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Vom Überleben in der Weddinger Nische:
Moondance: Schallplatten und Gespräche

27. Januar 2024
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Dass sich mitten auf der Müllerstraße ein Schallplattenladen befindet, ist selbst vielen Weddingern nicht bewusst. Dabei steht das „Moondance“ seit mehr als 40 Jahren an ein- und derselben prominenten Stelle, direkt gegenüber des Eingangs zum U- und S-Bahnhof Wedding. Dass man das Geschäft leicht übersieht, hat sicher auch mit seinem Angebot zu tun: „CDs, LPs, Videos“ steht in weißer Schrift auf der blauen Ladenfront. Noch dazu ist der Laden auf Hard Rock und Heavy Metal spezialisiert. Was die Laufkundschaft zwischen Edeka und Döner-Imbiss nicht auf dem Einkaufszettel hat, wird in der selektiven Wahrnehmung wohl einfach unsichtbar.

Manfred Albrecht in seinem Laden. Er führt das Geschäft seit 1981. Foto: Fabian Peltsch
Manfred Albrecht in seinem Laden. Er führt das Geschäft seit 1981. Foto: Fabian Peltsch

„Moondance“ ist ein lebendes Fossil, eine Art Quastenflosser, der einem plötzlich vor die Füße schwimmt und sagt „Ich bin schon lange vor dir hier gewesen.“ In den 1970er-Jahren hieß der Laden noch „Sundance“, sagt Inhaber Manne. Er hat ihn 1981 übernommen, weil den damaligen Betreibern die Sache über den Kopf gewachsen war. „Früher hat man sein Geld noch für Musik ausgegeben. In den 80er-Jahren standen die Leute Schlange, wenn ein neues Album rauskam.“ Manne wirkt mit seinem angegrauten Pferdeschwanz selbst ein wenig aus der Zeit gefallen. Gelassen steht er hinter der Theke zwischen CD-Stapeln und raucht Zigaretten, als hätte man das im Einzelhandel schon immer so gemacht.

„Moondance“ hat den Run auf Single-Hits miterlebt, von denen einige heute längst vergessen sind. Kurz nach der Wende haben die neuen BRD-Bürger hier in Scharen ihr Begrüßungsgeld ausgegeben. „Die hatten Nachholbedarf“, schmunzelt Manne. Nach einem letzten Verkaufs-Hoch in den 1990er-Jahren kamen illegale Tauschbörsen wie Napster und schließlich das Streaming, das viele Musik-Nerds dazu brachte, ihre Tonträger-Sammlungen endgültig aufzulösen. Manne hat während des CD-Booms der 1990er selbst Bestände alter Platten zum Dumping-Preis rausgehauen, um im Laden Platz zu schaffen. Dabei hat er auch einige Perlen verkauft, die heute viel mehr wert wären. Trotzdem profitiert auch er noch immer vom zweiten Frühling der Vinyl-Schallplatte, der in den späten Nuller-Jahren einsetzte. Neben Neuware und Second-Hand-CDs gibt es bei „Moondance“ nach wie vor kistenweise Vinyl. Doch zum Leben reicht es eigentlich schon lange nicht mehr, sagt der Plattenhändler. Seine Öffnungszeiten hat er bereits angepasst. Um 14.30 Uhr macht er täglich zu. „Danach kommt hier eh kaum jemand mehr rein.“

Die Gegend rund um seinen Laden hat sich drastisch verändert. Wo vor ein paar Jahren ein Döner-Grill abgebrannt ist, stehen jetzt in der Sonne blitzende Bürogebäude. Die Tankstelle um die Ecke gibt es auch nicht mehr. Genau wie Karstadt. „Das Ende einer Ära“, sagt Manne. Selbst Budni gegenüber macht gerade dicht, als wir sprechen. Nach nur einem Jahr.

