Wie einem Besucher der niederländischen Stadt Utrecht schnell auffallen wird, zählen Fahrräder hier zu den Hauptfortbewegungsmitteln. Fahrräder in allen möglichen Arten, von massiven Hollandrädern, zu coolen Rennrädern, sind dort zu beobachten. Dies ist auch der Fall in Berlin, der Stadt, in der ich aufgewachsen bin, bevor ich mich dazu entschieden habe, für mein Studium nach Utrecht zu ziehen. Obwohl auch in Berlin immer mehr Fahrräder zu sehen sind und es ebenfalls Diskussionen über eine autofreie Innenstadt gibt, bestehen noch immer viele eklatante Unterschiede und Besonderheiten. Auch im Wedding.
Radwege so breit wie hier ganze Fußwege
Trotz der vielen Fahrräder in Utrecht, die sicherlich auch auf den großen Anteil an Studenten zurückzuführen sind, trägt fast keiner der Fahrradfahrer, die ich in meinem Alltag sehe, einen Helm. Ironischerweise meinte eine Freundin, als ich sie mit Erstaunen nach dem Grund dafür fragte, dass sich viele auch ohne Helm sehr sicher fühlen würden. Vielleicht ist es für den Außenstehenden leichter nachzuvollziehen, wenn man einen Blick auf die Fahrradwege wirft. Mit ein paar Ausnahmen in Form weniger befahrener Zentrumsgassen, sind die Fahrradwege oft so groß wie Fußgängerwege in Berlin. Es hat mich doch sehr überrascht. Anders als in Berlin, wo Fahrradwege oft nur durch einen weißen Streifen auf der Straße markiert sind, sind diese Bereiche in Utrecht klar abgegrenzt.
In Berlin hingegen ist ebenfalls viel geplant. Im Wedding beispielsweise wurde schon im März verkündet, dass die Müllerstraße, zwischen U‑Bahnhof Leopoldplatz und S+U‑Bahnhof Wedding, einen 650 Meter langen Radweg bekommen solle. Es war ein langer Prozess, wofür sich Bürgerversammlungen seit 2010 einsetzten. Nun wurde der Bau ab dem 27. September angekündigt. Dennoch drängt „Mensch.Müller“, die Stadtteilvertretung rund um die Müllerstraße im Wedding, weiter für einen durchgängigen Radweg, zwischen dem U‑Bahnhof Seestraße und der Reinickendorfer Straße.
Sicherlich hat die Sicherheit der Niederländer, keinen Helm zu tragen, auch mit der geringeren Gefahr zu tun, von einer sich plötzlich öffnenden Autotür erwischt zu werden. Interessanterweise ist das Öffnen der Fahrertür mit der rechten Hand, statt mit der näheren linken Hand, als Holländer-Griff bekannt. Dies kann sicherlich kein Zufall sein.
Die Städte werden fahrradfreundlicher
Anders als in Berlin, wohin viele aus umliegenden Städten zur Arbeit fahren, hat Utrecht den Pendlerstatus für die Stadt Amsterdam. Viele Menschen wohnen in Utrecht, fahren morgens mit dem Fahrrad, auch häufig einem OV-Fiets, dem omnipräsenten Leihfahrrad, nach Utrecht Centraal und nehmen von dort den Zug nach Amsterdam.
Abgeschlossen wird das Fahrrad in dem größten Fahrradparkhaus der Welt, welches 12.500 Fahrradstellplätze fasst. Oft bin ich dort mit einem geliehenen oder meinem eigenen Fahrrad die Etagen abgefahren, auf der Suche nach noch freien Plätzen. Obwohl Utrecht ein Zehntel der Einwohneranzahl Berlins hat, scheint mir das Fahrradhaus dringend notwendig zu sein. Auch jetzt schon sind in der Innenstadt viele Laternen und Zäune mit Fahrrädern umstellt. Häufig sticht einem ein Zettel am Lenker ins Auge. Eine Warnung der Gemeinde, dieses Fahrrad zu entfernen, da es andernfalls kostenpflichtig beseitigt werden würde. Ähnlich wie in Berlin, wo aber das Ordnungsamt diese Aufkleber primär auf Autos und nicht auf Fahrräder klebt.
