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St.Elisabeth und Sophien:
Ort der Stille, Ort der Zukunft

Der Wed­ding ist pul­sie­rend, leben­dig und stel­len­wei­se vol­ler Kin­der­lärm. Aus­ge­rech­net die Fried­hö­fe stel­len das genaue Gegen­teil davon dar. Und doch gehör­ten sie von Anfang an zum Wed­ding, so wie wir ihn heu­te ken­nen. Ein alter Fried­hof in Gesund­brun­nen weist zwei inter­es­san­te Wege in die Zukunft der Begräbnisstätten.

Als der Wed­ding noch eine unbe­deu­ten­de, als arm ver­schrieene Sied­lung außer­halb der Stadt­mau­ern Ber­lins war, platz­ten die Fried­hö­fe der boo­men­den Haupt­stadt bereits aus allen Näh­ten. Kein Wun­der, dass sich man­che Kir­chen­ge­mein­de weit außer­halb der Stadt einen Begräb­nis­platz für ihre Mit­glie­der sicher­te. Den Anfang mach­ten um 1840 die Fried­hö­fe an der Lie­sen­stra­ße. Schon 1850 ent­stand an der See­stra­ße der Fried­hof der Cha­ri­té (heu­te Urnen­fried­hof). 1866 folg­te der Gar­ni­sons­fried­hof, kurz dar­auf der Dom­kirch­hof an der obe­ren Mül­lerstra­ße. Der Leich­nam so manch eines ange­se­he­nen Ber­li­ner Bür­gers fand sich dau­er­haft im Wed­ding wie­der, bis all­mäh­lich die wach­sen­de Metro­po­le die Fried­hö­fe schluck­te. Bis zum Zwei­ten Welt­krieg waren alle 15 Wed­din­ger Fried­hö­fe mehr oder weni­ger von Miets­ka­ser­nen, Fabri­ken oder neu ange­leg­ten Parks umgeben.

Schau­en wir uns einen Fried­hof näher an, der in vie­ler­lei Hin­sicht typisch für die Begräb­nis­kul­tur des 19. Jahr­hun­derts ist und zugleich in die Zukunft weist. Die Rede ist vom St. Eli­sa­beth­kirch­hof II/ Sophien­kirch­hof II/III. Ein zwan­zig Hekt­ar gro­ßes grü­nes Idyll, damals außer­halb der Gemar­kung Ber­lins gele­gen. Ab 1875 wur­de an der Wollank­stra­ße der zwei­te Kirch­hof der St. Eli­sa­beth­ge­mein­de ange­legt, 1878 folg­te direkt dane­ben, damals durch eine Mau­er getrennt, der Sophien­kirch­hof II an der Frei­en­wal­der Straße.

Alle Insi­gni­en eines alten Fried­hofs sind auf den bei­den zu einer Ein­heit zusam­men­ge­wach­se­nen Begräb­nis­parks zu fin­den. Zur Wollank­stra­ße 66 hin gibt es ein mit Back­stein ver­klei­de­tes Tor mit einem gro­ßen Rund­bo­gen und zwei Fuß­gän­ger­ein­gän­gen. Dane­ben steht, qua­si als Relikt der länd­li­chen Umge­bung, ein Kirch­hofs­wär­ter­häus­chen im Schwei­zer­haus­stil. Eben­so wie die mit­tig gele­ge­ne Fried­hofs­ka­pel­le wur­de es 1875 nach Ent­wür­fen von Gus­tav Erd­mann errich­tet. Die Lei­chen­hal­le mit Kapel­le ist ein klas­si­zis­ti­sches Back­stein­ge­bäu­de mit gro­ßen Rund­bö­gen im ita­lie­ni­schen Stil. Geht man jedoch gleich am Ein­gang links an der Fried­hofs­mau­er wei­ter, fal­len einem sofort die ver­wun­sche­nen Wand­grab­stät­ten ins Auge, die vier bür­ger­li­chen Fami­li­en gehör­ten. Sie sind nach­ein­an­der für die Fami­lie Han­ne­mann 1875, für Fami­lie Gus­tav Römer 1877, für Fami­lie August Hirsch 1882 und für Fami­lie Hen­sel 1890 errich­tet wor­den und erin­nern mit ihren klas­si­schen For­men an anti­ke Bauten.

