist der Schriftzug "Den Opfern des 17. Juni 1953" zu lesen. Die links aufgestellte drei Meter hohe Skulptur hat der Berliner Bildhauer Karl Wenke geschaffen; sie zeigt einen Mann, der sich vergeblich aus Gefangenschaft zu befreien versucht. Vor der Mauer mit der Hecke gibt es ein Rasenfeld mit den Gräbern der acht unmittelbar durch den Aufstand Verstorbenen. Links und rechts davon sind hofartige Rechtecke angelegt, die durch Hecken voneinander abgegrenzt sind. Auf der rechten Seite gibt es das Grab des Weddinger Heimatdichters Johnny Liesegang. Auf der linken Seite sind weitere Gräber zu finden; dort liegen später verstorbene Teilnehmer des Aufstands vom 17. Juni 1953.

Die Gedenkstätte selbst wurde zwei Jahre nach dem Aufstand, am 17. Juni 1955, offiziell eingeweiht. Obwohl jedes Jahr eine kurze Nachricht in allen Medien veröffentlicht wird, wenn hochrangige Landes- und Bundespolitiker Kränze am Jahrestag niederlegen, ist die Gedenkstätte im Wedding selbst wenig bekannt. Ganz anders das 1982 errichtete Mahnmal auf dem Zentralfriedhof Friedrichsfelde: Dort findet an jedem zweiten Sonntag im Januar ein Gedenktag der Sozialisten statt, der mit Niederlegung von Kränzen und Nelken aus Anlass der Ermordung von Karl Liebknecht und Rosa Luxemburg begangen wird.

Grab von Jonny Liesegang (eig. Johannes Haasis)

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

2 Comments Schreibe einen Kommentar

  1. Ich bin sehr oft auf dem Friedhof, ein idealer Ort zum Entspannen in der Natur, obwohl er durch die Müller – und Seestrasse “ eingerahmt“ ist. Sehr gepflegt und immer Überraschungen durch wunderschöne Blumenarrangements.

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