Auch in Berlin gibt es Planungen für Fahrradparkhäuser mit einer Kapazität von bis zu 2.000 Fahrrädern.
Zufällig konnte ich vor einigen Wochen in Eberswalde, einer Stadt in der Nähe Berlins, ein im Bau befindliches Fahrradparkhaus am Hauptbahnhof entdecken. Eine Maßnahme, um den verstärkten Rundverkehr zu fördern. Es verändert sich etwas.
Durch eine kleinere Stadtfläche erscheint der Mangel an Fahrradstellplätzen in Utrecht bemerkbarer, wird aber auch in Berlin immer sichtbarer. Bei einem Spaziergang entlang der Müllerstraße konnte ich vermehrt „falsch“ angeschlossene Fahrräder an Laternen oder Absperrungen entdecken. Diese wurden, ähnlich wie Autos, auch mit Aufklebern des Ordnungsamtes versehen. Eine Maßnahme, die für mich persönlich auch neu war.
Trotz der Fahrradständer am U‑Bahnhof Leopoldplatz beispielsweise, konnte ich auch dort förmlich amputierte Fahrräder sehen, ohne Sattel, oder mit fehlenden Reifen, welche an Bäume angelehnt waren. Ich fragte mich nach dem Ursprung dieser Verstümmlungen. Ob alle auf profane Diebstähle zurückzuführen seien?
Fahrraddiebstähle sehr präsent in Utrecht
Während ich in Berlin häufig das Gefühl habe, ich könnte von einem abbiegenden Auto vielleicht angefahren werden, sind es in Utrecht oft die frisierten Mopeds, welche eine echte Gefahr darstellen. Ich wurde oft durch gekonnte Überholmanöver beeindruckt, bin mir aber auch der fatalen Folgen bewusst, falls eines dieser Manöver einmal nicht klappen sollte.
Trotz verunglückter Fahrradfahrer in Utrecht konnte ich bisher dort noch keine weißen Geisterräder entdecken, die Verunglückten am Unfallort gedenken sollen. Wohingegen in Berlin, aufgestellt durch den Allgemeinen Deutschen Fahrrad-Club, an verschiedenen Orten diese weißen, besitzerlosen Fahrräder platziert sind.
Während die Erinnerungen im Alltag an verunglückte Radfahrer in Utrecht weniger präsent scheinen, ist die Möglichkeit, sein Fahrrad geklaut zu bekommen umso größer. Ich konnte bei vielen meiner niederländischen Freunde und Kommilitonen sehen, wie durch zwei Schlösser das Fahrrad zusätzlich gesichert wird. Ein Schloss integriert in das Hinterrad als Sperre und das andere, um es an einem Laternenpfahl zu befestigen. Dies hilft nicht immer.
Die Situation sieht im Wedding durchaus anders aus. Der Stadtteil schloss in der Fahrraddiebstahlstatistik des letzten Jahres, im Vergleich zu anderen Teilen Berlins, wie Tiergarten oder Alt-Treptow, vergleichsweise sehr gut ab. Im Vorbeifahren mit dem Fahrrad durch den Wedding, oder auf dem Weg zu dem sehr zu empfehlenden Safari Imbiss in der Müllerstraße, konnte ich keine doppelt abgesicherten Räder entdecken. Anscheinend herrscht im Wedding ein anderes Sicherheitsgefühl im Vergleich zu Utrecht, wenn es um das Fahrrad geht.
In Utrecht gibt es interessanterweise für gestohlene Fahrräder einen inoffiziellen, mobilen „Markt in der Nacht“. Eines Nachts wurde einer Freundin von mir von einem vorbeifahrenden Mann sein Fahrrad angeboten, für einen Bruchteil des Ladenpreises. Dadurch, dass zufällig ihr Rad gestohlen wurde, hat sie sich dazu entschieden, es ihm abzukaufen. Absurderweise war eine Kartenzahlung möglich.
Es ist ein Fahrrad-Kreislauf.