Im süd­öst­lich angren­zen­den Sophien­kirch­hof gibt es eben­falls eine Kapel­le, ver­mut­lich vom glei­chen Archi­tek­ten und nur weni­ge Jah­re spä­ter errich­tet. Sie ist mit gel­bem Back­stein ver­klei­det und hat kei­nen Glo­cken­turm. Unmit­tel­bar davor ste­chen zwei Grab­stät­ten ins Auge, das Erb­be­gräb­nis Felix Loh­mann von 1896 und das Mau­so­le­um der Fami­lie Stan­ge aus dem Jahr 1910.

Freie Flächen für neue Nutzungen

Was auf­fällt, wenn man zwi­schen den alten Bäu­men durch den stil­len Park fla­niert: Wei­te Tei­le des Fried­hofs sind mitt­ler­wei­le beräumt, es gibt wie­der gro­ße freie Rasen­flä­chen. Die Nut­zung der rie­si­gen Flä­chen ist eine Her­aus­for­de­rung für die Fried­hofs­ver­wal­tun­gen. Denn wegen immer mehr Urnen­bei­set­zun­gen und ins­ge­samt weni­ger Bestat­tun­gen wer­den Flä­chen frei. Der Evan­ge­li­sche Fried­hofs­ver­band hat den Gemein­schafts­gar­ten him­mel­beet beauf­tragt, ab 2020 ein inno­va­ti­ves gärt­ne­ri­sches, öko­lo­gi­sches, sozia­les und kul­tu­rel­les Pro­jekt umzu­set­zen. Auf­grund der lang­jäh­ri­gen Erfah­rung mit einem Gemein­schafts­gar­ten beglei­tet das him­mel­beet die Ent­wick­lung, Pfle­ge und Ver­ste­ti­gung der Flä­che fach­lich und päd­ago­gisch. Der Fokus der 2,5 Hekt­ar gro­ßen, unter dem Namen Eli­sa­Beet bekann­ten Flä­che liegt auf der nach­hal­ti­gen Pro­duk­ti­on von Lebens­mit­teln. Die­se wird nach dem Modell der Soli­da­ri­schen Land­wirt­schaft orga­ni­siert. Gestar­tet wur­de auf einer ca.1000 qm gro­ßen Flä­che, wo frü­her der Kom­post stand. Hier wur­de also nie bestat­tet und dort kann direkt im Boden gegärt­nert werden.

Doch der Bedarf nach Grab­stel­len nimmt nicht gleich­mä­ßig ab. Die Bevöl­ke­rungs­zu­sam­men­set­zung hat sich im Lau­fe der Jahr­zehn­te näm­lich erheb­lich geän­dert. Immer mehr mus­li­mi­sche Wed­din­ger, häu­fig auch hier gebo­ren, möch­ten ihre letz­te Ruhe in der Nähe ihrer Fami­li­en in Ber­lin fin­den. Für sie gab es bis­lang nur weni­ge Fried­hö­fe, in denen nach isla­mi­schem Ritus begra­ben wird. Auf dem Sophien­kirch­hof III gleich am Ein­gang an der Frei­en­wal­der Stra­ße wur­de daher vom Evan­ge­li­schen Fried­hofs­ver­band Ber­lin-Stadt­mit­te im Okto­ber 2023 eine gro­ße Flä­che für ein mus­li­mi­sches Begräb­nis­feld frei­ge­ge­ben. An einer Stel­le sind schon die ers­ten frisch aus­ge­ho­be­nen Grab­hü­gel zu fin­den. Am Ende ist dort Platz für 750 Grä­ber vorgesehen.

Die grü­ne Oase der bei­den Fried­hö­fe, ein Ort der Stil­le und für Besin­nung auf die Ver­gäng­lich­keit der Din­ge, ist also auch ein Ort mit Zukunft. Hof­fen wir, dass die­ses beson­de­re Fleck­chen Erde noch vie­le Jah­re geschützt bleibt. 

Joachim Faust

hat 2011 den Blog gegründet. Heute leitet er das Projekt Weddingweiser. Mag die Ortsteile Wedding und Gesundbrunnen gleichermaßen.

1 Comment

  1. vie­len Dank für den eben­so erbau­li­chen wie lehr­rei­chen Arti­kel, der erneut den Blick für unse­ren tol­len Wed­ding weitert.
    Simone

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