Wie konnte „Moondance“ bei all den Veränderungen, die Berlin-Wedding durchmachte und noch immer durchmacht, da 40 Jahre lang an dieser Stelle, in dieser Nische überleben? Manne zieht an seiner Zigarette. „Tja, das ist eine gute Frage. Früher gab es hier einige Rockkneipen. Mich kennen von damals noch einige Leute.“ Es sind vor allem ein paar Stammkunden, die ihn über Wasser halten. Und die kommen nicht nur, um Musik zu kaufen, sondern auch um zu plaudern. Über den Alltag und die Kinder, die ganz andere Musik hören oder vielleicht auch gerade Alice Cooper und Led Zeppelin für sich entdecken. Über die Parkverbote, die es schwieriger machen an den Laden ranzukommen oder die steigenden Mietpreise. „Woanders darf man das ja gar nicht mehr: Einfach quatschen“, sagt Manne, der offiziell in Rente ist. Wie lange er das mit dem Laden noch macht, weiß er nicht. In den vergangenen Jahren kamen immer wieder Leute vorbei, die hier, nahe der Ringbahn, etwas Neues aufmachen wollen und ihn fragen, ob er vielleicht bald auszieht. „Ich sagte immer: noch nicht... vielleicht später.“ 

Moondance, Müllerstraße 167, Telefon (030) 4 61 39 07, Montag bis Freitag von 10.30 bis 14.30 Uhr und Samstag von 10 bis 13 Uhr geöffnet, E-Mail: [email protected], Web: www.moon-dance-berlin.de

Fabian Peltsch

Seit Jugendtagen wollte Fabian Peltsch in immer größeren Städten leben. Vom Dorf am Bodensee arbeitete er sich langsam hoch bis nach Peking. 2013 verschlug es ihn in den Wedding, wo er endlich die Balance zwischen urbanem Wahnsinn und nachbarschaftlicher Heimeligkeit gefunden hat. Hauptberuflich schreibt er als China-Experte für das Medienhaus Table.Media und als Kulturjournalist für den Rolling Stone und den Musikexpress. Sein Hauptquartier liegt am Nordufer.

4 Comments Leave a Reply

  1. Hallo
    na endlich… endlich wird über diesen Laden hier etwas berichtet…. hab den Laden schon entdeckt als ich noch in Moabit lebte also er noch Sundance hieß… alles was damals angesagt war in Sachen Hardrock Led Zep (1973 live Deutschlandhalle) Yes Deep Purple (live erlebt Made in Japan-Tournee im Sportpalast) Uriah Heep Jethro Tull (mehrmals live erlebt) Pink Floyd (live Animaltour) David Bowie (3x live gesehen) Santana Roxy Music usw ….die Konzerte haben damals übrigens nur 12 bis 15 D-Mark Eintritt gekostet !!!
    man was hab ich Geld für die Platten ausgegeben , als dann CDs angesagt waren hab ich die Sammlung verkauft . Hätte ich nie tun sollen :(… da waren auch Bootlegs (Bowie) dabei und ein Soloalbum vom Keyborder Ken Hensley: Proud Words on a Dusty Shelf (1973) … dann kam die Zeit mit Punk und New Wave und zum Schluss wurde jede Menge Crossover gehört… geile Zeit
    Und nicht vergessen … Musikexpress regelmäßig gelesen
    frühlingshaftes WE
    l

    • Dreimal Bowie erlebt! Da kann man nur neidisch werden. Im Laden gibt es sogar eine VHS-Kassette von Bowies Serious Moonlight Tour 1983. Eine Zeitkapsel...

      • jaaaa kann ich mir gut vorstellen und zwar 10. April 1976 und 16. Mai 1978 und das 3te mal 6. Juni 1987 Concert for Berlin Platz der Republik... der Wahnsinn an der Mauer, damit die Menschen auch auf der Rückseite was zu hören hatten !!
        habe auch noch Bilder von div Konzerten
        hab auch Chris Issak im Oktober 89 live erlebt im Quartier Latin

        Gruß

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